Denzel Washington über die Oscars "Irgendwer wird sich immer diskriminiert fühlen"

Denzel Washington über die Oscars: "Irgendwer wird sich immer diskriminiert fühlen"
Foto: Matt Winkelmeyer/ Getty Images for SBIFFSPIEGEL ONLINE: Mr. Washington, Ihr Film "Fences" spielt in den Fünfzigerjahren in Pittsburgh und erzählt von einer afroamerikanischen Arme-Leute-Familie, in der sich der Vater als Opfer einer rassistischen Gesellschaft begreift. Was verbindet diesen Stoff mit dem Heute?
Washington: Dass es Rassismus geben wird, so lange es irgendwo in der Welt Eltern gibt, die ihren Kindern beibringen, dass manche Menschen weniger wert sind als andere. Natürlich findet Diskriminierung heute auf andere Art und an anderen Orten statt als früher. Meine eigenen Kinder zum Beispiel wachsen in einer Umgebung auf, in der es selbstverständlich ist, dass ihre Freundinnen und Freunde unterschiedliche Hautfarben haben. Sie würden jeden, der das nicht völlig normal findet, entgeistert fragen, ob er nicht bei Trost ist. Aber es gibt sehr viele Orte in den USA und im Rest der Welt, wo die Menschen auch heute noch anders denken.

"Fences": Die alltägliche Diskriminierung
SPIEGEL ONLINE: Troy, der Mann, den Sie in "Fences" darstellen, verdient sein Geld bei der Müllabfuhr und wehrt sich gegen die noch in den Fünfzigerjahren geltende Regel, nach der nur weißen Müllmännern das Fahren der Müllwagen erlaubt war. Fällt es den Zuschauern, die sich heute Ihren Film ansehen, nicht sehr leicht, sich über solche historischen Formen von Diskriminierung zu amüsieren?
Washington: Der Witz ist, dass Troy für das Recht kämpft, den Wagen zu steuern, obwohl er gar nicht fahren kann. Es sind solche Dinge, die die Geschichte, die in "Fences" erzählt wird, für mich zeitlos machen. Im Grunde passt der Stoff wie Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" in jede Zeit. Insofern irren sich auch die Leute, die jetzt behaupten, "Fences" sei genau der richtige Film für unsere Gegenwart.
SPIEGEL ONLINE: Tatsächlich wirkt Ihr Film in einem Land, in dem sich die Situation für Schwarze in den vergangenen Jahren verschärft hat, in dem die Bewegung "Black Lives Matter" gegen Polizeigewalt protestiert, wie ein politisches Statement. Wollen Sie das bestreiten?
Washington: Nein, ich finde nur, dass er mehr ist als das. Er erzählt von allgemeingültigen menschlichen Problemen.
Im Video: Der Trailer zu "Fences"
SPIEGEL ONLINE: Der afroamerikanische Dramatiker August Wilson hat "Fences" in den Achtzigerjahren am Broadway herausgebracht und damals über sein Stück gesagt, es helfe weißen Amerikanern, das Leben von schwarzen Amerikanern besser zu verstehen.
Washington: Es ist viel mehr als das. Der Held des Stücks ist ein Mann aus der Arbeiterklasse, von dem auch Menschen mit irischen oder polnischen Vorfahren sagen: Ganz ähnlich ging es in meiner Familie zu. Troy ist frustriert, er gibt anderen die Schuld daran, dass seine Lebensträume zerplatzt sind. Er behauptet, dass ein großer Baseballspieler aus ihm hätte werden können und dass nur wegen seiner Hautfarbe nichts daraus wurde. Die Wahrheit ist weniger eindeutig. Troy war im Gefängnis, weil er einen Diebstahl begangen hat. Einmal gibt er das gegenüber seinem Sohn zu. Aber im Grunde weigert er sich, in den Spiegel zu sehen, und steigert sich stattdessen immer mehr in einen Zorn hinein. Ich finde, es gibt nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt sehr viele Menschen, die sich ähnlich verhalten. Also frage ich mich: Was kann ich tun, um das zu ändern? Ich glaube, mit Wilsons Stück kann man eine Möglichkeit der Heilung aufzeigen, und deshalb habe ich mich entschieden, es zu verfilmen.
