Kino-Epos "Der letzte Wolf" Wie man Wölfe, Pferde und Behörden zähmt

In China sind seine Filme verboten - trotzdem durfte Regisseur Jean-Jacques Annaud dort sein Epos "Der letzte Wolf" drehen. 33 Raubtiere und 200 Pferde musste er bändigen. Und das war noch nicht alles.
Von Frank Arnold
Kino-Epos "Der letzte Wolf": Wie man Wölfe, Pferde und Behörden zähmt

Kino-Epos "Der letzte Wolf": Wie man Wölfe, Pferde und Behörden zähmt

Foto: Wild Bunch

Es ist ein Leitmotiv seines Schaffens: Nach einem Bären ("Der Bär") und bengalischen Tigern ("Zwei Brüder") drehte der französische Regisseur Jean-Jacques Annaud ("Der Name der Rose") diesmal mit Wölfen in der Mongolei - auf Wunsch der Chinesen: Die legten mit der "Der letzte Wolf" (seit Donnerstag im Kino) die Verfilmung des gleichnamigen und in China immens erfolgreichen Buches in die Hände eines Mannes, der bisher bei ihnen Persona non grata war. Annauds Duras-Verfilmung "Der Liebhaber" ist nämlich wegen expliziter Sexszenen in China ebenso verboten wie "Sieben Jahre in Tibet" - wegen Parteinahme für die Tibeter.

SPIEGEL ONLINE: Monsieur Annaud, wie haben Sie reagiert, als die Chinesen Sie wegen der Verfilmung von "Der letzte Wolf" ansprachen?

Annaud: Ich war sehr überrascht, als diese chinesische Delegation an die Tür meines Büros in Paris klopfte! Für eine Verfilmung sei ich wohl der falsche Mann, meinte ich, schließlich sei ich in ihrem Land nicht wohlgelitten. Sie erwiderten, China hätte sich gewandelt, sie seien pragmatisch, und solche Filme, wie ich sie mache, könnten sie nun einmal nicht machen: "Wir mochten nicht, was Sie gemacht haben, aber wir vergessen. Seien Sie uns willkommen."

Zur Person
Foto: Tobias Hase/ dpa

Jean-Jacques Annaud, 72, ist ein französischer Regisseur. In den Sechzigern begann er seine Karriere mit Werbespots, für seinen ersten Spielfilm, "Sehnsucht nach Afrika" (1976), erhielt er einen Oscar. Zu seinen bekanntesten Filmen gehören "Der Name der Rose" (1986) mit Sean Connery und "Sieben Jahre in Tibet" (1997) mit Brad Pitt; infolge des Films verhängte China ein lebenslanges Einreiseverbot für Annaud und seine Crew. "Der letzte Wolf" konnte er in der Inneren Mongolei drehen.

SPIEGEL ONLINE: Das blieb auch beim Dreh so?

Annaud: Von einer Filmdelegation kam die Bemerkung: "Wir werden genau beobachten, was Sie machen, wir werden daraus lernen, und dann brauchen wir Sie nicht mehr." Dieser Ansatz gefiel mir, denn ich glaube nicht an Märchen, sondern an diesen Pragmatismus. Die meinten auch, ich solle mir meine Freiheiten nehmen, dann würde es ein besserer Film werden. Am Ende war es ein ständiger Dialog: Ich traf eine Entscheidung, sie hatten Einwände, schließlich seufzten sie und gaben nach.

SPIEGEL ONLINE: Sie hatten hier offenbar mehr Freiheiten als chinesische Regisseure.

Annaud: Chinesische Filmemacher haben mir gesagt, es gebe Dinge, die sie nicht aussprechen könnten; ich als Ausländer aber schon. Der Umgang mit der Natur ist ein Problem für alle Chinesen. Die Umweltverschmutzung ist wirklich stark, in Peking herrscht manchmal ein derartiger Smog, dass die Leute ihre Smartphones benutzen müssen, um den Weg nach Hause zu finden.

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"Der letzte Wolf": Heulen für die Kamera

Foto: DAMIEN MEYER/ AFP

SPIEGEL ONLINE: War die spektakulärste Szene in Ihrem neuen Film auch die schwierigste - als das Wolfsrudel eine Pferdeherde attackiert?

