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Neo-Western "True Grit": Von Plumpsklos und Pistoleros

Foto: AP/ Paramount Pictures

Coen-Western "True Grit" Am Anfang war das Blei

Jedes Wort eine Kugel, jede Kugel ein Bibelzitat: Schießen, Sprechen und Beten sind in "True Grit" eins. Der furiose Rachewestern der Regie-Brüder Joel und Ethan Coen wird beim Oscar 2011 nicht leer ausgehen.

Können Cowboys reden? Verfügen Revolverhelden über ein Sprachzentrum? Oder ziehen sie nur deshalb so oft ins Duell, weil kommunikative Vorgänge sie überfordern? Jeder Western, mag er auch noch so hart sein, ist immer auch eine Komödie. Denn spätestens wenn die Männer Stetson und Waffe ablegen, um sich ohne Bleivergießen zu artikulieren, also vor Gericht oder vor dem anderen Geschlecht, was moralisch im klassischen Western ungefähr dieselbe Instanz ist, spätestens dann geraten sie ins Stottern.

John Wayne, ansonsten ja nicht unbedingt ein Komödiendarsteller, war in fast jedem seiner Western so ein Stotterer. Von ihm, der ja stets eine untrennbare Einheit mit den Machos bildete, die er spielte, stammt der vielfach zitierte Ausspruch: "Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss." Ein Satz, der nicht viel Raum für formaljuristische Feinabstimmungen oder ethische Debatten lässt.

Ethan und Joel Coen haben nun das Remake eines späten John-Wayne-Westerns in Szene gesetzt - es ist, oh Wunder, ein Film über Sprache geworden. Ein Film, der kommunikationsunfähige Wracks beim Reden zeigt. Und es ist, obwohl man mehr als einmal lachen muss, ganz und gar keine Komödie. Im Gegenteil, "True Grit" ist das Drama einer ganz jungen und einer ganz alten Person, die genre-typisch "tun, was sie tun müssen" - aber auch eine Sprache suchen, um sich zu legitimieren. Jedes Wort wird so zur Kugel.

"Der Marshal" lautete der deutsche Titel des Originals aus dem Jahr 1969; Regie-Routinier Henry Hathaway ("Land der tausend Abenteuer") setzte ihn damals als brummbärige Hommage an seinen Freund John Wayne in Szene, der sich selbst ein bisschen auf die Schippe nahm. Erzählt wurde (nach dem Roman von Charles Portis) die Geschichte eines angeschlagenen Revolverhelden, der von der jungen Mattie beauftragt wird, den Mörder ihres Vaters zur Rechenschaft zu ziehen. Der wortkarge Alte und die vorlaute Göre - das war die Erzählkonstruktion, die von Hathaway pointensicher, aber auch vorhersehbar ausgereizt wurde.

Zwischen Plumpsklo, Gerichtssaal und Prärie

Die Brüder Coen, die ja schon vor drei Jahren mit "No Country for Old Men" die Prinzipien des klassischen Westerns ins neue Jahrtausend geholt haben, ringen diesem Verhältnis nun eine tiefere Dimension ab: Was im Original wie eine skurrile Versuchsanordnung wirkt, wird bei ihnen mit biblischem Ernst vorangetrieben. "Der Gottlose flieht, auch wenn niemand ihn jagt", heißt es gleich am Anfang des Films.

Gehetzt, gejagt, in die Enge getrieben scheinen auf den ersten Blick eigentlich alle Figuren in "True Grit" - außer Mattie (Hailee Steinfeld). Die ist 14, will den Mord an ihrem Vater rächen und sucht dafür einen Mann, der noch Ehre und Ehrgeiz im Leib hat. Was sich als schwierig erweist im frontier land der 1870er Jahre, in dem die Grenzen schon halbwegs abgesteckt sind und die Revolverhelden entweder altersmüde ihre Wunden lecken oder einfach nur noch ihren einst blutig erworbenen Mythos buchhalterisch und biographieverliebt verwalten. Erstaunlich, was für Kunstnamen sich diese Herren, die doch eigentlich kein überflüssiges Wort über die Lippen bringen, zugelegt haben!

Die junge Mattie entscheidet sich schließlich für Rooster Cogburn (Jeff Bridges), einen gunman mit Augenklappe, Alkoholproblem und Magenleiden. Am Anfang verhandelt sie mit ihm noch durch die geschlossene Tür eines Plumpsklos, da hört man nur seine gedrückte Stimme. Etwas später bekommt der Mann dann einen umso weihevolleren Auftritt: Vor Gericht muss Cogburn seinen letzten Einsatz als US-Marshal legitimieren, bei dem mal wieder einige Männer ums Leben gekommen sind.

Beeindruckend, wie hier düster scheppernd die Stimme aus dem letzten Winkel des abgewrackten Körpers hervorgepresst scheint - als ob es sich dabei um eine lange nicht mehr zum Einsatz gebrachte Kraft handelt: Der kommunikative Akt, er wird bei diesem Schießdrauf zum eigentlichen Gewaltakt. Und auch der sich später zum Rächergespann gesellende Texas Ranger LaBoeuf (Matt Damon) verwendet viel Zeit darauf, seinen Ruf mit umständlicher Rhetorik zu verteidigen.

Parallel zu den aberwitzig schwergängigen Wortpassagen, bei denen es oft darum geht, ob man die zuvor Erschossenen noch unter die Erde bringt und wenn ja in welcher Ausführung, setzen die Coens die wenigen, aber furiosen Duellszenen mit genauem Gespür für fatale Verzögerungen und beiläufige Tragik in Szene. Es fließt nicht viel Blut, es fliegt nicht viel Blei - aber in seiner Reduktion kommt der Western äußerst wirkungsträchtig daher. Etwa wenn Mattie nach einem Schuss mit dem Gewehr vom Rückstoß in eine Schlangengrube geschleudert wird, oder wenn zwischen Abzugklicken und tödlichem Kugeleinschlag einige Momente vergehen.

Die Stille nach dem Schuss - sie besitzt in diesem nahezu ironiefreien Neo-Western etwas Religiöses. So wie hier jedes Wort eine Kugel ist, wird schließlich jede Kugel zum Bibelzitat. Erstaunlich: John Wayne, der alte Schweiger, wirkt angesichts dieses sakralen verbalen Minimalismus geradezu wie ein Quasselkopf.

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