SPIEGEL ONLINE: Schon vor 30 Jahren gab es in Hollywood Pläne für eine Kinoversion von "Fences", aber Wilson hat darauf bestanden, dass nur ein afroamerikanischer Regisseur das Stück verfilmen dürfe. Warum hat das so lange gedauert?
Washington: Ich habe keine Ahnung. Ich vermute mal, es gab damals einfach keinen afroamerikanischen Regisseur, den sie ernsthaft gefragt haben. Das war ja in einer Zeit, als Spike Lee gerade erst anfing. Spike war nicht der erste afroamerikanische Regisseur im Filmgeschäft, aber erst durch ihn hat sich wirklich eine Menge geändert. Schon wie er auftrat. Er hat einfach die Tür eingetreten, damals mit "She's gotta have it"! Das war großartig! Jeder hat gefragt: Wer ist dieser Kerl? Er war ein Vorbild für andere Regisseure. Bis hin zu Barry Jenkins, der jetzt für seinen Film "Moonlight" gefeiert wird. Ich meine, Jenkins ist ein Typ, der 20 oder 25 Kurzfilme gedreht hat, bis er endlich seinen ersten richtigen Film machen durfte. Jetzt ist er mit seinem zweiten bei den Oscars. Wunderbar. Er hat einfach gekämpft, bis er am Ziel war. Das ist der Kampfgeist, den Spike Lee uns beigebracht hat.
SPIEGEL ONLINE: Jenkins ist für "Moonlight" nun wie Sie mit "Fences" für diverse Oscars nominiert. Steckt hinter diesen Nominierungen, wie manche vermuten, neben der künstlerischen Wertschätzung für die Filme auch ein Bekenntnis, dass man afroamerikanische Künstler in Hollywood jetzt mehr respektiert?
Washington: Ich wurde in meinem Leben schon achtmal nominiert und habe zwei Oscars gewonnen. Wollen Sie sagen, das sei jedes Mal nur aus politischen Gründen passiert? Nein, ich glaube, "Moonlight" und "Fences" wären in jedem Jahr nominiert worden. Beide gehören nicht zu der Sorte Filme, die man bloß wegen irgendeiner politischen Stimmungslage gut findet und nominiert.
SPIEGEL ONLINE: Halten Sie die Diskussion über die Diskriminierung von Frauen und Minderheiten bei den Oscars grundsätzlich für übertrieben?
Washington: Sie ist unvermeidlich. Irgendwer wird sich immer diskriminiert fühlen. Wer sagt schon, ich wurde nicht nominiert oder ich habe nicht gewonnen, weil mein Film nicht gut genug war?
SPIEGEL ONLINE: Vermutlich werden bei der Oscar-Verleihung ähnlich kämpferische Reden über die aktuelle politische Lage in den USA gehalten werden, wie sie Meryl Streep bei der Verleihung der Golden Globes vor ein paar Wochen hielt. Ist es derzeit für amerikaische Künstler geradezu Pflicht, sich zum aktuellen Präsidenten zu äußern?
Washington: Ich finde, jeder hat das Recht, auf seine Art zu reagieren und zu kämpfen. Es ist wichtig, dass es passiert. Für mich war die Rede bei der Golden-Globe-Verleihung eine respektable Form, sich mit Trump auseinanderzusetzen. Jetzt, wo er im Weißen Haus sitzt, hat jeder das Recht, dazu Stellung zu nehmen. Ich persönlich sehe anders auf die Dinge. Ich kämpfe auf meine Art. Ich finde, dass uns Amerikanern schon zur Zeit von Obamas Präsidentschaft jeder Sinn für Einigkeit abhanden gekommen ist. Es gibt eine Spaltung in diesem Land, die dazu führt, dass keiner mehr dem anderen zuhört und jeder nur brüllt: "Wir machen auf keinen Fall, was du sagst!"