Annaud: Ja, denn dabei kombinierten wir verschiedene problematische Elemente: wilde Tiere, die sich gegenseitig attackieren, Nacht, Kälte und ein Gewitter. Die Sicherheit der Tiere hatte oberste Priorität. Wäre ein Wolf verletzt worden, hätte kein anderer Wolf weiterarbeiten wollen. So mussten wir zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen treffen. Diese achtminütige Sequenz - mit 35 Wölfen und 200 Pferden - besteht aus 200 Einstellungen, die wir in monatelanger Vorbereitung konzipierten. Für jede Einstellung gab es zuvor ein Storyboard, gefilmt wurde mit ganz verschiedenen Techniken - und mit sehr wenigen Computereffekten.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt nach Luxus...

Annaud: Diese ganzen künstlichen Sachen langweilen mich, denn ich sehe ihnen ihre Künstlichkeit an. Von den 200 Einstellungen kamen nur drei aus dem Computer, darunter eine, in der ein Hund einem Wolf in den Hals beißt. Unser Konzept war, dass die Tiere miteinander laufen, aber durch kleine Drahtzäune voneinander getrennt sind. Diese Zäune und stellenweise auch die Tiertrainer in der Postproduktion digital zu entfernen, hat uns dann ein Jahr gekostet.

SPIEGEL ONLINE: Der Film ist in den Kinos auch in 3D zu sehen. Sie haben vor 20 Jahren mit "Wings of Courage" ja schon einen frühen 3D-Film gemacht.

Annaud: Der sollte damals dazu dienen, Imax-Kinos mit dieser Technik aufzurüsten. Denn seinerzeit gab es kein einziges 3D-Kino auf der Welt. Ein Jahr später waren es schon 100. Bei "Der letzte Wolf" wurde ein Drittel des Films in 3D gedreht, der Rest nachträglich umgewandelt. Die Umwandlung kostet ungefähr sechs Millionen Dollar für einen Spielfilm. Die Chinesen erklärten sich bereit, Geld zu investieren, denn sie wollten zeigen, dass sie die Technologie und das Know-how besitzen. Was wir gleich in 3D drehten, waren die Innenaufnahmen und jene mit dem jungen Wolf. 3D war mir wichtig wegen des Gefühls, denselben Raum miteinander zu teilen.

SPIEGEL ONLINE: Hat sich Ihre Beziehung zur Tierwelt mit Ihrem früheren Film "Der Bär" grundlegend verändert, oder war das ein längerer Prozess?

Annaud: Das begann schon vorher. Meinen Militärdienst leistete ich in Kamerun ab. Dort lernte ich viel über die Universalität des Menschen. Meinen ersten Spielfilm "Sehnsucht nach Afrika" drehte ich an der Elfenbeinküste. Mit "Am Anfang war das Feuer" ging ich später zu den Anfängen der Menschheit zurück. Dafür musste ich viel lernen über das mögliche Verhalten der Menschen in dieser Zeit: Wie sie gingen, wie sie gestikulierten. Ich setzte mich mit dem Verhalten von Affen auseinander, dadurch begriff ich die Parallelen.

SPIEGEL ONLINE: Gerade für Filme mit Tieren bedarf es einer großen Ruhe und Gelassenheit. Bringen Sie die mit?

Annaud: Als ich 19 Jahre alt war, drehte ich Werbespots mit Babys. Wenn man laut wird, erschreckt man die. Für meine ersten Kinofilme hatte ich noch keinen Zugang zu bekannten Darstellern, nur zu Anfängern. Ich begriff, wenn ich freundlich und offen zu ihnen war, würden sie mir eher zuhören. Genauso habe ich mit den Wölfen gearbeitet. Ich habe ihren Trainer gefragt, "Was muss ich tun, damit die Wölfe überrascht reagieren?" Er antwortete: "Schaffen Sie ein Kamel heran! Ich garantiere Ihnen, dass sie überrascht reagieren werden - allerdings nur beim ersten Take."

SPIEGEL ONLINE: Gibt es beim Dreh irgendetwas, was Sie aus der Fassung bringen kann?

Annaud: Ich hasse es, die Kontrolle zu verlieren. Manchmal rege ich mich auf, aber dann versuche ich, mir das nicht anmerken zu lassen: Statt zu schreien, spreche ich dann sehr leise. Wir hatten am zweiten Drehtag eine komplizierte Szene mit Wölfen auf einem Fels im Vordergrund und einer Herde von Pferden im Hintergrund. Die wollte ich beide in einer Einstellung erfassen. Das bereiteten wir einen ganzen Vormittag lang vor. Hinterher mussten wir feststellen, dass vergessen wurde, die Kamera anzuschalten. Da waren die Pferde bereits zurück in den Ställen. Ein weiterer Vorfall mit denselben Mitarbeitern am nächsten Tag führte dazu, dass ich mich von einer Reihe von ihnen trennte.

Im Video: Der Trailer zu "Der letzte Wolf"

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