Manson in Pop, Film und Malerei Das Böse und die Kunst

Vor 50 Jahren schockierten die Morde der "Family" von Charles Manson, nächste Woche startet Quentin Tarantinos neuer Film über das Jahr 1969. Folgen Sie uns auf Manson-Spurensuche in der Pop- und Kunstgeschichte.
Charles Manson auf dem Weg zum Gericht 1969

Charles Manson auf dem Weg zum Gericht 1969

Foto: Anonymous/ AP

Die Beatles als unfreiwillige Manson-Stichwortgeber

Für immer mit dem Namen Charles Manson verbunden bleibt das "White Album" der Beatles, das Manson nach seiner Veröffentlichung im November 1968 geradezu obsessiv analysierte. Aus Songs wie "Helter Skelter" und "Piggies" glaubte er Belege für seine rassistische Verschwörungstheorie herauszulesen; die Songtitel schmierten die MörderInnen an die Wände ihrer Tatorte. Manson sagte dem "Rolling Stone" einmal, die Lieder des "Weißen Albums" kündigten den blutigen Niedergang des weißen Mannes durch eine bevorstehende Revolte der Afroamerikaner an. Die Beatles selbst hielt er für Inkarnationen der vier apokalyptischen Reiter.

John Lennon sagte dazu 1980 in einem Interview mit "Playboy"-Reporter David Sheff: "Der ganze Manson-Kram basierte auf einem Song von George (Harrison) über Schweinchen und Pauls Song über einen englischen Vergnügungspark. Es hat mit nichts etwas zu tun, am wenigsten mit mir." Paul McCartney, der mit "Helter Skelter" sein wohl lautestes Stück Musik schrieb, drückte sich vornehmer aus: "Unglücklicherweise inspirierte es einige Leute zu bösen Taten." Andreas Borcholte

Vincent Bugliosi 1971 vor dem Gericht

Vincent Bugliosi 1971 vor dem Gericht

Foto: ANONYMOUS/ AP

Der Mordfall und seine pop-apokalyptische Auslegung

Die Geschichte der Manson-Family war von Anfang an ein Bestseller. Erst als Dauerbrenner in den Medien, dann als tatsächliches Buch. Wie der Beatles-Song "Helter Skelter", den die Family zu ihrem Schlachtruf für den vermeintlich herbeizuführenden "Rassenkrieg" erkoren hatte, heißt das Sachbuch, das der stellvertretende County-Staatsanwalt Vincent Bugliosi zusammen mit dem Schriftsteller Curt Gentry 1974 veröffentlichte. Mit rund zehn Millionen verkauften Exemplaren gilt es als erfolgreichstes True Crime-Buch aller Zeiten. Bugliosi hatte als Chefankläger die Anklage gegen Manson und seine Anhängerinnen ausgearbeitet. Wie in der Anklage so auch im Buch war sein Anliegen nachzuweisen, dass Manson des Mordes schuldig war, auch ohne selbst einen Messerstich getan zu haben und dass sein Motiv der "Rassenkrieg" gewesen war.

Zwei Mal war Bugliosi erfolgreich: Erst folgten ihm die Richter und sprachen Manson des Mordes ersten Grades schuldig. Dann übernahm die Öffentlichkeit die Idee von rassistisch-faschistisch motivierten Gewalttaten. Dass schon während des Prozesses Zeugenaussagen dieser Interpretation widersprachen und die Morde vielmehr von anderen Verbrechen ablenken sollten, ließ Bugliosi weder im Prozess noch im Buch gelten. "Helter Skelter" - schwarz gegen weiß zum Sound der Beatles: Das war als pop-apokalyptische Vision einfach so stark, dass sich ihr selbst ein Staatsanwalt nicht entziehen konnte. Hannah Pilarczyk

Die "Manson-Girls" 1970 - Vorbild für die Figuren in Emma Clines "The Girls"

Die "Manson-Girls" 1970 - Vorbild für die Figuren in Emma Clines "The Girls"

Foto: George Brich/ AP

Gewalt als Antwort aufs Kamasutra

In "Once Upon a Time in Hollywood", Quentin Tarantinos Film über das Los Angeles der späten Sechziger, interessieren den Regisseur die sogenannten Manson-Girls nur als Bedrohungspotenzial: In aggressiv anmutenden Rotten stehen sie wie Zombies herum und starren mit kalten Augen auf die älteren Hauptdarsteller-Herren Brad Pitt und Leonardo DiCaprio.

