Cannes-Tagebuch Was tun mit den schönen Frauen?
Mit schönen Frauen schöne Dinge zu tun, gehöre zum Wesen des Kinos, hat Truffaut einst gesagt. Auf der Croisette, dem prachtvollsten Laufsteg der Welt, hat man keinen Zweifel, dass es gar zum Wesen des Lebens gehört. Doch in seinem neuen Film "Match Point", der in Cannes außer Konkurrenz läuft, tut Woody Allen mit Scarlett Johansson, derzeit einer der schönsten Frauen des Weltkinos, ein paar hässliche Dinge - und das fällt hier ganz besonders unangenehm auf.
Verzweifelt telefoniert sie in dem Film als amerikanische Jungschauspielerin in London einem Emporkömmling hinterher, der sie geschwängert hat, aber nicht heiraten will; sie lässt sich von ihm hinhalten, nach Strich und Faden belügen, bis er sie am Ende ohne jede Leidenschaft aus schierem Kalkül über den Haufen schießt - eine Demontage, schlimmer noch als jene, die einst Sharon Stone in "Casino" durch Martin Scorsese widerfuhr. Frauen, die uns im Kino um den Verstand bringen können, so zu behandeln, ist ein Verbrechen. Da wird Johansson, die auf der Leinwand strahlt wie nur wenige Schauspielerinnen, vom Regisseur von Szene zu Szene immer mehr runtergedimmt - und am Ende dreht er ihr einfach nur das letzte verbliebene, bereits spärliche Lebenslicht ab. So hat der Zuschauer, noch bevor der Film zu Ende ist, das Gefühl, auf eine schwarze Leinwand zu schauen.
Völlig zu Recht also läuft "Match Point" in Cannes nicht im Wettbewerb. Der Film wirkt, als habe der eingeschworene New Yorker Allen Stendhals Roman "Rot und Schwarz" ins London von heute verlegt - ein doppeltes Auswärtsspiel, das nur schwer zu gewinnen ist. Irgendwie macht sich in diesem Gesellschaftsdrama, das den Aufstieg seines unterprivilegierten Helden - eines begnadeten, von Jonathan Rhys Meyers verkörperten Tennisspielers - beschreibt, eine britische Steifheit breit, eine gänzlich unangemessene vornehme Zurückhaltung, die sich nahezu jede Scharfzüngigkeit verkneift.
Doch natürlich muss es die Franzosen stolz machen, nun auch von Woody Allen zu erfahren, dass der Ursprung aller Filmstoffe in der französischen Literatur liegt - ebenso wie die Zukunft aller verzweifelten Filmhelden. Nicht nur das Herz von Festivalchef Thierry Frémaux dürfte darüber höher schlagen, dass in "Kilomètre Zéro", dem Wettbewerbs-Beitrag des im Irak geborenen Kurden Hiner Saleem, selbst ein völlig verregnetes Paris für Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten wie eine reine Oase erscheint - und sich am Ende keineswegs als Fata Morgana erweist.
"Kilomètre Zéro" erzählt von einem kurdischen Familienvater, der Ende der achtziger Jahre in die irakische Armee eingezogen wird, um gegen den Iran zu kämpfen. An der Front angekommen, hofft er nur, dass ihm ein Bein abgeschossen werde, damit er als Invalide möglichst bald - und vor allem lebend - zu seiner schönen Frau zurückkehren kann. Zu seinem Glück darf er zwar alle seine Extremitäten behalten, muss aber einen gefallenen Kameraden im Sarg quer durch die Wüste chauffieren. Sehr angestrengt bemüht sich Saleem um skurrilen Humor, doch viele der Gags wollen - pardon - nicht so recht zünden.
Mehrfach lässt Saleem einen LKW, auf dem sich eine Saddam-Hussein-Statue befindet, zusammen mit den Leichentransportern durchs Bild fahren: damit auch niemand übersieht, für wessen Ruhmessucht die Männer ihr Leben lassen. In einer Szene hält eine Kuh unmittelbar vor einem der Leichenwagen, bleibt kurz stehen - und erleichtert sich. Schauspieler, soll Hitchcock mal gesagt haben, seien Rinder. Dieses Rind jedenfalls hat seinen Einsatz auf den Punkt genau getroffen.
Auch der Japaner Masahiro Kobayashi gibt der Heldin seines Films "Bashing" eine Vergangenheit im Irak: Freiwillig zog Yuko (Fusako Urabe) nach der alliierten Invasion in das Kriegsgebiet, geriet dort in Geiselhaft, wurde wieder freigelassen und wird seit ihrer Rückkehr in die Heimat von ihren Landsleuten übel drangsaliert. Selbst ihr Vater verliert seinen Job - und bald darauf sein Leben. "Bashing" ist das genaue Gegenteil eines Werbefilms für Japan: Trübe und trostlos erscheint das Land, gemein oder lethargisch wirken seine Bewohner. Angesichts dieser Tristesse verließen die Journalisten schon in der Mitte des Films scharenweise den Saal - von ihren verbleibenden Kollegen neidvoll beäugt wie von Sträflingen, die noch zehn Jahre absitzen müssen, während ihre Zellengenossen gerade auf freien Fuß kommen.
Da macht es Fatih Akin, dieses Jahr auch Jury-Mitglied, seinen Zuschauern und Zuhörern in seiner Dokumentation "Crossing the Bridge - The Sound of Istanbul" dann doch erheblich leichter: Der Film ist trotz aller konzeptionellen Schwächen und eines etwas onkelhaften Alexander Hacke (dem Bassisten der "Einstürzenden Neubauten") in der Rolle eines musikalischen Fremdenführers eine kurzweilige Tour de Force durch die vielfältige Musik-Szene der Metropole am Bosporus und feiert - was in Cannes auf den Straßen viel selbstverständlicher ist als auf der Leinwand - ganz unverhohlen die Lebensfreude.