Boxerfilm-Neustart "Creed" Rockys Erbe

Der berühmteste Boxer der Filmgeschichte ist wieder da. Doch "Creed - Rocky's Legacy" ist mehr als nur der siebte Film der Reihe. Er ist ein Zeichen für mehr Vielfalt in Hollywood.
Von Andreas Busche
Boxerfilm-Neustart "Creed": Rockys Erbe

Boxerfilm-Neustart "Creed": Rockys Erbe 

Foto: Warner Bros.

Ein junger Schwarzer im Trainingsanzug läuft durch die Straßen von Philadelphia. Die Häuserfassaden sind heruntergekommen, auf den Bürgersteigen stapelt sich der Müll. An der Straßenecke sitzen afroamerikanische Jugendliche auf Motocrossrädern und Quads. En passant feuert der Läufer die Homeboys an, fordert sie auf, ihm zu folgen.

Einsatz Hip-Hop-Beat. Die Kids starten ihre Maschinen und holen zum Boxer auf, der das Tempo verschärft. Motorengeräusche vermischen sich mit Stakkato-Sprechgesang. "Uh, Lord knows I'm filthy rich/ All this ice is like 50 bricks", während die Kamera die motorisierte Eskorte frontal filmt: junge Männer mit einem Überschuss an Adrenalin im Blut. Angriffslustig stellen sie sich auf die Hinterräder, der Hip-Hop-Track schwillt zu einem Carmina-Burana-artigen Crescendo an, das abrupt in sich zusammenfällt.

Im selben Augenblick setzt Schwerelosigkeit ein: In Zeitlupe überholen die Motorräder den Läufer, umkreisen ihn wie in einer von körperlosen Gospel-Chören getragenen Ballettchoreografie, während er vor einem Backsteingebäude schattenboxt und triumphierend die Fäuste in die Luft streckt. Oben am Fenster steht ein alter Mann und blickt zufrieden auf seinen legitimen Nachfolger.

Diese fantastische Szene stammt aus "Creed - Rocky's Legacy" von Ryan Coogler ("Nächster Halt: Fruitvale Station"), doch der Vorläufer des Schlüsselmoments ist fast 40 Jahre alt und so ikonisch, dass sein Ort längst zum Stadtmarketing von Philadelphia gehört. Einer Stadt, die sich seit der Hochzeit des Phillysound in den Siebzigerjahren vor allem als murder capital einen Namen gemacht hat.

1979 rannte Sylvester Stallone in "Rocky 2" durch das italoamerikanische Arbeiterviertel und beendete seinen Triumphzug auf der Spitze der berühmten "Rocky Steps" vor dem Philadelphia Museum of Art, umringt von einer Schar jubelnder Kinder. Dass Coogler diese Szene im nunmehr siebten Film der "Rocky"-Reihe wieder aufgreift, hat einen triftigen Grund, denn "Creed" ist keine bloße Fortsetzung des Rocky-Mythos, er ist ein Neuanfang. Eine Stabübergabe an die nächste Generation, aber vor allem eine soziokulturelle Umschreibung.

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Fotostrecke: Coach Balboa, Schützling Creed

Foto: Warner Bros.

Der erste "Rocky" besiegelte 1976 im erweiterten Kontinuum von New Hollywood das Ende des Blaxploitation-Kinos. Mitte der Siebzigerjahre hatten harmlose Komödien wie "Car Wash" und Hollywood-Rip-offs im Stil von "Black Shampoo" den letzten Rest Subversion aus dem kurzlebigen Genre gequetscht. Derweil strömten weiße Jugendliche in den Vorstädten in die Kinos, um dem weißen Underdog Rocky Balboa dabei zuzusehen, wie er seinen schwarzen Kontrahenten Apollo Creed im Ring verprügelte. Es war ein moralischer Sieg mit Symbolwert: 1976 wurde die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung im Kino auf der ganzen Linie für beendet erklärt.

In "Creed" wird ebenfalls eine symbolische Übernahme vollzogen. Im Prolog adoptiert die Witwe Apollo Creeds den zehnjährigen Adonis, Resultat eines Seitensprungs ihres (im vierten Film) verstorbenen Ehemanns. Der Junge wächst also, anders als Rocky Balboa, nicht in ärmlichen Verhältnissen auf. Trotzdem schmeißt der erwachsene Adonis (Michael B. Jordan) am Anfang des Films seinen gut bezahlten White-Collar-Job hin, um in die Fußstapfen des Vaters, den er nie kennengelernt hat, zu treten. Für diesen Plan hat er den Vaterbesieger Rocky (Sylvester Stallone, soeben mit einem Golden Globe als bester Nebendarsteller ausgezeichnet) als Coach auserkoren.