Eine differenzierte Annäherung an die Heranwachsenden versucht Emma Cline in ihrem 2016 erschienenen Roman "The Girls": Darin erzählt die US-Autorin vom Heranwachsen in Kalifornien. Die Erwachsenen sind so sehr mit ihrer Selbstfindung, und so würde man heute wohl sagen, mit ihrer Selbstoptimierung beschäftigt, dass sie ihre pubertierenden Kinder komplett aus den Augen verlieren (Lesen Sie hier eine Rezension). Clines Sprache ist sanft - führt aber direkt in den Abgrund. Nach ihrer Lesart ist die Verwahrlosung und Gewalt eine radikale Antwort der "Girls" auf Proteindiät, Schreitherapie, Kamasutra und sonstige in den Sechzigern praktizierten Selbstveredelungsdisziplinen. Christian Buß

Stefan Hunsteins Triptychon "69"

Stefan Hunsteins Triptychon "69"

Foto: Stefan Hunstein

Charlie als Chiffre für Gewalt in der Kunst

In der Kunst ist Manson der Antiheld, sein Mythos wird benutzt für die Prise Shocking-Effekte, als plakatives Symbol des Bösen, der Gewalt, des Umbruchs. In einer Multimediaarbeit inszeniert Susanne Weirich die von Manson entsandten Mörderinnen als Popband und überblendet sie mit Szenen der TV-Serie "Drei Engel für Charlie" - eines weiblichen Trios, das seine Aufträge ebenfalls von einem mysteriösen Charles erhält.

Im Triptychon "69" kombiniert Fotokünstler Stefan Hunstein das Ende der Hippie-Unschuld in einem Jahr der Extreme: Manson, Mondlandung und das Altamont-Konzert der Rolling Stones, auf dem Chaos und Gewalt regierten. Manson ist der Kunstgriff, der schnelle Aufmerksamkeit garantiert, und das fasziniert allerlei Randgruppen: Im vergangenen Jahr noch erklärte in den USA ein finsterer Manson-Verehrer, er habe dessen Überreste mit Menschenblut gemischt und damit vier Porträts des Mörders und Rassisten gemalt. Carola Padtberg

David Duchovny in "Aquarius"

David Duchovny in "Aquarius"

Foto: Ron Batzdorff/ NBC/ Getty Images

Manson, die ewige Blaupause für das Böse

Was waren die späten Sechziger? Tatsächlich eine Zeit, die überkommene gesellschaftliche Strukturen infrage stellte und für eine liberale Öffnung stand? Oder von vornherein vergiftet durch Ich-Bezogenheit und Egomanie, die im Fall von Charles Manson in einen verbrecherischen Kult mündeten? Die NBC-Serie "Aquarius" von 2015 gibt vor, tief in die Zeit und ihre kulturellen Chiffren einzutauchen, samt einem Best-of-Soundtrack, der gefühlt alle ab 1967 veröffentlichten Songs herunterdudelt (Lesen Sie hier eine Rezension).

Schnell entpuppen sich die Sixties hier aber als Kulisse für einen generischen Krimi, in dem David Duchovny als harter Cop einen durchgeknallten Kriminellen jagt, dessen Name Charles Manson ist. Viel mehr als den Namen hat dieser Fernsehpsychopath allerdings nicht mit dem historischen Manson zu tun, und im Zuge einer immer stärkeren Fiktionalisierung geht "Aquarius" auch jede Doppelbödigkeit verloren. Nach der zweiten Staffel war 2016 Schluss, jetzt läuft die Serie bei Netflix. Oliver Kaever

Dennis Wilson (l.) und Charles Manson

Dennis Wilson (l.) und Charles Manson

Foto: Getty Images

Der Mörder-Guru als verhinderter Popstar

Im Sommer 1968 sah es kurz so aus, als könnte Charles Manson ein Popstar werden, also ein echter, keine finstere Kultfigur. Beach-Boys-Drummer Dennis Wilson, damals frisch geschieden, tauchte nur allzu gerne in den libertären Hippie-Vibe der Manson-Family ein und ließ den ambitionierten Folksänger und zwei seiner Jüngerinnen bei sich wohnen. So ergaben sich Aufnahmesessions, die Wilson mit dem Produzenten Terry Melcher arrangierte, der damals noch in jenem Haus am Cielo Drive wohnte, in das wenig später Roman Polanski und Sharon Tate einzogen.

