"Blair Witch Project" Realer Horror im Wald
Endlich mal eine gute Nachricht: Der Erfolg eines Films an der Kinokasse ist doch nicht nur ein kalkulierbarer Etatposten in den Megabudgets der amerikanischen Major-Companies. Der Grund für diese Erkenntnis heißt "Blair Witch Project".
Als diesen Sommer der Start des Low Budget Films in den amerikanischen Kinos für Rekordeinnahmen jenseits der 140 Millionen Dollar sorgte, schien eine neue Zeitrechnung angebrochen zu sein. Keine Schauspieler, keine Effekte, Amateurniveau in der Bild- und Montagetechnik - und doch ein Einspielergebnis, mit dem angesichts der geringen Produktionskosten von unter 100.000 Dollar wohl die höchste Rendite in der Filmgeschichte erzielt wurde.
Dabei hat der Film im Grunde nicht mehr Substanz als die Arbeiten begabter Filmhochschüler, wie man sie allenthalben auf Off-Festivals entdecken kann. Die Regisseure (Daniel Myrick und Eduardo Sanchez) haben ihre drastisch beschränkten Mittel zum dramaturgischen Prinzip erhoben.
Drei Studenten (Heather Donahue, Michael Williams, Joshua Leonard) machen sich mit einer 16-Millimeterkamera und einem Hi 8 Rekorder daran, das Geheimnis der Hexe von Blair zu ergründen. Seit Jahrzehnten kursieren in der Gegend von Burkittesville Legenden von verschwundenen Kindern, deren Schicksal im Volksmund mit einer übernatürlichen Erscheinung in Verbindung gebracht wird.
Nach einigen Recherchen vor Ort brechen die drei auf zu einer Expedition in den Black Hills Forest, von wo sie nicht mehr zurückkehren. Ein Jahr später findet man ihre Ausrüstung mit bespielten Kassetten und belichteten Filmrollen.
Aus dieser integralen Grundidee, die dem Zuschauer schon im Vorspann anvertraut wird, entwickelt der Film sein ganzes ästhetisches Profil. Die Geschichte wird an Hand der pseudodokumentarischen Amateuraufnahmen erzählt - farbige Videobilder, schwarzweißes Filmmaterial, nach der Chronologie der Ereignisse schnörkellos aneinander gehängt.
Die drei Protagonisten filmen sich gegenseitig, sprechen Kommentare in die Kamera, dokumentieren ihre zunehmende Verzweiflung und wachsende Aggression: wie sie jede Orientierung verlieren, tagelang hilflos im Kreis irren und nachts von Geräuschen aus dem Schlaf geschreckt werden. Außer den psychischen Veränderungen passiert wenig. Artefakte aus Steinen und Reisig deuten auf die Anwesenheit eines versteckten Beobachters, Chiffren ohne erkennbare Bedeutung, die in der Abgeschiedenheit der urwüchsigen Natur schnell zum Zeugnis einer übersinnlichen Bedrohung werden.
Die Geschichte spielt geschickt mit der archetypischen Angst vor dem Unsichtbaren. Die verwackelte Handkamera, das spärliche Licht, der unpräzise Ton steigern diesen Effekt, indem sie eine beklemmende Authentizität suggerieren - amerikanisches Genrekino im Stil der europäischen Dogma-Filmer.
Aber deren filmsprachliches Repertoire ist dann doch ausgefeilter, in seiner Konzeption radikaler und von größerer Innovationskraft. Bei aller Originalität der Erzählstruktur ist das Phänomen des kommerziellen Erfolges von "Blair Witch Project" weitaus bedeutsamer als sein filmischer Gehalt.
Daniel Myrick und Eduardo Sanchez haben der Filmindustrie vielleicht einen wichtigen Impuls gegeben, indem sie die stupide Politik der Staraufgebote und Megabudgets exemplarisch in Frage gestellt haben. Ihr Trumpf dabei war eine geschickt eingefädelte PR-Kampagne, die mit einer effizienten Internet-Performance einen eigendynamischen Verlauf genommen hat.
Was sie aber als Filmemacher zu leisten im Stande sind, werden Myrick und Sanchez bei ihrer nächsten Arbeit beweisen müssen: Dann nämlich wird der Druck eher aus der Größe der Produktion resultieren als aus ihrer Beschränktheit.