Bürgerrechtsdrama von Robert Redford Im Gehrock gegen Guantanamo

Bürgerrechtsdrama von Robert Redford: Im Gehrock gegen Guantanamo
Foto: TobisVermummung ist ein erprobtes Mittel der politischen Auseinandersetzung in den USA. Die steuermüden Wutbürger, die 1773 zur berühmten "Tea Party" luden, hatten sich als Indianer verkleidet, als sie die Importware der britischen Kolonialmacht im Hafenbecken von Boston versenkten. Als Rothäute vermummt waren knapp hundert Jahre später auch die aufgebrachten Pächter, die ihr "Recht auf Land" mit Waffengewalt gegen Großgrundbesitzer an der Ostküste durchsetzen wollten.
Robert Redford ist von dieser Art der Protestbewegung weit entfernt, und seine Identität verschleiern will und muss der politisch engagierte Schauspieler und Regisseur erst recht nicht. Dennoch macht auch er in seinem neuen Film vom Mummenschanz Gebrauch. An die männlichen Schauspieler ließ er Voll- und Backenbärte ausgeben. Den Damen im Ensemble hat er Krinolinen und Hauben verpasst, was auch sie ziemlich unkenntlich macht. Die Männer steckte er zusätzlich in Gehröcke und die alten, blauen Uniformen der Unionstruppen - und das alles zu dem Zweck, seinen amerikanischen Landsleuten einmal mehr zu sagen, wie er über Guantanamo denkt.
"Die Lincoln-Verschwörung" ist ein Historienfilm. Aber doch einer, der ganz und gar auf die Gegenwart zielt. Das Attentat auf den US-Präsidenten, 1865, kurz nach dem von den Nordstaaten gewonnenen Bürgerkrieg, liefert Redford nur den Anlass für eine Mahnung zur Rechtsstaatlichkeit - auch in Momenten höchster nationaler Bedrohung und Verunsicherung. Von beidem betroffen waren die USA am 11. September 2001 nicht zum ersten Mal. Schon 1865 war die Nation Ziel eines Anschlags, der zu 9/11 einige Parallelen aufweist.
Obrigkeit versus Gerechtigkeit
Zum einen - und das führt Redfords Film in einer fulminanten Parallelmontage am Anfang einigermaßen atemberaubend vor Augen - galt das Attentat nicht Abraham Lincoln allein. Zur gleichen Zeit, als ihn der Schauspieler John Wilkes Booth in einer Theaterloge niederschießt, schlagen zwei weitere Attentäter eines klandestinen Kommandos zu: Der eine von ihnen verletzt den Außenminister schwer. Der andere aber verliert die Nerven. In letzter Sekunde lässt er ab vom Versuch, den Vizepräsidenten zu töten, und taucht, wie seine Komplizen, unter.
So kurz nach dem Bürgerkrieg sind die Verschwörer, als Abkömmlinge des rückständigen Südens, im Norden der USA ebenso wohlgelitten wie bekennende Islamisten nach den Anschlägen vom 11. September. Die Fahndung nach den Attentätern und ihren Mitwissern kennt keine Rücksichten. So wie sie den Süden rächen wollten, trifft die Rache nun sie. John Wilkes Booth wird gestellt und von einem Spezialkommando umstandslos niedergeknallt. Gegen die anderen lässt Kriegsminister Edwin Stanton (Kevin Kline) vor einem Militärtribunal ein Schnellverfahren eröffnen. Und weil sich der mutmaßliche Mitverschwörer John Surratt (Johnny Simmons) der Strafverfolgung erfolgreich entzieht, macht man stattdessen seiner Mutter den Prozess, weil sie die Täter in ihrer Pension in Washington beherbergt hat.

Das Verfahren gegen Mary Surratt (Robin Wright) steht im Zentrum von Redfords Film. Er schildert es aus einer Perspektive, die gar nicht erst vorgibt, neutral zu sein: Mary Surratts junger Anwalt Frederick Aiken (James MacAvoy) hat als Offizier für den Norden gekämpft und gilt nach schwerer Verwundung als Kriegsheld. Die Aversion dieses eingefleischten Yankees gegen die halsstarre, gläubige, vielleicht sogar glaubensfanatische Katholikin leuchtet unmittelbar ein. Wie dann aber auch im Verlauf des Prozesses die langsame Revision seiner Einschätzung.
Staatsräson gegen Familienbande, Obrigkeit versus Gerechtigkeit, Strafanspruch gegen Zeugnisverweigerungsrecht. "Die Lincoln-Verschwörung" bietet an juristischen Finessen und emotionalen Winkelzügen alles auf, was zu einem klassischen courtroom drama gehört. Für das eine sorgt - der unter der Charaktermaske des wortbrüchigen Hardliners kaum wiederzuerkennende - Kevin Kline, für das andere Evan Rachel Wood, die als Tochter der Angeklagten und Schwester des Attentäters bei ihren Aussagen einen schweren Gewissenskonflikt auf sich nimmt.
Amerikaner wissen vielleicht aus dem Geschichtsunterricht, wie das Urteil schließlich lautet. Redfords Film mutet ihnen nun zu, mitanzusehen, was es heißt, "am Halse aufgehängt" zu werden, "bis der Tod eintritt".
Das Historiendrama knüpft auch an Redfords eigene Vergangenheit an: Sein ernüchterter Held, der Anwalt Frederick Aiken, wurde später der erste Lokalredakteur der "Washington Post". Deren berühmtesten Reporter hat Robert Redford vor 35 Jahren in "Die Unbestechlichen" gespielt: Bob Woodward, der den Watergate-Skandal enthüllte. Seither agiert Redford - auf der Leinwand wie auch abseits von ihr - als die demokratische Lichtgestalt Hollywoods. Ein weißer Ritter, strahlend wie der "elektrische Reiter", den er vor vielen Jahren im Film einmal dargestellt hat, von edler Gestalt. Und mit einem offenen Visier. So bohrt sich Redford unbeirrt durch die dicken Bretter, die sich im amerikanischen Kernland auftürmen.
Wie schon in "Von Löwen und Lämmern" (2007) betrachtet er das Kino auch hier ganz ironiefrei als moralische Anstalt. Nichts liegt der historischen Tiefenschärfe seines Films ferner als Hollywoods Spektakelkino in 3D. Als adäquates Forum für "Die Lincoln-Verschwörung" dürfen darum vielleicht Hörsaal und Aula gelten. Denn ein bisschen wie Schulfernsehen sieht das Kino Robert Redfords manchmal schon aus. Aber es dient ja auch Unterrichtszwecken: Es unterrichtet die Amerikaner davon, dass ihre Militärjustiz, wie sie für die Guantanamo-Gefangenen gilt, gegen die Menschrechte verstößt.