"Die Tiefseetaucher" Ein Narrenschiff für alle
Wer Fan ist, will ich sagen. Das ist mein Buch, mein Lied, meine Band, mein Film. Gerade im Kino wird dieses liebende Eigentumsprinzip spannend: Ganz gleich, wie viele Menschen bei der Produktion des Films beteiligt gewesen sind und wer alles auf der Leinwand zu dem Filmganzen gehört - als Fan eigne ich mir diese Gesamtheit an und gebe ihr im zweiten Schritt einen Namen, z.B. den des Regisseurs. Wes Anderson ist so ein Name, und das Schöne daran, Fan der Filme von Wes Anderson zu sein, liegt vielleicht gerade darin, dass hier dem Ich des Fans immer wieder ein sehr starkes, selbstbewusstes Wir begegnet.
Vielseitig verschlossen
Natürlich entwirft jeder Film immer schon eine eigene Welt. Es scheint aber, als nähmen die Wes-Anderson-Filme, von "Bottle Rocket" über "Rushmore" bis "The Royal Tenenbaums", diese Kino-Genesis etwas ernster als andere. Als ostentative Teamarbeiten handeln sie von Familien, Freundschaften und anderen Bindungen, indem sie Ensembles in den Mittelpunkt stellen und entlang eines sorgfältig arrangierten Soundtracks Vielfalt in Bewegung übersetzen.
Ästhetisch in sich geschlossen sind diese Welten in ihrem Reichtum und ihrer Komplexität gleichzeitig offen - so wie das Haus der Familie Tenenbaum. Er habe niemals irgendeinen von seiner Familie verstanden, hat Gene Hackman am Ende von "The Royal Tenebaums" beispielhaft eingestanden und die Beschwichtigung, das sei schon okay, nicht als versöhnlichen Abschluss gelten lassen: "Nein, ist es nicht."
Das Prinzip der Vielfalt, der geschlossenen und darin zugleich offenen Welt, spitzt sich zu im neuen Wes-Anderson-Film. Schwer zu sagen, worum es geht: Wie in "Rushmore" steht zwar auch hier klar eine Figur im Zentrum - Steve Zissou (Bill Murray), der in Erfolg und Eigensinn ergraute, größte Abenteurer unter den Tierfilmern und Meeresbiologen. Nur steht dieser Zissou eben im Zentrum seines eigenen Kosmos, und genau der wird hier entworfen. Nicht zufällig verspricht der Originaltitel des Films, "The Life Aquatic with Steve Zissou", ein ganzes Wasserleben, von dem in der Übersetzung, "Die Tiefseetaucher mit Steve Zissou", leider nicht viel bleibt.
Das neue Filmabenteuer von Steve Zissou, "Der Jaguar-Hai", liefert den Einstieg in diese Aqua-Welt: Luftblasen, Gischt und ein japsender Zissou ("Esteban wurde gefressen!") müssen dem erwartungsvollen Premierenpublikum reichen, um zu glauben, dass ein langjähriger Mitarbeiter und Freund von einer bislang unentdeckten Hai-Spezies gefressen wurde. Ob es eine Entscheidung gewesen sei, wird Zissou bei der Pressekonferenz gefragt, den ominösen Jaguar-Hai überhaupt nicht zu zeigen? "Nein, ich habe die Kamera fallen gelassen." Dennoch wird er mit seiner Mannschaft, dem Team Zissou, und seinem Schiff, der "Belafonte", schnellstmöglich wieder auslaufen, um den Hai zu erledigen. Worin denn der wissenschaftliche Nutzen liege, ein vermutlich vom Aussterben bedrohtes Tier zu töten? "Ich weiß es nicht. Rache?"
Am Ende dieser Expedition wird sich erweisen, was es mit dem Jaguar-Hai, diesem schillernden, vielleicht erfundenen aber sicher nicht minder mit Projektionen aufgeladenen Moby Dick, auf sich hat. Dass damit jedoch noch so gut wie nichts über "Die Tiefseetaucher mit Steve Zissou" gesagt ist, dass entlang dieses Plots nur ein Bruchteil des Films berührt wird, liegt gleichsam in seiner Natur, in dem Wir der Tiefseetaucher.