Dem Musikindustrie-Profi (u.a. Byrds) gefielen jedoch weder Mansons Songs, noch dessen aggressive Attitüde. Die Beach Boys nahmen für ihr Album "20/20" (1969) dennoch eine Version des Manson-Songs "Cease To Exist" auf und nannten sie "Never Learn Not To Love". Als Urheber wurde nur Dennis Wilson aufgeführt: Manson hatte seine Rechte für ein Motorrad und Bargeld an ihn verscherbelt. So bleibt als einziges musikalisches Zeugnis des eher mediokren Songwriters Manson sein eigenes Album "LIE: The Love & Terror Cult" , das im März 1970 herauskam, als er bereits im Gefängnis saß. Angeblich verkaufte der Produzent Phil Kaufman, eine frühere Knastbekanntschaft Mansons, lediglich 300 von 2000 Exemplaren. Das Album mit kruden Singsängen wie "Garbage Dump" und irre blickender Fratze auf dem Cover gilt als Vinylrarität. Andreas Borcholte

Szene aus "Legion"

Szene aus "Legion"

Foto: FX Networks

Das gefährlich handlungsfähige Fan-Tum der "Girls"

In "Bond"-Filmen haben die Bösewichte mit Weltzerstörungsabsichten Raketenarsenale, manipulierte Satelliten und Atombomben zur Hand, ihnen auf den Fersen: eine Delegation von Geheimagenten. In der FX-Serie "Legion" steht auch ein Bösewicht mit Weltzerstörungsabsichten im Mittelpunkt, ihm auf den Fersen: ebenfalls eine Delegation von Geheimagenten (Lesen Sie hier eine Rezension). Doch wie für eine Superheldenserie angemessen, die nicht nur ihr eigenes Genre neu imaginiert, sondern die Popkultur an sich als ihren Erzählfundus betrachtet, hat der weltzerstörerische Mutant David die popkulturell wirkmächtigste Waffe zur Verfügung: Manson Girls - junge Frauen mit manischen Augen, deren Gewaltbereitschaft von ihrem Anführer nur mit Mühen eingehegt werden kann.

Dass David kein Charly Manson ist und statt Hakenkreuz-Tattoo zwischen den Augen indische Seidenkaftane trägt: geschenkt. Der Pop-Krieg wird mit den Mitteln des soft power geschlagen, und in einer Welt, in der weibliches Fan-tum nach wie vor lächerlich gemacht wird, sind Manson Girls immer noch die ultimativen Wiedergängerinnen männlicher Horrorvorstellungen. Hannah Pilarzcyk

Szene aus "Charlie Says"

Szene aus "Charlie Says"

Foto: ddp images/ Capital Pictures

Die Kommune als Sklavereisystem

"Look At Your Game Girl" ist einer der bekannteren Songs von Charles Manson, aber die zahlreichen "Girls", die ihm in seiner Kommune zu Diensten standen, finden sich leider nur selten im Fokus von Abhandlungen und Dramatisierungen über die Manson-Family. Die Regisseurin Mary Harron ("American Psycho") nimmt daher in ihrem Film "Charlie Says" (2018) eine konsequent weibliche Perspektive ein - und erzählt die Geschichte der Manson-Morde anhand der verurteilten Täterinnen Patricia Krenwinkel (alias Katie), Susan Atkins (Sadie) und Leslie Van Houten (Lulu) (Lesen Sie hier eine Rezension).

Basierend auf den Studien der Kriminologin Karlene Faith und Ed Sanders' Buch "The Family" entlarvt Harron Mansons paternalistisches Sklaverei- und Gewaltsystem, auf das sich die jungen Frauen, charmiert von seinem Gesäusel über alternative Lebensmodelle und freie Liebe, bereitwillig einlassen. Ihr Alltag auf der Ranch, der in mörderischem Wahn mündet, wird gespiegelt mit Szenen aus dem Gefängnis, in dem das Trio nach und nach seine Motive und Taten reflektiert. Ein herausfordernder Blick auf die komplexe Beziehungsstruktur hinter dem Manson-Mythos. Andreas Borcholte

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