Filmbranche in der Coronakrise "Es wird wieder Sehnsucht nach Kino geben"

Martin Moszkowicz hat Erfolgsfilme wie "Fuck ju Göhte" produziert. Hier erklärt er, welche Folgen Kinoschließungen und Produktionsstopps haben - und was nach dem Streamingboom kommt.
Ein Interview von Lars-Olav Beier
Constantin-Chef Moszkowicz: "Wie hoffen auf Unterstützung, aber wir werden das irgendwie wegstecken"

Constantin-Chef Moszkowicz: "Wie hoffen auf Unterstützung, aber wir werden das irgendwie wegstecken"

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Mathias Bothor

SPIEGEL: Herr Moszkowicz, wie viele Ihrer laufenden Produktionen mussten Sie wegen der Coronakrise stoppen?

Moszkowicz: Mehr als 30 Kinofilme, Serien, Shows. Glücklicherweise sind alle Mitarbeiter gesund. Dass Dreharbeiten unterbrochen oder verschoben werden müssen, ist nicht ungewöhnlich. Das kommt immer wieder mal vor. Wir haben 2004 in China gedreht, kurz nachdem Sars losging, und haben am Ende alles gut organisiert bekommen. Aber das waren einzelne Projekte. Jetzt steht alles still.

Zur Person

Martin Moszkowicz, geboren 1958, ist Chef der Münchner Constantin Film AG und hat an mehr als 300 deutschen und internationalen Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt, darunter "Das Parfum", die "Resident Evil"-Reihe sowie die "Fack ju Göhte"-Blockbuster. Einer seiner jüngsten großen Erfolge war die Sozialsatire "Das perfekte Geheimnis" (2019), die in Deutschland über fünf Millionen Zuschauer in die Kinos lockte. Moszkowicz ist mit der Regisseurin Doris Dörrie liiert.

SPIEGEL: Was bedeutet das für eine Firma wie die Constantin?

Moszkowicz: Zunächst Mehrkosten von mehreren Millionen Euro. Wir hoffen auf Unterstützung, aber wir werden das irgendwie wegstecken. Noch schwieriger wird es für die vielen mittelständischen Unternehmen. Um die mache ich mir große Sorgen. Da stehen einige kurz vor der Insolvenz. Vor allem dann, wenn sie Kinofilme machen. Bei Auftragsproduktionen können ja die Sender oder Streamingdienste helfen.

SPIEGEL: Passiert das denn?

Moszkowicz: Ja, auch bei Netflix. Wir drehen gerade einen großen Film für sie und mussten abbrechen. Sie waren sofort damit einverstanden und sind auch bereit, einen Großteil der Kosten zu übernehmen, die durch die Verschiebung entstehen. Die öffentlichen-rechtlichen und die privaten Sender haben erklärt, dass sie die Hälfte der Kosten tragen. Das wird aber leider nicht reichen.

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Interview mit Martin Moszkowicz, Chef der Münchner Constantin Film

Foto: Constantin

SPIEGEL: Warum wurde in Deutschland überhaupt noch so lange gedreht?

Moszkowicz: Die Politik hat lange gezögert, klare Ansagen zu machen. Und dann ging auf einmal alles sehr schnell. Da war kaum Zeit zu reagieren. Und in vielen Büros wird ja auch noch gearbeitet. Jeder Produzent muss entscheiden, ob ein Weiterdrehen mit der Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter vereinbar ist. Was jetzt enorm helfen würde, wäre, den nationalen Notstand auszurufen.

SPIEGEL: Warum?

Moszkowicz: Das hätte massive Veränderungen im Haftungsverhältnis zur Folge. Dann müsste der Staat für die Kosten aufkommen. Die Versicherungen haben sich rausgezogen und gesagt, dass sie nicht zahlen wollen. Seit Sars gibt es Klauseln, die Pandemien und Epidemien ausschließen. Wir lassen das von unseren Anwälten prüfen. Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen, wann man im rechtlichen Sinne von einer Epidemie sprechen kann. Unfassbar, wie sich einige in der Versicherungsbranche jetzt verhalten.

"Einem Kinobesitzer irgendwo in der Provinz nutzt es nichts, wenn er jetzt ein paar Tausend Euro bekommt, die er in ein paar Monaten zurückzahlen muss. Dazu wird er nicht in der Lage sein."

Martin Moszkowicz

SPIEGEL: Gibt es Pläne für einen Solidaritätsfonds? Könnte die Constantin kleineren Firmen aushelfen?

Moszkowicz: Wir unterstützen alle kleineren Firmen, an denen wir beteiligt sind oder mit denen wir zusammenarbeiten. Ich bin nicht davon überzeugt, dass so allgemein ein Fonds privatwirtschaftlich organisiert werden sollte. Wir haben ja alle enorme Einbußen. Wir brauchen die Hilfe des Staates, und die staatlichen Hilfsprogramme müssen auch für unsere Branche gelten. Aber Kredite allein helfen da nicht. Einem Kinobesitzer irgendwo in der Provinz nutzt es nichts, wenn er jetzt ein paar Tausend Euro bekommt, die er in ein paar Monaten zurückzahlen muss. Dazu wird er nicht in der Lage sein.

SPIEGEL: Wie viele Filmstarts musste die Constantin verschieben?