SPIEGEL ONLINE: Wo genau hat sich diese Spaltung Ihrer Meinung nach aufgetan, zwischen der Arbeiterklasse und den Reichen?
Washington: Es ist jedenfalls ein Riss, der nichts mit ethnischen Unterschieden zu tun hat, aber sicher mit ökonomischen Aspekten. Für mich liegt der Hauptgrund in einer tiefen Frustration, die viele Menschen empfinden. Sie ähnelt der Frustration von Troy in "Fences". Die Menschen, die sich im Zeitalter der Industrialisierung als Stars empfinden konnten, fühlen sich heute plötzlich im Abseits. Sie blicken verblüfft auf die neuen Stars, die des Informationszeitalters. Auch die Älteren sehen sich diskriminiert, weil sich niemand um sie kümmert. Ein großer Teil der Gesellschaft fühlt sich ausgegrenzt. Was macht man mit denen, die merken, dass es für sie keinen Platz mehr gibt?
SPIEGEL ONLINE: Unter Trump dürfte sich ihre Lage eher wenig bessern, auch wenn sie ihn gewählt haben.
Washington: Die Menschen wollen eine Veränderung. Die hat ihnen vor ein paar Jahren Obama versprochen. Für manche hat sie stattgefunden, für manche nicht. Fest steht, dass viele, die Trump gewählt haben, genau so empfinden. Es muss sich etwas ändern. Es sagt eine Menge über unser politisches System aus, dass die Leute einen Kerl gewählt haben, der damit wirbt, dass er mit diesem politischen System nichts zu tun hat.
SPIEGEL ONLINE: Heißt das, Schuld an Trumps Aufstieg zum Präsidenten trägt in erster Linie das verkommene politische Establishment?
"Fences"
USA 2016
Regie: Denzel Washington
Drehbuch: August Wilson, nach seinem gleichnamigen Drama
Darsteller: Denzel Washington, Viola Davis, Stephen Henderson, Russell Hornsby, Mykelti Williamson, Saniyya Sidney, Jovan Adepo
Produktion: Bron Creative , Bron Studios , Paramount Pictures , Scott Rudin Productions
Verleih: Paramount
FSK: ab 6 Jahren
Länge: 139 Minuten
Start: 16. Februar 2017
Offizielle Website zum Film
Washington: Ich mag das Wort Schuld nicht. Es ist komplizierter. Einem Ertrinkenden ist es egal, wer ihm hilft. Ich stelle fest, dass es eine Spaltung gibt zwischen den Politikern und vielen Menschen in den USA, und ich sage: Wir müssen wieder zusammenfinden. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass am Ende das Beste für uns alle herauskommt. So verstehe ich auch "Fences": als einen Aufruf, das zu sehen, was uns allen gemeinsam ist, nicht das, was uns trennt.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie da im Augenblick viel Hoffnung?
Washington: Man kann Liebe nicht gesetzlich verordnen. Aber man kann lernen, auf die Welt zu blicken, ohne sich sofort ein schnelles Urteil zu bilden. Ich erinnere mich an den Tag, an dem ein paar weiße Kinder mich zum ersten Mal mit dem N-Wort beschimpften. Damals war ich neun Jahre alt, ich stand mit meinem Bruder auf einem Balkon in Daytona Beach, die weißen Jungs riefen zu uns rauf. Ich ging ins Zimmer und fragte meine Mutter: Warum sagen die das? Und meine Mutter antwortete: Weil sie gerne auch hier oben wären auf unserem schönen Balkon statt unten auf der Straße. Das war eine wunderbare Antwort. Meine Mutter redete nicht vom Rassismus in der Welt, sondern sie machte uns begreiflich, das da unten ein paar Jungs standen, die vor allem eines wollten: nach oben.