Comic-Verfilmung "300" Die spartanischen Verse
Wenn es eine Schlüsselszene in "300" gibt, dann diese: Spartaner-König Leonidas (Gerard Butler) steht gutgelaunt auf dem Schlachtfeld und isst genüsslich einen Apfel, während seine Männer ringsherum den noch zuckenden Feindeskörpern mit vehementen Speerstößen den Garaus bereiten.

Gerard Butler als Leonidas in "300": Rooting for the bad guy
Foto: WARNER BROS.Spätestens hier - etwa in der Mitte des Films - soll sich der Zuschauer mit diesem Haufen brutaler, unmoralischer Kerle solidarisiert haben und vergnügt kichern, wenn Köpfe rollen. In einem Genre-Experiment wie diesem muss man den Regeln folgen, um Spaß zu haben. Rooting for the bad guy heißt es im Amerikanischen, wenn man ausnahmsweise mal für den Bösen ist. Wem so viel Abstraktion nicht gelingt, dem wird "300" zwangsläufig bedenklich und im Höchstmaß fragwürdig vorkommen. Der Film zeigt die - historisch verbürgte - Schlacht von 300 Spartanern gegen das angeblich bis zu 170.000 Mann starke Heer des Perser-Königs Xerxes I. um 480 vor Christus bei den Thermopylen, einem zu damaliger Zeit angeblich nur fünf Meter breiten Engpass im Kallidromos-Gebirge am Mittelmeer.
Das bildmächtige Helden-Epos, das auf der Berlinale außer Konkurrenz gezeigt wurde, gehört bereits jetzt zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres und stellte in den USA mit 70,8 Millionen Dollar Startumsatz - trotz Altersbeschränkung - einen neuen Frühjahrs-Rekord auf. Seit Anfang März spielte "300" alleine in den USA rund 180 Millionen Dollar ein. Doch während sich das US-Publikum anscheinend glänzend amüsierte, gab es unter Kritikern heftige Diskussionen: Der "Tagesspiegel" attestierte einen "unheimlichen Fascho-Flair", die "FAZ" beschwor Leni Riefenstahls Herrenmenschen-Ästhetik und die "Stuttgarter Zeitung" unkte, dass Hollywood mit diesem Film "zur ideologischen Aufrüstung des Westens" beitrage, von der vielerorts als unangenehm empfundenen Homoerotik mal ganz abgesehen.
Vermeintlich faschistoid
Nicht nur deutsche Feuilletons erregten sich aus zeitgeschichtlich nachvollziehbaren Gründen, auch die "New York Times" ereiferte sich: "300" sei ungefähr so brutal wie Mel Gibsons "Apocalypto" - und doppelt so dumm. Und weil Parallelen zu kontroversen Gibson-Filmen anscheinend nicht ungestraft gezogen werden dürfen, gab es neben Protesten von Schwulenvereinigungen auch gleich noch diplomatische Verstimmungen. Ein "Propagandawerk zur Verunglimpfung des iranischen Volkes" sei "300", protestierte Teheran, weil die persischen Heerscharen im Film ziemlich alt (und hässlich) aussehen gegen die durchtrainierten Spartaner-Krieger. Leonidas, deren Anführer, sei ein Sinnbild für George W. Bush, der seine GI-Truppen ebenfalls gegen ein übermächtiges islamisches Heer führe, so die Kritik. Antikes Schlachtenspektakel mit bolleriger Blut-und-Boden-Rhetorik als metaphorisches Durchhaltekino für die US-Jungs am Golf?
Alles Blödsinn. Sein Film sei total unpolitisch und allein dazu gedacht, dem Zuschauer zwei nette, unterhaltsame Stunden im Kinosessel zu bescheren, bemüht sich Zack Snyder in zahlreichen Interviews zu betonen. Es gibt keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Dem Regisseur des überaus gelungenen Zombie-Remakes "Dawn of the Dead" (2004) ist wohl erst allmählich klar geworden, welche Dämonen er mit seiner stilistischen Fingerübung geweckt hat.
60 Millionen Dollar Budget leierte der 40-Jährige dem von Flops wie "Poseidon" und "Superman Returns" geplagten Studio Warner Brothers aus dem Kreuz, um Frank Millers Comic-Roman "300" auf die Leinwand zu bannen. Statt großer Stars gab es exzessive Bluescreen-Einsätze und viel Computer-Leistung. Zur Überraschung aller Beteiligten hat sich die Investition mehr als gelohnt, Kontroverse hin oder her. "Glauben Sie nicht auch, dass es bei Projekten dieser Größenordnung etliche Leute gibt, die ein ums andere Mal draufschauen, ob auch wirklich nichts Anlass zu Klage oder Provokation gibt?", verteidigte sich der Regisseur in einem Interview mit der "Welt" gegen das vermeintlich Faschistoide seiner Bildsprache.