Moszkowicz: Bislang zwei. Wir hatten Glück, bei uns waren in den kommenden Wochen nicht mehr Starts geplant. Aber einige Verleiher, die ihre Filme kurz vor der Schließung der Kinos herausgebracht haben, hat es hart getroffen.

SPIEGEL: Kann man die Filme nicht auf Streamingplattformen zeigen?

Moszkowicz: In manchen Fällen schon, Amazon oder auch Netflix haben ja schon angeboten, Filme bei sich herauszubringen. Aber wenn die Kinoeinnahmen wegfallen, ist der Schaden natürlich enorm.

SPIEGEL: Einige Verleiher bringen ihre Filme jetzt digital heraus und wollen die Kinos an den Einnahmen beteiligen. Eine sinnvolle Maßnahme?

Moszkowicz: Ja, aber das sind oft kleine Filme, die nicht viel Geld in die Kasse bringen werden. Eine Lösung für die Probleme der Branche durch Covid-19 sehe ich hier nicht.

SPIEGEL: Planen Sie selbst gerade, Kinoproduktionen nur digital auszuwerten?

Moszkowicz: Bei einigen Titeln möglicherweise. Wenn sich das wirtschaftlich rechnet, ist es in Ordnung. Wir haben auch den Videostart von "Das perfekte Geheimnis" um zehn Tage vorgezogen.

Schauspieler Wotan Wilke Möhring, Jessica Schwarz, Jella Haase, Elyas M'Barek, Karoline Herfurth, Florian David Fitz, Frederick Lau bei der Premiere von "Das perfekte Geheimnis": Videostart wegen Corona vorgezogen

Schauspieler Wotan Wilke Möhring, Jessica Schwarz, Jella Haase, Elyas M'Barek, Karoline Herfurth, Florian David Fitz, Frederick Lau bei der Premiere von "Das perfekte Geheimnis": Videostart wegen Corona vorgezogen

Foto: Annette Riedl/ DPA

SPIEGEL: Warum?

Moszkowicz: Im Augenblick gibt es einen erheblichen Einbruch bei den DVD- und Blu-ray-Verkäufen, weil viele Geschäfte geschlossen sind. Auch Supermärkte werden jetzt vorzugsweise mit Lebensmitteln beliefert. Diesen Verlust versuchen wir durch die digitale Auswertung zu kompensieren. Dafür brauchten wir aber eine Sondergenehmigung. Normalerweise müssen wir eine Frist von vier Monaten zwischen Kino- und Home-Entertainment-Start einhalten. 

SPIEGEL: Diese Frist gibt es, damit die Kinos die Filme zunächst exklusiv zeigen können.

Moszkowicz: Ja, sie ist für die Kinos auch von existenzieller Bedeutung. In den USA wird jetzt über die Aufhebung der Sperrfristen diskutiert, zum Leidwesen der Filmtheater, die ohnehin am Boden sind. Man kann so etwas vielleicht vorübergehend machen, langfristig geht das nicht.

SPIEGEL: Sind die Streamingdienste die großen Nutznießer der Krise?

Moszkowicz: Momentan schon, wie auch das klassische Fernsehen, aber in ein paar Monaten werden auch sie Probleme bekommen, weil jetzt nichts mehr produziert wird und es keinen Nachschub mehr geben wird. Die Leute können ja nicht zehnmal die gleiche Serie schauen, irgendwann haben sie das ganze Angebot durch.

SPIEGEL: Droht dann ein Streamingkoller?

Moszkowicz: Es wird wieder Sehnsucht nach Kino geben. Wenn die Coronakrise vorbei ist, wird es allerdings auch einen großen Rückstau an Filmen geben, wir sollten alle aufpassen, dass das Angebot dann nicht zu groß wird und wir uns alle gegenseitig die Zuschauer wegnehmen. Da müssen wir als Branche sehr geschickt sein.

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Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.

SPIEGEL: Aber ist der finanzielle Druck nicht sehr groß, einen Film, in den man 100 Millionen Dollar oder mehr investiert hat, möglichst schnell herauszubringen?

Moszkowicz: Klar, mit jedem Monat, den man den Film nicht startet, wird er teurer, denn man bezahlt ja Zinsen. Auch wenn die gerade sehr niedrig sind, kann da ganz schön viel Geld zusammenkommen.

SPIEGEL: Wird sich das Kino von der Krise erholen?

Moszkowicz: Ich glaube an ein großes Comeback des Kinos.

SPIEGEL: Sie haben mit "Monster Hunter" eine aufwendige Videospielverfilmung produziert, die im September in China und gleichzeitig weltweit ins Kino kommen soll. Ist das realistisch?

Milla Jovovich und Tony Jaa in der Constantin-Koproduktion "Monster Hunter": Kinostart im September

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Foto: Coco Van Oppens/ Constantin Film

Moszkowicz: Wir bleiben bei dem Starttermin. Zurzeit normalisiert sich in China vieles. Das berichten uns auch unsere Geschäftspartner dort. Möglicherweise wird es aber weitere Infektionswellen geben, die Bestimmungen werden gelockert, verschärft und wieder gelockert. Wir müssen flexibel auf die jeweilige Situation reagieren

SPIEGEL: Wann werden die Kinos in Deutschland wieder offen sein?

Moszkowicz: Wir glauben, nicht vor Mai/Juni. Danach wird es noch eine Zeit lang dauern, bis sich die Menschen im Kino wieder so sicher fühlen wie im eigenen Wohnzimmer.

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