Nachruf auf Christopher Plummer Der beste zweite Mann

Christopher Plummer
Foto: Mario Anzuoni / REUTERSEs war immer eine Freude, ihn zu sehen. Christopher Plummer darf als eher nicht so großer Schauspieler der Filmgeschichte bezeichnet werden. Geliebt wurde er dennoch, für sein im Alter poetisch zerfurchtes Pokerface und Schurkengesicht. Und für seinen trockenen und vermutlich typisch kanadischen Humor.
»Du hättest von Anfang an mich besetzen sollen«, hat Plummer angeblich Meisterregisseur Ridley Scott angeknurrt, als der ihn 2017 als Notnagel holte. Auf Scotts Geheiß stellte der 88-jährige Plummer damals neun Drehtage lang für das eigentlich schon abgefilmte Entführungsdrama »Alles Geld der Welt« den Millionär John P. Getty dar, im Film kein netter Typ.
Plummer war der Ersatzmann für Kevin Spacey, den der Regisseur rüde aus dem bereits fertigen Film herausgeschnitten hatte, wegen von Spacey teils eingestandener Missbrauchsvorwürfe. Als er den Job übernahm, wirkte Plummer nicht ernsthaft gekränkt. Dass er im Kino tendenziell zweite Wahl war, hatte er in seinem langen, sagenhaft abenteuerlichen Schauspielerleben oft genug erfahren.

Plummer (l.) als Millionär Getty 2017 in »Alles Geld der Welt«
Foto: ZUMA Press / imago imagesEigentlich wollte Christopher Plummer, der nun im Alter von 91 Jahren an den Folgen eines Sturzes gestorben ist, als Pianist groß herauskommen. Er kam in Toronto zur Welt, wuchs in Montreal auf. Mit Anfang 20 geriet er trotz seiner Begeisterung für klassische Musik und Jazz als Schauspieler ans Theater und spielte allerlei klassische Heldenrollen. Er war eine kurze erste Ehe lang mit einer Kollegin verheiratet und wurde Vater einer Tochter namens Amanda, die sich dann auch für die Schauspielerei begeisterte.
»Sound of Music» fand Plummer »lausig«
Er durfte sich in den Theatern des Broadway in New York feiern lassen und bekam seine wichtigste Filmrolle in jungen Jahren als Kapitän Georg von Trapp in »Sound of Music« aus dem Jahr 1965.
Es ist einerseits zum Kopfschütteln bescheuert, dass gerade dieser Auftritt noch postmortal an ihm klebt, andererseits schon auch ein Grund zum Lächeln. Das schamlos doofe, rätselhafterweise von vielen Bewohnerinnen und Bewohnern der USA und von sonst kaum jemandem angehimmelte Musical über die Trapp-Familie, in dem blümerante Bergwiesen und die Bedrohung durch die Nazis die Hauptrollen spielen, nannte Plummer selbst »lausig« und hohl.

