Animationsfilm "Der Mohnblumenberg" Zwei gegen das Schweigen

Der Anime-Film "Der Mohnblumenberg" aus dem legendären Studio Ghibli erzählt vordergründig eine alltägliche Teenagerliebesgeschichte im Yokohama der sechziger Jahre. Und ist doch ein feines Gesellschaftsporträt des Nachkriegsjapan auf dem Weg in die Moderne.
Animationsfilm "Der Mohnblumenberg": Zwei gegen das Schweigen

Animationsfilm "Der Mohnblumenberg": Zwei gegen das Schweigen

Foto: Universum

Der Name Miyazaki lässt Anime-Fans sofort aufhorchen, doch bei dem aktuellen Film aus dem berühmten japanischen Studio Ghibli handelt es sich nicht um ein neues Werk von Altmeister Hayao Miyazaki ("Prinzessin Mononoke"), sondern um die zweite Regiearbeit seines Sohnes Goro. "Der Mohnblumenberg" basiert auf einer Comic-Serie aus den achtziger Jahren und spielt 1963 in der japanischen Hafenstadt Yokohama. Er zeigt eine japanische Gesellschaft, die zwei Kriege zu verdrängen hat und in der sich eine aufbruchswillige Jugend mit dem konservativen Establishment misst. In Japan war der Film sofort ein Hit, weltweit spielte er bisher über 60 Millionen Dollar ein.

Auf der Suche nach Symbolen der Auflehnung muss man in dieser japanischen Version des "Fliegenden Klassenzimmers" schon sehr genau Ausschau halten. Im Mittelpunkt steht erst einmal die Beziehung zwischen der Elftklässlerin Umi und Shun, dem Herausgeber der Schülerzeitung - eine vorsichtige erste Teenager-Liebe, erzählt in sanften, romantischen Bildern vor den malerischen Hügeln Yokohamas. Doch in diese Idylle schleicht sich langsam aber bestimmt die Geschichte von Verdrängung und Umgang mit der japanischen Vergangenheit.

Vertreibung der Schatten

Denn Rebellion liegt in der Luft. Eine Gruppe von Schülern um den kampfeslustigen Shun will den Abriss ihres Clubhauses nicht hinnehmen und organisiert sich zum Protest. Um die Zukunft zu gestalten, dürfe man seine Geschichte nicht vernachlässigen, lässt Miyazaki Shun in einer hitzigen Debatte sagen und meint damit natürlich viel mehr als den Erhalt eines alten Jugendzentrums. Dem "Mohnblumenberg" geht es um ein Porträt der japanischen Nachkriegsgesellschaft. So hisst Umi jeden Morgen die Flaggen vor dem Haus und hofft auf Antwort von ihrem Vater, der Kapitän war. Erst im Laufe des Filmes - und ihres Erwachsenwerdens - lernt sie zu akzeptieren, dass der Vater im Koreakrieg umgekommen ist. Die Familie von Shun, so erfährt man es fast nebenbei, kam bis auf seinen Vater in Hiroshima ums Leben.

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Animationsfilm "Der Mohnblumenberg": Das japanische Klassenzimmer

Foto: Universum

Es ist vielleicht typisch für den japanischen Umgang mit der eigenen Geschichte, dass sie nur sehr subtil zur Sprache kommt, selbst wenn ihre Auswirkungen, wie in "Mohnblumenberg", noch allgegenwärtig sind. Vor dem Hintergrund des modernen Japan auf dem Weg zu Olympia 1964 in Tokio, erscheint die Erinnerung an Vergangenes hier als geradezu revolutionärer Akt. Die Olympischen Spiele gelten als Zäsur im japanischen Bewusstsein, das Jahr 1963 als letztes der Nachkriegszeit. Vergleichbar mit dem Deutschen Wirtschaftswunder und dem sportlichen "Wir sind wieder wer"-Erfolg von Bern, sollten die Spiele den Beginn einer neuen Zeitrechnung bedeuten und die alten Schatten vertreiben.

Demokratische Erweckung

Goro Miyazaki betont, dass er keinen vergangenheitsverklärenden Film machen wollte. Ihm sei es wichtig gewesen, den Zusammenhalt des Pärchens in Zeiten des Wandels und mit einer ungewissen Zukunft zu zeigen. So wartet man zum Beispiel ungeduldig darauf, dass Umi aus ihrem Dasein als Ersatzhausfrau ausbricht, doch vergebens. Miyazaki geht es weniger um eine Befreiung im persönlichen Raum, sondern vielmehr um die demokratische Erweckung einer Generation. Umis Drama entspinnt sich, als sie herausfindet, dass Shun und sie ein Familiengeheimnis verbindet. Mühsam versuchen die beiden, das Schweigen zu durchdringen, das alles umgibt, als weiteres Beispiel für den verklausulierten Umgang mit persönlicher und gemeinsamer Geschichte in Japan. So bleibt die Revolte der beiden eine Geste, der Erhalt des Clubhauses ein Symbol für die Mühe, sich einer alles vertuschenden Moderne entgegenzustellen.

Nostalgie kommt natürlich doch auf, nicht nur durch die zeitgenössische Musik, die eine Zeit vor Internetradio und Mp3-Playern heraufbeschwört. Auch die sehr klassische Anime-Bildsprache mit ihren weichen Zeichnungen unterstreicht die wattige Atmosphäre der Erzählung, Goro Miyzaki verzichtet auf die spektakulären, vor Phantasie berstenden Bilder, die seinen Vater so berühmt gemacht haben. Er sucht einen subtileren Weg. Und das ist kein schlechter.


Der Mohnblumenberg. Start: 21. November. Regie: Goro Miyazaki.

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