Das Meer im Wir
Um davon zu erzählen, müsste es immer schon ums Ganze gehen: Zuallererst um das vielköpfige Team Zissou, zum Beispiel um den in unerschütterlicher Liebe zu seinem Chef entflammten Deutschen Klaus Daimler (Willem Dafoe) und um den (Film-)Musiker Pelé dos Santos (Seu Jorge), dessen namentliche Verbeugung vor dem brasilianischen Fußballgott daran erinnern mag, dass mit dem Kosename Zissou niemand geringerer als Zinedine Zidane gerufen wird, noch immer der begnadetste Fußball- und Teamspieler der Welt. Vor allem aber müsste hier Steves selbstbewusste Ehefrau Eleanor (Anjelica Huston) porträtiert werden, das eigentliche Hirn der Truppe. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil niemand hier ansonsten auch nur den Hauch einer Ahnung hat von Meeresbiologie, "die lateinischen Name der Fische und von dem ganzen Zeug".
Vom Team Zissou kann jedoch nicht gesprochen werden, ohne mit der gleichen Ausführlichkeit - Ausstattung und Geste wiegen schwer an Bord der "Belafonte" - über die silbernen Taucheranzüge, die roten Pudelmützen und die hellblauen Uniformen zu reden. Vollständig werden letztere erst durch die Pistolengurte mit den automatischen Waffen Marke Glock, die so lange als absurde Requisiten erscheinen, bis irgendwann ein ebenso absurder Krieg gegen eine Horde mordbrennender Südseepiraten ausbricht.
Das Schiff selbst müsste hier Raum für Raum beschrieben werden mit all den Querschnittbildern eines altmodischen, Holz und Metall gewordenen Kindertraums, eines einzigen Spielzeugs und Spielplatzes, umschwommen von dressierten Delphinen, die mit umgeschnallten Kameras laufend Unterwasseraufnahmen ins Innere senden. Und doch wäre damit noch immer kein annähernd angemessener Eindruck gegeben, ohne dazu die Filmmusik einzublenden - jede Menge Johann Sebastian Bach und Songs von David Bowie, die in Seu Jorges portugiesischer Gitarrenversion ebenso zwischen Vertrautheit und Fremde oszillieren wie das Leben an Bord der "Belafonte".
Forschung und Fiktion
Keine Frage, dass wir es hier mit einer phantastischen Exploitation-Variante von Jacques Cousteau zu tun haben: mit der Welt eines eitlen, sarkastischen, alternden Abenteurers, dessen Filme in weiten Teilen Schummelei sein mögen. Wie ernst jedoch der Film diesen grotesk gewendeten Gegenentwurf nimmt, wie liebevoll er ihn ausarbeitet und jeden Charakter darin immer schon mehr werden lässt als irgendeine (Gegen-)Funktion, zeigen gerade die Bilder, die sich "Die Tiefseetaucher" vom Meer machen.
In der See begegnen wir haarscharf an der Realität vorbei schwimmenden Wesen, die von Henry Selick ("Nightmare Before Christmas") im Stop-Motion-Verfahren kreiert wurden. Ein Wasserleben mit und ohne Steve Zissou. So beschreibt die Bewegung zwischen lakonischer Absurdität, Sarkasmus und einer liebevollen Präzision und Ernsthaftigkeit über und unter der Wasseroberfläche weit mehr als nur den Horizont der Titelfigur.
Hier geht es auch um die Perspektive von Ned Plimpton (Owen Wilson), der seinen Job als Co-Pilot bei Air Kentucky aufgibt, um herauszufinden, ob der Held seiner Kindheit, ob Steve Zissou sein Vater ist: "Ich weiß es nicht, aber ich wollte dich treffen, nur für den Fall."
Und so sehr "Die Tiefseetaucher mit Steve Zissou" ein Film über diese Vater-Sohn-Beziehung ist, so sehr wird dies ebenso ein Film über die Journalistin Jane Winslett-Richardson (Cate Blanchett), die hochschwanger zum Team Zissou stößt und bleiben wird. Wie jedes Mitglied dieser heterogenen Familie bringt Jane ihre eigene Geschichte mit an Bord der "Belafonte".
Es ist genügend Platz dafür auf diesem Schiff. Dafür wurde es gebaut.
"Die Tiefseetaucher" ("The Life Aquatic with Steve Zissou")
USA/Italien 2004. Regie: Wes Anderson. Drehbuch: Wes Anderson, Noah Baumbach. Darsteller: Bill Murray, Owen Wilson, Cate Blanchett, Anjelica Huston, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Michael Gambon, Noah Taylor, Bud Cort, Seu Jorge. Produktion: Life Aquatic, Ltd. Verleih: Buena Vista. Länge: 119 Minuten. Start: 17. März 2005