Missbrauchsdrama "Meine Mutter, die... die hat mich angefasst"

Missbrauchsdrama: "Meine Mutter, die... die hat mich angefasst"
Foto: FarbfilmDrei junge Männer, drei Schicksale: Hannes wurde von seinem Stiefvater missbraucht. Volker von seinem Vater misshandelt. Und Markus gerät bei einer Familienfeier ganz plötzlich aus der Bahn. Benimmt sich merkwürdig, erscheint abwesend, betrinkt sich. Und versucht am nächsten Morgen stammelnd in Worte zu fassen, was ihn bewegt: "Ich hab mich an was erinnert. Meine Mutter, die... die hat mich angefasst. Als ich ein Kind war hat die... die hat... "
"Die Hände meiner Mutter" ist der Abschluss von Florian Eichingers Filmtrilogie über Traumata, die von Gewalterfahrungen und Missbrauch in der Familie herrühren. Ein Thema, das abschreckt, das fordernd ist und schwierig. Warum gleich drei Filme darüber? Weil er, sagt Florian Eichinger, bei der Kinotour mit dem ersten Film "Bergfest" gemerkt hat, wie stark das Publikum bei Diskussionen nach der Vorführung involviert war. Obwohl wahrscheinlich wenige Zuschauer so schreckliche Erfahrungen gemacht hatten wie der Protagonist Hannes. Aber Familie haben alle. Und nur sehr wenige Menschen durchleben ihre Kindheit ohne seelische Wunden. Die Frage, wie wir damit umgehen, betrifft die meisten.
Markus (Andreas Döhler) ganz besonders. Ein kurzer Moment reicht aus, um verdrängte Erinnerungen zurückzubringen: Mutter Renate (Katrin Pollitt) geht beim Geburtstag seines Vaters kurz mit Markus' kleinem Sohn Adam zur Toilette. Als die beiden zurückkommen, hat Adam eine kleine Wunde an der Hand. Und Markus erinnert sich, wie seine Mutter seine eigene Hand unter ihren Rock schob, als er selbst klein war. Wie sie ihn in seinem Kinderzimmer bedrängte, anstatt ihn in den Arm zu nehmen und ihm eine "Gute Nacht" zu wünschen.
Florian Eichinger schafft es in allen drei Filmen, die Verletzungen seiner Protagonisten zu evozieren, ohne sie zum Begaffen auszustellen. Aber auch, ohne ihre Dringlichkeit zu verwässern. In "Bergfest" treten der Schmerz und die Verlassenheit in den Rededuellen zutage, die Hannes mit seinem Vater ausficht, der ihm damals nicht half. Obwohl er wusste, was sein Stiefvater Hannes antat. Im zweiten Film "Nordstrand" blendet Eichinger eine Eröffnungssequenz aus, die zwei Kinder, ihren Vater und eine Flasche Whiskey involviert. Wie schrecklich die Situation weitergeht, peinigt den Zuschauer, auch wenn er sie auf der Leinwand nicht abgebildet sieht.

"Die Hände meiner Mutter": Ultimative Erschütterung
In "Die Hände meiner Mutter" sehen wir die Szenen des Missbrauchs deutlicher, aber verfremdet. Der kleine Markus wird von Andreas Döhler verkörpert, der auch den erwachsenen Markus spielt. Das Ergebnis ist frappierend: Man erträgt diese Szenen, aber das Ausmaß der Übergriffe, den Missbrauch eines wehrlosen Wesens, das auf Nähe, Liebe und Fürsorge angewiesen ist - es wird schmerzhaft deutlich.
Andreas Döhler spielt im gesamten Film mit einer Intensität, die einem den Atem nimmt. Die Erschütterung seiner Figur ist so ultimativ, dass sie dafür zunächst keine Worte findet. In Döhlers Spiel ist auch der Zusammenbruch eines maskulin definierten Selbstbildes zu erkennen, ausgelöst durch die Erinnerung an die Übergriffe der eigenen Mutter. Stärke, Berechenbarkeit, Rationalität - diese männlich markierten Muster funktionieren nicht mehr. In allen drei Filmen sind die Opfer Männer, und alle finden nur schwer Zugang zu ihren eigenen Gefühlen.
Deutschland 2016
Drehbuch und Regie: Florian Eichinger
Darsteller: Andreas Döhler, Jessica Schwarz, Katrin Pollitt, Heiko Pinkowski, Sebastian Fräsdorf
Verleih: Farbfilm
Länge: 106 Minuten
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Start: 1. Dezember 2016
Und sie alle bleiben mit ihren Problemen allein. Die Außenwelt, vor allem die Familie, ist zu sehr damit beschäftigt, die Verbrechen unter den Teppich zu kehren. In "Bergfest" lässt der eigene Vater das Opfer allein, in "Nordstrand" bleibt die Mutter Zuschauerin, bis sie sich selbst mit einem Gewaltakt Luft verschafft. In "Die Hände meiner Mutter" schwört der Vater die Familie auf Verschwiegenheit ein. Und auch Markus' Frau Monika (Jessica Schwarz) ist eher unwillig als verständnisvoll. "Und das fällt dir jetzt ein? Ist doch ganz schön lange her, oder?", ist ihre erste Reaktion. Es dauert nicht lange, bis die Ehe ins Wanken gerät.
Hoffnungsschimmer in einer Trilogie des Schmerzes
Mit nahen Einstellungen und beweglicher Handkamera bleibt der Regisseur eng an den Protagonisten. Auch wenn sich das Setting der jeweiligen Geschichten immer mehr öffnet - "Bergfest" spielt in einer Hütte in den Alpen, "Nordstrand" auf Norderney, "Die Hände meiner Mutter" schließlich in Hamburg - stehen die Figuren im Mittelpunkt. Gleichzeitig hält Eichinger mit seinen Bildeinstellungen in Cinemascope respektvoll Abstand und vermeidet eine Überdramatisierung. Den Höhepunkt in "Nordstrand" filmt er in einer Totalen, in der die Protagonisten am Bildrand beinahe verschwinden.
In der Gesamtschau der Trilogie kann man auch dem Regisseur beim Wachsen zusehen. "Bergfest" war sein Langfilmdebüt, und man spürt hier noch, wie sich einer abarbeitet an seinem Material, wie er die Geschichte zuspitzt und zum Kochen bringen will. "Die Hände meiner Mutter" ist subtiler, selbstsicherer gestaltet.
Auch inhaltlich hebt sich der Abschluss von seinen Vorgängern ab. Deren Protagonisten blieben in sich gefangen, entwickelten sich kaum. In "Die Hände meiner Mutter" legt Eichinger den Fokus auf die Bearbeitung des Traumas mittels Therapie. Er zeigt, wie viel Energie allein darauf verwendet werden muss, überhaupt einen geeigneten Therapeuten zu finden. Wie schmerzhaft der Weg der Aufarbeitung ist und wie ungewiss der Ausgang. Ein Happy End ist das nicht gerade. Aber doch ein Hoffnungsschimmer.
Im Video: Der Trailer zu "Die Hände meiner Mutter"