"Creed" weicht nur selten vom klassischen Schema des Boxfilms ab, aber dahinter steckt Methode. Indem er eine Szene des Originals nach der anderen neu inszeniert, betreibt Coogler eine konsequente Nachkonstruktion der Rocky-Erzählung. Mit Michael B. Jordan, dem derzeit interessantesten afroamerikanischen Darsteller seiner Generation, wird das Pathos des Sportlerdramas umfunktioniert zur Emanzipationserzählung.

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"Rocky" von 1976 bis heute: Ein Boxerleben

Foto: ddp images

Dass eine der exemplarischen weißen Aufstiegsgeschichten des postklassischen Hollywoodkinos im Jahr 2016 als afroamerikanischer Bildungsroman erzählt wird, ist kein Zufall. "Creed" muss man im Zusammenhang mit einer wachsenden Unzufriedenheit mit den homogenen (sprich: weißen) Strukturen in der US-Filmindustrie sehen. 2015 war ein wechselhaftes Jahr. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, verantwortlich für die Oscarverleihungen, wurde heftig kritisiert, weil sich - zum zweiten Mal seit 1998 - keine Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen unter den Nominierten für die Darsteller-Kategorien befanden.

Im Sommer horchte die Filmbranche auf, weil an vier Wochenenden hintereinander Überraschungsfilme an der Spitze der US-Charts standen: das religiöse Familiendrama "War Room", der Stalker-Thriller "The Perfect Guy" und das Hip-Hop-Biopic "Straight Outta Compton". Alles Filme ohne namhafte Stars, aber mit einem immer noch traurigen Alleinstellungsmerkmal: Die Besetzung bestand überwiegend aus schwarzen Darstellern. Das Dilemma wird vor allem am Beispiel von Morris Chestnut und Sanaa Lathan, den Hauptdarstellern aus "The Perfect Guy", deutlich. Beide sind beim afroamerikanischen Publikum Kassenmagneten, im US-Mainstreamkino gehören sie dennoch nicht zu den Besserverdienenden.

Pikanterweise veröffentlichte das Ralph J. Bunche Center for African American Studies im vergangenen Jahr auch eine Studie, die am Beispiel des Kinojahrgangs 2014 die Diversität in der US-Filmbranche untersuchte  und zu einem wenig überraschenden Fazit kam:

  1. Hollywood ist in ethnischer, gesellschaftlicher, sexueller etc. Hinsicht eine Monokultur.
  2. Je größer die kulturelle Vielfalt - vor und hinter der Kamera -, desto weniger normativ fallen die Geschichten aus, die das US-Kino erzählt, was...
  3. ...völlig neue, zahlungskräftige Zuschauersegmente erschließt, die sich im aktuellen Hollywoodkino längst nicht mehr repräsentiert fühlen.

2015 war allerdings auch das Jahr, in dem ein weißer Superheld von einem afroamerikanischen Darsteller (wieder Michael B. Jordan, in "The Fantastic Four") verkörpert wurde. Und gerade bestätigte Marvel Ryan Coogler als Regisseur von "Black Panther", dem ersten schwarzen Superhelden-Film.

Möglicherweise liefert "Creed" ein weiteres Indiz, dass die dominant weißen Narrative im US-Kino langsam auserzählt sind und unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle der jeweiligen Blockbuster der Saison auch immer unerquicklicher werden.

Coogler ist es gelungen, einer weitgehend abgeschriebenen Filmreihe einen zeitgemäßen Anstrich zu verpassen. Sein technisches Können beweist er zudem im finalen Titelkampf zwischen Adonis Creed und "Pretty" Ricky Conlan (der ehemalige Weltmeister Tony Bellew), der in puncto Dynamik und Realismus neue Maßstäbe im Boxfilm setzt.

Viel mehr Verantwortung sollte man Ryan Coogler vorerst nicht aufbürden, denn zuallererst bleibt "Creed" dem Vermächtnis der Rocky-Filme verpflichtet - was unter anderem bedeutet, dass bereits eine Fortsetzung in Planung ist. Ob "Straight Outta Compton" oder "Creed", beide noch in traditionell afroamerikanischen Sujets (Hip-Hop und Boxen) angesiedelt, auch genug kommerzielle Zugkraft haben, um einen langfristigen Paradigmenwechsel in der Filmbranche einzuleiten, wird sich erst zeigen.


Im Video: Der Trailer zu "Creed - Rocky's Legacy"

Creed - Rocky's Legacy

USA 2015

Regie: Ryan Coogler

Drehbuch: Ryan Coogler, Aaron Covington

Darsteller: Michael B. Jordan, Sylvester Stallone, Tessa Thompson

Produktion: Robert Chartoff, William Chartoff, Sylvester Stallone, Kevin King Templeton, Charles Winkler, Irwin Winkler, David Winkler

Verleih: Warner Bros.

Länge: 134 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Start: 14. Januar 2016

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