Deutscher Oscar-Kandidat "Zwei Leben" Der Feind in deiner Familie

Deutscher Oscar-Kandidat "Zwei Leben": Der Feind in deiner Familie
Foto: FarbfilmEine Familie, gezeichnet vom Faschismus: Fast drei Jahrzehnte waren Katrine (Juliane Köhler) und Ase (Liv Ullmann) auseinandergerissen, jetzt leben sie an einem Fjord in Norwegen, verbunden in inniger Nähe, wie es sie eigentlich nur zwischen Tochter und Mutter geben kann. Ase hatte das Kind während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg mit einem deutschen Soldaten gezeugt, musste es nach der Geburt bei der Nazi-Zuchtanstalt Lebensborn abgeben. Die kleine Katrine wurde mit anderen Lebensborn-Babys nach Leipzig gebracht, ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in DDR-Heimen, erst nach der Flucht über die Ostsee Ende der sechziger Jahren lernte sie ihre Mutter kennen. Jetzt scheint die beiden nichts mehr trennen zu können.
Oder doch? Was bedeutet die sonderbare Unruhe, die Katrine immer wieder befällt? Weshalb freut sie sich nicht darüber, dass ein Anwalt (Ken Duken) eine Entschädigungsklage für die geraubten Lebensborn-Kinder anstrebt? Warum erzählt sie ihrem Mann (Sven Nordin), sie habe sich unsterblich in einen anderen verguckt, obwohl es gar keinen Geliebten gibt? Und vor allem: Wieso läuft die Frau nach einer Flugreise mit Perücke und Sonnenbrille durchs gerade wiedervereinigte Deutschland und trifft zwielichtige Gestalten?
Regisseur Georg Maas hat mit "Zwei Leben" ein labyrintisches Zeitgeschichtsdrama geschaffen. Zeitsprünge, Identitätswechsel, schwer zu durchschauende Verschwörungsszenarien - der Zuschauer muss sich damit abfinden, über weite Strecken im Unklaren zu bleiben. Identifikation mit der Hauptfigur, das macht die Sache nicht leichter, fällt schwer: Man kann aufgrund ihrer offensichtlichen Aufgewühltheit mit ihr leiden - vertrauen aber kann man ihr nicht. Woran können wir uns bei diesem Psychothriller mit Spionage-Hintergrund und doppeltem Boden überhaupt halten?
Dein Leben mit den Anderen
Am besten an den realen historischen Hintergrund: Bis Kriegsende wurden rund 250 norwegische Lebensborn-Kinder von den Nazis ins Deutsche Reich geholt, ein Großteil in die Nähe von Leipzig. Da es später nach dem Krieg zwischen Norwegen und der DDR eine diplomatische Eiszeit gab, blieben die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Heranwachsenden ungeklärt. Einige wurden adoptiert, andere lebten in Heimen. Wie 1997 Recherchen des SPIEGEL ergaben, wurden einige wenige der ehemaligen Lebensborn-Kinder von der Stasi zu Agenten ausgebildet. Zu Zeiten des Kalten Krieges wurden sie unter falscher Identität nach Norwegen geschleust, um dort für die DDR zu spionieren.

"Zwei Leben": Fremd im eigenen Leben
Ein monströses Thema verbirgt sich also hinter dem zuweilen kammerspielartigen Identitäten-Thriller "Zwei Leben": wie die Verbrechen des "Dritten Reiches" in denen der DDR aufgegangen sind; wie beide Systeme die Familie als Verfügungsmasse ideologisch und strategisch instrumentalisierten.
Ein ungeheuerlicher Stoff - und dabei doch wie geschaffen für ein internationales Publikum. Beim vom Goethe-Institut und German Films ausgerichteten deutschen Filmfestival in Australien, auf dem "Zwei Leben" im April lief, mussten wegen der großen Nachfrage gleich parallel Säle gebucht werden. Am Ende gab es den Publikumspreis.
Diese Wahrheit müssen wir ertragen: Die düstersten Kapitel der deutschen Geschichte sind auf dem Kinoweltmarkt sowas wie das Kapital der, weltweit betrachtet, nicht sonderlich erfolgreichen hiesigen Filmwirtschaft. 1980 wurde "Die Blechtrommel", Volker Schlöndorffs Verfilmung von Günter Grass' grotesker NS-Familiengeschichte, als bester fremdsprachiger Film mit dem Oscar bedacht. 2006 erhielt Florian Henckel von Donnersmarck denselben Preis für sein Stasi-Melodram "Das Leben der Anderen". Christian Petzolds furiose Stasi-Liebesgeschichte "Barbara" schaffte es voriges Jahr allerdings nur in die deutsche Oscar-Vorauswahl, bekam leider keine Academy-Nominierung.
Ein Schachzug also, dass die deutsche Vor-Jury mit "Zwei Leben" eine Produktion in das aktuelle Rennen schickt, in dem gleich beide verbrecherischen Systeme der deutschen Geschichte eine Rolle spielen: Das "Dritte Reich" und die DDR, da muss doch was mit dem Auslands-Oscar gehen.
Dabei könnte, trotz thematischer Nähe, "Zwei Leben" in seiner Inszenierung und seiner grimmigen gesellschaftspolitischen Stoßrichtung nicht weiter von "Das Leben der Anderen" entfernt sein. Wo beim Oscar-Gewinner von 2006 klebriges Stasi-Läuterungstheater zur Aufführung gebracht wurde, da geht es beim Oscar-Anwärter 2013 um die längst abgearbeiteten Spätfolgen des DDR-Überwachungsstaates. Wo in dem einen Film schöne wahrhaftige Musik und schöne wahrhaftige Gedichte reichen, um den Zersetzungsschergen auf den Pfad der Menschlichkeit zurückzubringen, da zeigt der andere, wie diese Zersetzungsarbeit auch nach dem Ende der DDR nachwirkt. "Zwei Leben" ist auch eine Reise ins finstere Herz der Repression.
Dein Leben bei den Anderen: Katrine, die ambivalente Heldin in Maas' Kinodrama, kommt nicht recht an in dem Leben in Norwegen, das sie als das eigene beansprucht. Vor rau-idyllischer Naturkulisse zeigt "Zwei Leben", wie die Unterdrückungstechniken und der Allmachtsanspruch des untergegangenen Unrechtsstaates in der kleinen Zelle der Familie weiterhin ihre Macht entfalten. Großes verstörendes Zeitgeschichtskino, dafür bitten wir um einen Oscar.