Comic-Verfilmung "Wolverine" Des Widerspenstigen Zähmung
"Immer bist Du krank", sagt Victor vorwurfsvoll und mit lauerndem Blick zu seinem jüngeren Spielkameraden Logan, der fiebrig im Bett liegt. Der patzt zurück: "Als Du so alt warst wie ich, warst Du auch ständig krank". Bald stellen die beiden Jungs fest, dass sie weitaus mehr verbindet als Konkurrenz und Kameradschaft. Sie sind Brüder, verwandt im Blute und in einer genetischen Anomalie, die ihnen übermenschliche Kräfte, Unverwundbarkeit und furchterregende Krallen verleiht - die sie sogleich zum Vatermord benutzen.
Diese sehr schöne, in Schauermärchenfarben gehaltene Szene eröffnet die neueste Comic-Verfilmung aus dem Hause Marvel. Sie erzählt die Initiationsgeschichte des sehr haarigen, sehr unwirschen X-Men-Mitglieds Wolverine, der in dieser Anfangssequenz, die 1854 in den kanadischen Wäldern spielt, noch ein völlig verunsichertes Kind namens Logan ist.
Problem Jackman
Was macht ein Mensch, wenn er entdeckt, dass er eine Laune der Natur ist, eine Bestie, der knöcherne Auswüchse aus den Händen fahren, die allein zum Töten taugen? Man hört auf den älteren Bruder, schlägt sich in die Büsche und lernt das Handwerk richtig. In einer Zeitsprung-Montage sieht man Victor und Logan prügelnd und schießend als unverwundbare Söldner im amerikanischen Bürgerkrieg, in beiden Weltkriegen und schließlich in Vietnam, wo die uniformierten Freaks auffliegen und von einem dubiosen Colonel aufgefordert werden, gemeinsam mit anderen Mutanten an verdeckten Spezial-Operationen teilzunehmen.
"X-Men Origins: Wolverine", der diese Woche in deutschen und amerikanischen Kinos anläuft, hat sicher gute Chancen, ein Kassenerfolg zu werden. Zum einen, weil Wolverine wegen seines ambivalenten Charakters einer der populärsten Charaktere des Marvel-Universums ist. Zum anderen, weil er nun schon zum vierten Mal vom australischen Sympathieträger und Sex-Symbol Hugh Jackman verkörpert wird, der den jähzornigen Mutanten inzwischen recht charmant und sehr körperbetont gibt.
Genau das aber ist ein Teil des Problems: Für die eigentlich haarsträubende Geschichte, die Drehbuchautor David Benioff auf Grundlage der Comic-Erzählung "Waffe X" geschrieben hat, wirken sowohl Film als auch Hauptdarsteller viel zu glatt. Das Dilemma liegt auf der Hand: Will man die Story eines unterdrückten, misshandelten Außenseiters erzählen, der sich im Namen seiner kreatürlichen Würde gegen einen mächtigen, unmenschlichen Apparat auflehnt? Oder will man Kasse machen mit einem auch beim Teenie-Publikum erfolgreichen Blockbuster, der inhaltliche Tiefen meidet?
Einem guten Regisseur könnte die Synthese gelingen. Doch der Südafrikaner Gavin Hood zeigt kein Händchen für so diffizile Operationen. Sein hartes Township-Drama "Tsotsi" hatte 2005 den Oscar als bester fremdsprachiger Film gewonnen. Seitdem wartet man auf Hoods großen Durchbruch in Hollywood. Mit dem politisch komplexen, dramaturgisch aber missratenen Folter-Thriller "Rendition" haute Hood schon einmal daneben. Und nun musste er seine Qualitäten als Actionfilmer mit Anspruch ausgerechnet bei einer wegen zahlreicher Fan-Befindlichkeiten ohnehin schwierigen Unternehmung unter Beweis stellen.
