
"Destroyer": Good cop, dead cop
"Destroyer" mit Nicole Kidman Was hat sie bloß so ruiniert?
Zwei Augen starren reglos in die Ferne, tief eingesunken in einen Schädel, der zerfurcht und ausgetrocknet erscheint. Man könnte meinen, dass es viele Jahre der äußeren Belastung sind, die in Karyn Kusamas "Destroyer" derart tiefe Spuren im Antlitz der Polizistin Erin Bell (Nicole Kidman) hinterlassen haben. Doch im Grunde ist das Gegenteil der Fall: Erin verkümmert nicht, weil die voranschreitende Zeit ihr zusetzt, sondern, weil sie in der Zeit feststeckt.
"Eine Untersuchung der Erfahrung, keinerlei Fortschritte machen zu können", nennt Kusama auch ihren Film im Gespräch mit dem SPIEGEL. In der Tat wird "Destroyer" von einem schmerzhaften Gefühl des Stillstands durchdrungen.

"Destroyer": Good cop, dead cop
Aus diesem wird Erin herausgerissen, als Silas, der Anführer einer Bande von Bankräubern, plötzlich wieder in der Stadt auftaucht. Vor vielen Jahren war Erin als junge Polizistin zusammen mit einem Kollegen (Sebastian Stan) in Silas' Gruppe eingeschleust worden - eine Mission, deren traumatischer Verlauf Erin nie losgelassen und ihr gesamtes weiteres Leben in Beschlag genommen hat.
In dem Versuch, sich der Erinnerung zu stellen, arbeitet sie sich auf eigene Faust und mit brutaler Härte näher und näher an Silas heran. "Destroyer" scheint zunächst eine vertraute Handlungsmaschinerie in Gang zu setzen: die des Rachefeldzugs, der mit immer gewaltsameren Mitteln voranschreitet.
Doch einem derartig klaren Eskalationsbogen entzieht sich der Film an fast allen Ecken und Enden. "Auf mich haben immer schon jene Filme eine besondere Anziehungskraft ausgeübt, die vertraute Muster aufgreifen, ihnen dann aber eine neue Bedeutung verleihen", sagt Kusama.
Wandel von innen heraus
Dieser Grundsatz scheint auch ihr eigenes Schaffen von Anfang an bestimmt zu haben: Ob in ihrem Debütfilm, dem dutzendfach ausgezeichneten Boxdrama "Girlfight" aus dem Jahr 2000, in dem satirischen Horrorfilm "Jennifer's Body" von 2009 oder in dem Horror-Thriller "The Invitation" von 2015 - stets hat die Regisseurin den Austausch mit anderen Filmen und Genrekonventionen gesucht.
Wie man vor allem in "Girlfight" deutlich merkte, sollten bestehende Strukturen dabei aber weder einfach übernommen noch ironisch gebrochen werden. Es galt, sie gleichsam von innen heraus einer Wandlung zu unterziehen.
"Destroyer"
USA 2018
Regie: Karyn Kusama
Drehbuch: Phil Hay, Matt Manfredi
Darsteller: Nicole Kidman, Toby Kebbell, Tatiana Maslany, Sebastian Stan
Produktion: 30West, Automatik
Verleih: Concorde Filmverleih
Länge: 121 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
Kinostart: 14. März 2019
Folglich ist es nicht verwunderlich, dass die primären Bezugspunkte für Kusama bei der Produktion von "Destroyer" nicht so sehr die klassischen Vertreter des Polizeifilm-Genres waren, sondern vielmehr Filme wie "Klute" oder "The Parallax View" - Filme, in denen sich laut Kusama die Handlung "flächenartig ausbreitet, anstatt in festgesetzten Etappen voranzuschreiten."
Extreme Körperlichkeit
Diese Fläche, die in ihrer Gleichförmigkeit jede Vorwärtsbewegung wieder aufzuheben scheint, wird im Film buchstäblich durch die scheinbar endlose Weite von Los Angeles verkörpert. Erin streift auf ihrer Suche nach Silas durch eine Metropole, die zur Gänze ein Randgebiet zu sein scheint.
Innerhalb der Formlosigkeit dieser äußeren Umgebung laufen auch Erins Handlungen immer wieder ins Leere: Bei einer Verfolgungsjagd gerät sie schon nach wenigen Metern völlig außer Atem, und in einer brutalen Schlägerei muss sie sich plötzlich krampfartig übergeben. In diesen Momenten extremer Körperlichkeit spannt sich für Kusama eine Brücke von "Destroyer" zu "Girlfight". Beide Filme sind für sie ganz wesentlich Auseinandersetzungen mit der Erfahrung, als menschlicher Körper zu existieren.
"Destroyer" ist dabei ein Film, der nie stabil in einer Form verharrt - und sogar die ursprüngliche Struktur des Rachedramas wird Schritt für Schritt aus den Angeln gehoben. Die Geschichte von Leid und Vergeltung verwandelt sich in eine von schmerzhafter Schuld. Vergangenheit und Gegenwart verschränken sich mehr und mehr in einer, wie Kusama es nennt, "rhythmischen Abfolge von Call-and-Response", bis man nicht mehr genau weiß, von welcher Seite der Ruf und von welcher die Antwort ertönt.
Die Dynamik, die Kusamas Film auf diese Art aufbaut, ist keine, die eine klare Auflösung erlauben würde, wie auch Erins Jagd keine ist, die je zu Ende geht. Mit der Vergangenheit lässt sich in "Destroyer" nie endgültig abschließen. Man kann höchstens darauf hoffen, dass man irgendwann lernt, ihren Anblick zu ertragen.