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Comic-Verfilmung "Huhn mit Pflaumen" Irâne lieben und sterben

Nach dem furiosen Zeichentrickfilm "Persepolis" hat sich die iranische Comic-Künstlerin Marjane Satrapi an ein Kinomärchen mit echten Schauspielern gewagt. "Huhn mit Pflaumen" hat Stil und berauschende Bilder - doch leider fehlt eine charismatische Hauptfigur.

Nasser Ali Khan ist ein sehr, sehr trauriger Mann. Vor vielen Jahren zerbrach seine eine große Liebe und hinterließ einen mit nichts zu betäubenden Schmerz, der sein Tod gewesen wäre - wenn sein Lehrer ihm damals nicht diese Geige geschenkt hätte. Mit ihr, und nur mit dieser einen, konnte der damals junge Violinist sein ganzes Unglück in schönsten, reinsten Klang verwandeln. Die Welt feierte ihn bald dafür, sein Leben wurde nicht glücklicher, aber es hatte einen Sinn.

Nun, im Jahr 1958, ist auch die Geige zerbrochen, und Nasser Ali Khan hat nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt. Nicht seine Heimat Teheran, die er liebt, in der aber allen das Leben schwergemacht wird, die den regierenden Schah nicht lieben. Nicht seine Frau, die er nur heiratete, weil sie eben übrig war. Nicht seine beiden Kinder, die er gern hat, die ihm aber immerhin so gleichgültig sind, dass er sich vor ihren Augen umbringen würde. Doch das muss er nicht. Er weiß, dass er ohne die Musik ohnehin bald sterben wird. Acht Tage gibt er sich. Lange genug, um ein bisschen über sein verpfuschtes Leben nachzudenken.

Es gibt einiges zu lieben in Marjane Satrapis und Vincent Paronnauds neuem Film "Huhn mit Pflaumen", doch die Hauptfigur gehört sicher nicht dazu. Nasser Ali Khan, mit viel Einsatz gespielt von Mathieu Amalric, mag es nicht immer leicht gehabt haben im Leben, aber das entschuldigt nicht, was für ein grässlicher Mensch aus ihm geworden ist. Ein Egomane, der sich einen Dreck um das Glück anderer Menschen schert, auch wenn es die sind, die ihm am nächsten stehen. Mitleid hat er nur mit sich selbst. Vor allem für seine Frau, die ihn ergeben liebt, hat er nichts als Verachtung übrig. Keiner, für den man viel Empathie entwickeln kann.

Unbewiesene Leidenschaft

Was ein Problem von "Huhn mit Pflaumen" ist. Wer investiert schon gern anderthalb Stunden seines Lebens in einen Menschen, den er nicht mag? Satrapi und Paronnaud versuchen im Lauf des Films, das Leben dieses Mannes aufzufächern, zu erklären wie er so geworden ist, dass in ihm doch das Gute, Wahre, Edle steckt. Es gelingt nicht. Die Episoden, an die sich der Mann in seinen letzten acht Tagen vor seinem Tod erinnert, gewähren als kleine, amüsante Anekdoten Blicke in seine Vergangenheit, aber nicht in sein Innerstes. Seine große persönliche Tragödie, die letztlich unerfüllte Liebe des Individualisten zu seiner Angebeteten Irâne (nein, die heißt nicht zufällig so), wird mit ein paar sehnsuchtsvoll schmachtenden Blicken zwischen den beiden dokumentiert, aber mit nichts, was auf tiefe, ewige Leidenschaft schließen lässt. Eigentlich findet er sie nur sehr hübsch. Was sie an ihm findet, bleibt komplett rätselhaft.

Fotostrecke

Iran-Märchen "Huhn mit Pflaumen": Schicker Flickenteppich

Foto: PROKINO

Diese gewisse Oberflächlichkeit, die Voraussetzung großer Gefühle, ohne sie in Bilder fassen zu können, durchzieht den ganzen Film. Das ist nicht immer schlimm, denn die Bilder sehen trotzdem prächtig aus. "Huhn mit Pflaumen" basiert, wie ihr weltweit gefeierter, Oscar-nominierter Erstling "Persepolis", auf einem Comic-Roman von Satrapi - doch dieses Mal hat sie keinen Animationsfilm produziert, der sich an den Zeichenstil der Vorlage hält. Satrapi und Paronnaud siedeln die Geschichte in der realen Welt an, die sie mit vielen kleinen Animations- und Farbspielereien zwischendurch ein bisschen bunter machen. Eine surreale Mondscheinfahrt durch die Berge, ein Ausflug in die Welt des Todesengels Azrael, ein Besuch bei einem Opium rauchenden Geigenhändler - das sind gemäldegleiche Szenen von berauschender bis absurder Schönheit. Man fühlt sich manchmal wie ein glücklicher Badegast in einem Meer visueller Ideen. Dass gelegentlich ein paar VIPs vorbeischauen, wie Isabella Rossellini als Nassers Mutter in einer Rückblende oder Chiara Mastroianni in einem Kurzauftritt als seine schlecht gelaunte Tochter in der Zukunft, schadet dem Vergnügen auch nicht.

Doch wo "Persepolis" (der von Satrapis eigener Kindheit im Iran erzählte) eine klare Linie hatte, Leidenschaft und Feuer, hat "Huhn mit Pflaumen" (der von der Geschichte ihres Großonkels inspiriert ist) eine zerfaserte Dramaturgie, die vieles anreißt und nichts auserzählt. Mehr ein Flickenteppich als ein edler Perser. Aber schön anzusehen allemal.


Huhn mit Pflaumen. Start: 5.1. Regie: Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud. Mit Mathieu Amalric, Maria de Medeiros, Golshifteh Farahani.

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