Blutrünstige Tableaus
So ist schon fasst das Ärgerlichste an "300", dass er eben tatsächlich nichts anderes sein will, als ein visuell aufregender Popcorn-Spaß - und eine penible Umsetzung der Comic-Vorlage mit filmischen Mitteln. Leider hält sich Snyder viel zu sklavisch an das Original und verzichtet - ganz anders als bei "Dawn of the Dead" - auf einen mittlerweile elementaren Bestandteil des Genre-Kinos: Selbstironie. Es gibt keine Meta-Ebene, keine politische, noch nicht einmal eine humoristische Dimension in "300", zumindest keine gewollte.
1998, also lange vor George W. Bush, veröffentlichte der amerikanische Kult-Autor Frank Miller ("Sin City") seine Geschichte über Leonidas und seine 300 Soldaten, die ihren Feldzug am Ende durch einen Verrat verlieren und allesamt sterben. Ihr heldenhafter Einsatz verschaffte den bis dato zerstrittenen Griechenstämmen genug Luft, um sich zu einigen und gemeinsam gegen Xerxes und sein Riesenheer zu formieren. Die mythisch verbrämte Schlacht bei den Thermopylen, den "heißen Toren" eines engen Gebirgspasses, gilt manchem als wichtige Station auf dem Weg zum demokratischen Abendland.
Das mag sein - oder auch nicht. Miller jedenfalls, der sich mit Porträts von gebrochenen Heldenfiguren wie Daredevil und Batman einen Namen machte, ging es nicht um historische Genauigkeit, ihn faszinierte der Kriegsgeist und die stramme Militärdiktatur der Spartaner, deren Kult um Willenskraft und gestählte Körper, die im Kampf genauso als Waffen dienten wie Speere und Schwerter. Als Kind habe er Rudolph Matés Abenteuerfilm "The 300 Spartans" von 1962 gesehen. Die Story über die 300 Kamikaze-Krieger, ihren einsilbigen, aber charismatischen Anführer, ihren Feldzug und ihre grandiose Niederlage habe ihm klargemacht, dass ruhmreiche Helden nicht immer moralisch aufrechte Siegertypen sind. Ende der neunziger Jahre zeichnete er seine Version der Geschichte und ließ sie von seiner Kollegin Lynn Varley in blutrünstige Tableaus tuschen. Die graphic novel "300" ist ein expressionistisches Meisterwerk voller grausam-dynamischer Bilderfolgen in düsteren Rot-, Gelb- und Brauntönen.
Regisseur Snyder gelang es, diesen radikalen Look nahezu eins zu eins auf die Leinwand zu bannen. Das lässt sich durchaus sehen, auch wenn der übermäßige Einsatz von Computer-Kulissen und -Effekten zuweilen für eine allzu artifizielle Stimmung sorgt. Während die Bilder bei Miller vor lauter Dreck, Staub und Kraft zu pulsieren scheinen, wirken ihre bewegten Kino-Pendants oft steril, mag noch so viel schwarzes Pixelblut durch die Gegend spritzen - ein intermediales Paradoxon.
Dennoch bleibt "300" auch dank einiger spektakulärer Zeitlupensequenzen ein visuelles Erlebnis, das über viele inhaltliche Mängel (und eindimensionale Dialoge) hinwegtröstet. In der Optik liegt wohl auch der Schlüssel zum erstaunlichen Erfolg des Films, der zum einen von einer ausgeklügelten Marketing-Kampagne im Internet begleitet wurde, zum anderen aber auch ein bisher inaktives Blockbuster-Publikum anspricht, das sich weniger für Story und Subtext denn für visuelle Avantgarde interessiert und begeistert.
"Revenge of the Nerds" nannte die US-Zeitschrift "Entertainment Weekly" diesen Effekt und meinte das Heer von Comic-Fans und Computer-Freaks jenseits des Teenager-Alters, die jetzt, da die moderne Filmtechnik die originalgetreue Umsetzung von Grafik-Epen wie "Sin City" und "300" erlaubt, scharenweise in die Kinosäle strömt. Für einen Großteil dieser Klientel dürfte der Kinofilm ohnehin nur ein Teaser-Trailer für das zugehörige Computerspiel sein, in dem man dann selbst mitmachen kann beim politisch herrlich unkorrekten Perser-Metzeln. Bloß nicht zu viel drüber nachdenken.