Oberflächlich ist "Wolverine" natürlich ein solides Hollywood-Produkt voller Suspense und Schauwerten. Aber es gibt eben auch viele verpasste Chancen. Viel zu schematisch werden die Eskalations-Stufen gezündet: Es kommt zum Bruch zwischen Victor und Logan, der sich nicht vom Staat instrumentalisieren lassen will. Gekränkt und getrieben von einer finsteren Agenda, bringt Victor, der sich inzwischen Sabretooth nennt, Logans Freundin um, woraufhin der sich, blind vor Wut und Verzweiflung, doch noch für das "Waffe X"-Projekt des dubiosen Colonel Stryker rekrutieren lässt. Das Raubtier wird zum Versuchskaninchen. Aber keinesfalls gezähmt.
Antiheld als edler Wilder
Logans Knochengerüst wird mit dem außerirdischen Supermetall Adamantium veredelt, was ihn zur unbesiegbaren Mutanten-Waffe machen soll. Die Prozedur verwandelt nicht nur seine aus den Handrücken springenden Knochenkrallen in messerscharfe Metallklingen, sie soll ihn auch zum willfährigen Instrument machen, das sich an frühere emotionale Bindungen und Konflikte nicht mehr erinnert. Bevor jedoch sein Gedächtnis gelöscht wird, kann der frisch Gestählte entkommen und zum Rachefeldzug ansetzen.
Ausgerechnet der Antiheld Wolverine, der bei Marvel erstmals in den vom Vietnam- Trauma geprägten siebziger Jahren auftauchte und in den Comics oft als unberechenbarer, aggressiver Misanthrop gezeichnet wird, muss hier als aufrechter Retter auftreten. Dabei bleiben viele vielversprechende Motive auf der Strecke: Der Konflikt, übermenschliche Kräfte zu besitzen, aber sie nur zum Töten einsetzen zu können. Die Zweck- und Hassliebe zwischen Brüdern, die ohne Vater aufwachsen und nach einer Leitfigur suchen, die, zumindest für Victor, der Colonel übernimmt.
Und letztlich verpufft auch das Motiv eines von Paranoia ins Perverse getriebenen Staates, der einen Militär-Mengele in seinen Reihen duldet, der mit körperlichen oder geistigen Fähigkeiten ausgestattete Mutanten zu Versuchszwecken interniert und verstümmelt. Es steckt viel drin in dieser Idee eines von Angst getriebenen Staates, der die Kontrolle über Gentechnologie, Moral und Ethik verliert. Ausgespielt wird sie in "Wolverine" leider nicht.
"Ihr wolltet doch das Tier in mir", stößt Logan einmal ganz entfesselt durch gefletschte Zähne hervor. Doch traut sich leider niemand der Filmemacher, schon gar nicht Hauptdarsteller und Co-Produzent Hugh Jackman, die ganze psycho- und soziopathische Energie der gequälten Kreatur zu entfesseln. Übrig bleibt das Klischee vom edlen Wilden, der die Liebe und den humanen Funken in sich entdeckt, wo andere, Schwächere, der Verlockung der Gewalt erliegen. Der in diesem Sinne schuldige Bruder Sabretooth, furios gespielt von Liev Schreiber, ist da die weitaus interessantere Figur - schon in der gedrungenen Gestalt erinnert er viel eher an den hässlichen, zur Marder-Familie gehörenden Vielfraß, der im angelsächsischen Raum Wolverine genannt wird.
Vielleicht hätte sich Gavin Hood zur Vorbereitung einen bald 30 Jahre alten Film ansehen sollen, der eine ganz ähnliche Geschichte mit weniger, aber ungleich effektvolleren Mitteln erzählt. Die Parallelen sind verblüffend: Es gibt den bösen Colonel, dessen Kreatur außer Kontrolle gerät, und es gibt den misshandelten und traumatisierten Veteranen, der seinen Platz in der Gesellschaft nicht findet, weil er nur zur perfekten Mordwaffe ausgebildet wurde.
Die Rede ist natürlich vom ersten Teil der "Rambo"-Reihe. Titelheld Sylvester Stallone brauchte damals nur einen brütenden Blick und ein Messer mit Blutrinne, um den ganzen Abgrund seiner auf urtümliche Instinkte reduzierten Figur darzustellen. Effektvoll funkelnde Krallen aus Adamantium hätten da nur gestört.