Film »Der Rausch« Ist Alkohol doch eine Lösung?

Schauspieler Mikkelsen in »Der Rausch«: Neu beschwingt
Foto: Henrik Ohsten / WeltkinoDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Ein wahres Märchen aus der Zeit, als das Saufen noch geholfen hat: Es ist ein Drama voller Überraschungen und jähen Stimmungswechsel, eine Achterbahnfahrt aus grellem Spaß und jähen Verzweiflungsmomenten, die im Film »Der Rausch« aus einer fast wissenschaftlichen Fragestellung entstehen.
»Mit diesem Film wollen wir die befreiende Wirkung untersuchen, die Alkohol auf Menschen haben kann – und uns davor verneigen«, hat der 52-jährige Regisseur Thomas Vinterberg über die Grundidee seines neuen Films gesagt. Es gehe darum, »dem Alkohol Tribut zu zollen«, ohne zu verschweigen, »dass Menschen durch exzessives Trinken sterben oder davon zerstört werden«.
Sich die Welt schön trinken
Tatsächlich erweist sich das geradezu planmäßige Trinken in »Der Rausch« als Quell der Freude für eine Männergemeinschaft, die zuvor scheinbar alle Lebenslust eingebüßt hatte. Der Geschichtslehrer Martin, den Mads Mikkelsen mit müdem Blick und den Bewegungen eines greisen Schlafwandlers spielt, wird von seinen Schülerinnen und Schülern ebenso als Lahmsack und Schwätzer verachtet wie von seiner Ehefrau – bis er mit seinen Lehrerkollegen Nikolaj (Magnus Millang), Peter (Lars Ranthe) und Tommy (Thomas Bo Larsen) auf die Idee verfällt, sich die Welt künftig schön zu trinken. Gemäß den Theorien eines eher obskuren norwegischen Psychiaters nämlich, so erfahren die Zuschauerinnen und Zuschauer, wurde der Mensch mit zu wenig Alkohol im Blut geboren und tut gut daran, sich konsequent auf einen Blutalkoholwert von 0,5 Promille hochzusüffeln.
Vinterbergs »Der Rausch« wurde in diesem Jahr mit dem Oscar für den besten internationalen Film ausgezeichnet. Er ist auch wirklich ein Kinoereignis, dank der Strahlkraft des Schauspielers Mads Mikkelsen und der Verführungsmacht des Alkohols. Mikkelsen spielt wunderbar zerknautscht den Lehrer Martin. Der vermag selbst nicht zu erklären, wo und wann er die Lust an seiner Pädagogenarbeit, an seiner Frau (Maria Bonnevie) und an seinen Musterkindern verloren hat.
Und als der Spaß dank des halb närrischen und halb ernsthaft betriebenen Saufexperiments zurückkehrt, erwacht der Held – und versucht zurückzuerobern, was er verloren hat. Dieses Erwachen ist zugleich grandios lustig und traurig anzusehen. Es ist das wirklich berührende Drama eines sich selbst lächerlich gewordenen Mannes.
Martin und seine Gefährten blühen für eine Weile auf, als sie ziemlich systematisch Alkoholika in sich hineinkippen, mal in der Schule, mal in der Freizeit. Und sie fühlen sich tatsächlich neu beschwingt, zur Empathie befähigt, vom Lebensfrust befreit. Selbst die Schülerinnen und Schüler scheinen ihre Lehrer plötzlich wieder zu lieben.
Der Regisseur Vinterberg ist selbst 1998 mit »Das Fest« berühmt geworden und dann mit seiner Arbeit ein bisschen in Trott und Mittelmaß versunken. Das Vergnügen an seinem Comebackfilm entsteht nicht zuletzt daraus, dass er auf herzerfrischende Weise lange das Moralisieren meidet. Unterm Strich zeigt Vinterberg lässig und lebensklug Mut zur Ambivalenz: Sein Film bestreitet keineswegs die soziale, psychische und physische Giftwirkung aller Rauschmittel – und doch verbreitet er als Feier einer möglicherweise beschwipsten Lebenslust herrlich gute Laune.