Liebeskomödie "Dicke Mädchen" Jedes Gramm ist ein Genuss

Liebeskomödie "Dicke Mädchen": Jedes Gramm ist ein Genuss
Foto: missingFILMsFilmemachen kann eine sehr teure Angelegenheit sein. Mehr als 200 Millionen Dollar soll der neue Bond gekostet haben, 250 Millionen der letzte Batman-Film und immerhin noch über 100 Millionen die "Cloud Atlas"-Verfilmung von Tom Tykwer und den Wachowski-Geschwistern, die diese Woche anläuft. Alles sehenswerte Filme, mit den berühmtesten Schauspielern, den spektakulärsten Spezialeffekten, den aufwendigsten Kostümen, unendlich oft überarbeiteten Drehbüchern, gigantischen Crews.
Als Axel Ranisch "Dicke Mädchen" drehte, hatte er: eine Kamera, zwei befreundete Schauspieler, die auf die Gage verzichteten, seine Oma, weil eine alte Frau mitspielen sollte, ein paar Seiten mit Handlungsideen und dann noch etwa 500 Euro für Catering und Benzin. Das Ergebnis sieht ein bisschen anders als zum Beispiel "Cloud Atlas" aus, ist aber genauso sehenswert.
In "Dicke Mädchen" geht es um den schüchternen Bankangestellten Sven (Heiko Pinkowsi), vielleicht 45 Jahre alt, der nicht viel mehr mit sich anfängt, als jeden Tag zur Arbeit zu gehen und sich sonst um seine demente Mutter Edeltraut (Ruth Bickelhaupt) zu kümmern. Mit der lebt er nicht nur in einer winzigen Wohnung zusammen, sondern schläft auch noch im selben Bett. Klingt tragisch, und das wäre es auch, wenn Sven dabei nicht so furchtbar zufrieden wäre. Er liebt seine Mutter, sie liebt ihn, und sie bewahrt ihn vor den Strapazen eines echten Soziallebens.
Mutti schaut durchs Schlüsselloch
Eigentlich haben es sich die zwei ganz gemütlich eingerichtet. Wenn Sven zur Arbeit geht, kommt der Pfleger Daniel (Peter Trabner) vorbei, ungefähr so alt wie Sven und auch etwas zu dick. Sven ist ein bisschen verliebt in ihn, würde aber nie etwas sagen, denn Daniel hat eine Familie, und überhaupt sagt Sven am liebsten so wenig wie möglich. Also wirft er höchstens mal einen Blick durchs Schlüsselloch, wenn Daniel im Bad ist. Seine andere Freude ist es, in unbeobachteten Momenten nackt durch die Wohnung zu tanzen und dabei klassische Musik zu hören. Dabei schaut dann seine Mutter durchs Schlüsselloch.

"Dicke Mädchen": Schwer verliebt mit schlankem Budget
Wenn es nach Sven ginge, könnte das ewig so weitergehen, aber irgendwann passiert doch etwas. Edeltraut haut ab. Große Panik. Sven und Daniel durchsuchen zusammen die Stadt, und irgendwann ist Sven wohl so aufgewühlt, dass er seine Hand auf Daniels Rücken legt. Ein klitzekleiner Annäherungsversuch, den er sofort abbricht, weil Daniel das doch ein bisschen merkwürdig findet. Trotzdem ist es der Beginn einer kleinen Liebesgeschichte. Und die ist so hinreißend unbeholfen, so zärtlich, charmant und witzig, dass niemand irgendwelche Stars, Spezialeffekte oder Kostüme vermissen wird. Manchmal reichen eine gute Geschichte und ein paar liebenswerte Darsteller, die bereit sind, alles zu geben.
Ranisch hat seinen Schauspielern nur ein Handlungsgerüst in die Hand gedrückt und sie dann weitgehend improvisieren lassen. Das hätte auch schiefgehen können, gibt "Dicke Mädchen" aber eine Spontaneität und eine Echtheit, die vor allem dem deutschen Kino in seiner fernseh-formatierten Vorhersehbarkeit oft abgeht. Es gibt eine Menge junger kreativer Filmemacher in diesem Land, die mit großen Visionen anfangen und diese dann stückchenweise aufgeben, wenn sie sich das Geld für ihre Projekte bei den Fernsehsendern und den öffentlichen Filmförderungsstellen zusammenbetteln. Denn die haben ihre eigenen Visionen, und die wollen sie auch einbringen.
Sogar das nicht existente Drehbuch hat Preise gewonnen
Axel Ranisch hat für seinen geplanten Abschlussfilm von der Filmhochschule Potsdam mit dem ZDF zusammengearbeitet. Es ging über Jahre hin und her, und irgendwann war von seinem Drehbuch nicht mehr viel von dem übrig, was an die ursprüngliche Idee erinnerte. Man steckte fest. Weil er nach unzähligen Kurzfilmen aber trotzdem endlich mal einen richtigen Spielfilm machen wollte, hat er einfach auf eigene Faust losgelegt und "Dicke Mädchen" gemacht. Einfach so.
Damit tourt er seit der Premiere auf den Hofer Filmtagen im letzten Jahr nun zu den unabhängigen Filmfestivals dieser Welt und sackt einen Preis nach dem anderen ein. Beim "Mauvais Genre"-Festival im französischen Tours gab es den großen Preis der Jury, in Lünen wurde das eigentlich gar nicht existente Drehbuch ausgezeichnet, beim amerikanischen Slamdance-Festival (der Gegenveranstaltung zum spießigen Sundance) die "mutige Originalität". Zuletzt gewann "Dicke Mädchen" den Jury-Preis bei den Lesbisch-Schwulen Filmtagen in Hamburg, wo vor allem Ranischs über 90-jährige Großmutter der Star des Abends war und während und nach der Preisverleihung begeistert in der Menge badete. Dass der Film einen Verleih gefunden hat und nun einen richtigen Kinostart bekommt, dürfte mehr sein, als sich das Team jemals erträumt hat.
Das soll kein Aufruf an junge Filmemacher sein, ihre Förderanträge in den Müll zu werfen, oder an die etablierten, ihre Stars zu feuern. "Dicke Mädchen" ist ein großer Spaß, in vielerlei Hinsicht aber auch eine Zumutung. Die Bilder wackeln und sind gelegentlich unscharf, der Ton ist oft eine Katastrophe, und mit 76 Minuten ist der Film nicht gerade komplett abendfüllend.
Was der Film aber hat, sind Herzblut und unendlich viele gute Ideen. Und damit kommt man schon mal ziemlich weit.
Die Termine für die Kinotour von "Dicke Mädchen" finden Sie hier.