Silver Screen Collection / Getty Images
»Dieser verfluchte Film verfolgt mich mein Leben lang wie ein Albatros« beklagte er einmal seinen »Sound of Music«-Ruhm als steifbeiniger, verwitweter, zäh zu einer neuen Liebe bekehrter Familienvater im Trachtenjanker. Wiederholt mutmaßte er, das Musikfilm-Machwerk von Robert Wise habe ihn zu einer Filmkarriere im Mittelmaß verdammt.
Nun, zu Plummers Tod, ploppt die Trapp-Rolle wieder in allen Nachrufen auf, auch in diesem. Egal, er selbst rief, als er im Alter von 82 Jahren seinen ersten Oscar bekam, auf der Bühne in Los Angeles: »Wo warst du mein ganzes Leben lang?«
Wie es sich für seine Kinolaufbahn gehört, bekam Plummer den Oscar als bester Nebendarsteller
Selbstverständlich hat eine Oscarauszeichnung so gut wie nichts mit künstlerischer Qualität zu tun. Dieses Grundgesetz, gültig für sämtliche Kulturpreise, gerät bei Kritikerinnen und Kritikern zwar manchmal in Vergessenheit, lässt sich aber an »Beginners« leicht belegen. So hieß der denkwürdig billig konstruierte Film des Regisseurs Mike Mills aus dem Jahr 2010, in dem Plummer einen knorrigen alten Herrn spielte, der sich gegenüber seinem von Ewan McGregor gespielten Sohn reichlich spät im Leben als schwul outet.
Der von Plummer dargestellte Mann muss dann erleben, dass nicht die Offenbarung seiner jahrzehntelangen Lust- und Seelenqualen das Thema eines Familiendramas wird, sondern die nun wirklich unerhebliche Verblüffung seines Sohnes. Wie es sich für seine Kinolaufbahn gehört, bekam Plummer den Oscar als bester Nebendarsteller. Immerhin ist er bis heute der älteste Oscarpreisträger der Geschichte.
»Leide nicht für deine Kunst, versuche, dich mit ihr zu amüsieren«: Diesen Merksatz hat Plummer seinen Kolleginnen und Kolleginnen hinterlassen. Im Lauf seiner Karriere hat er den General und sogenannten Wüstenfuchs Erwin Rommel verkörpert, den Schriftsteller Rudyard Kipling und den Aztekenfürsten Atahualpa.
Er spielte auch sonst allerhand weg, was an Angeboten kam: den Dichter Leo Tolstoi zum Beispiel oder den Detektiv Sherlock Holmes. In seinem Fall ist es keine Floskel zu behaupten, dass er mit dem Alter an Kontur und Magie gewann. Er war als finsterer General Chang im Crowdpleaser »Star Trek VI – Das unentdeckte Land« (1991) unterwegs, in Ron Howards Mathematikgenie-Rührstück »A Beautiful Mind« (2001) ebenso wie in David Finchers grandiosem Thriller »Verblendung« (2011).
Immer inkarnierte er einen Nebenpart, den Typ des tendenziell Geheimnisvollen, Niederträchtigen, Mitleidenden, auch mal eulenäugig Generösen. In Michael Manns »The Insider« verkörperte Plummer hingebungsvoll einen in den USA berühmten Fernsehnachrichtenmann und spielte immerhin Al Pacino und Russell Crowe an die Wand.

Plummer 1999 als TV-Nachrichtenmann in »The Insider«
Foto: imago stock&people / United Archives / imago imagesSein beträchtliches Selbstbewusstsein schöpfte Plummer aus der Anerkennung, die ihm als Theaterdarsteller zuteil wurde. Unter seinen Bühnenhits am Broadway waren Bertolt Brechts »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« in den Sechzigerjahren und der unglückliche Cyrano de Bergerac im Musical »Cyrano« nach Edmond Rostand in den Siebzigern.
Vor allem aber trumpfte Plummer in New York und in London in vielen großen Shakespeare-Rollen auf. Auf Fotos kann man ihn als aaligen Jago und als furchterregenden Macbeth ebenso bewundern wie als gründlich zerzausten König Lear. Noch als 80-Jähriger spielte er den Herzog Prospero in Shakespeares »Sturm«.
Selten einen Drink abgelehnt, viele Nächte durchgefeiert
Privat war der unermüdlich rackernde, die Schauspielerei stets als Dienstleistung begreifende Plummer mehr als 50 Jahre lang mit seiner dritten Ehefrau Elaine Taylor verheiratet, die selbst als Schauspielerin und Tänzerin arbeitete. Er hat, wie er in seiner 2008 veröffentlichten Autobiografie »In Spite of Myself« berichtete, selten einen Drink abgelehnt und viele Nächte durchgefeiert.
Seine Herkunft aus gutem Hause hat Arthur Christopher Orme Plummer, Urenkel eines kanadischen Premierministers, als heitere Last beschrieben. »Die meisten guten Schauspieler kommen aus der Gosse und bringen einen natürlichen Zorn mit. Ich musste eine Menge Zeit und Kraft darauf verwenden, mir diesen Zorn beizubringen.«