Kinofilm über Beschleunigung "Wir müssen den Faktor Angst rausnehmen"

Kinofilm über Beschleunigung: "Wir müssen den Faktor Angst rausnehmen"
Foto: DJVSPIEGEL ONLINE: Herr Opitz, in Ihrem neuen Film "Speed" gehen Sie dem Phänomen der gesellschaftlichen Beschleunigung nach, setzen dabei aber zunächst bei Ihrem Leben als junger Familienvater an. Wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl, dass bei Ihnen das Tempo zu hoch ist?
Opitz: Vor ein paar Jahren kam bei mir das komische Gefühl auf, dass ich, egal wie schnell ich durch das Leben hetzte und welche technischen Gadgets ich auch benutze, am Ende keine Zeit mehr für die mir wichtigen Dinge hatte. Ich fragte mich, ob das daher kommt, dass ich älter geworden bin, so was wie eine vorweggenommene Midlife-Crisis, oder ob es ein Phänomen der Zeit und der Gesellschaft ist. Bei der Recherche bin dann auf ein sehr spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa gestoßen, der die Beschleunigung zurückführt auf das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, in dem wir leben. Den beschleunigten westlichen Kapitalismus. Als ich das gelesen habe, wusste ich, dass ich über dieses Thema einen Film machen möchte.
SPIEGEL ONLINE: Im Film machen Sie sich auf eine Reise zu den Ursachen der Beschleunigung, lassen sich von Londoner Finanzdienstleistern deren virtuelle Geschäfte im Mikrosekundentakt erklären und sprechen mit einer hochrangigen Unternehmensberaterin über deren Lebensphilosophie. Als erstes besuchen Sie aber ein Zeitmanagement-Seminar und lassen einen Psychologen beurteilen, ob Sie nicht unter einem Burn-Out leiden. Warum diese ersten Stationen? Sie kommen doch zu dem Schluss, weder ein Burn-Out zu haben noch sonderlich schlecht im Zeitmanagement zu sein.
Opitz: Mir ging es darum zu zeigen, dass dieses Problem eine individuelle und eine gesellschaftliche Seite hat und dass beide sehr eng miteinander zusammenhängen. Die meisten Menschen setzen doch fast ausschließlich bei sich an und fragen sich, warum sie nicht mehr mitkommen oder nicht mehr so gut funktionieren. Sie empfinden es als individuellen Mangel, zu langsam für die Erfordernisse des Jobs und der Gesellschaft geworden zu sein. Nicht umsonst machen die so viele Zeitschriften derzeit Auflage mit dem Thema Burnout. Doch die alleinige Suche nach individuellen Ursachen versperrt den Blick darauf, dass wir es eigentlich mit einer gesellschaftlichen Entwicklung zu tun haben, unter der viele leiden und von der nur wenige profitieren.
SPIEGEL ONLINE: Wofür steht die Unternehmensberaterin, die Sie schließlich nach fast einem Jahr der Terminverhandlungen treffen?
Opitz: Das Denken der Unternehmensberatungen hat unsere Gesellschaft in den letzten beiden Jahrzehnten extrem geprägt. Kaum ein gesellschaftlicher Bereich ist vom allein auf Wirtschaftlichkeit und Effizienz ausgerichteten Denken von Beratungsfirmen wie McKinsey oder Boston Consulting verschont geblieben. Ihr Einfluss ist wirklich enorm, trotzdem hatte ich große Probleme, überhaupt mit jemanden aus einer der großen Unternehmensberatungen zu sprechen - die haben alle keinerlei Interesse daran, öffentlich aufzutreten.
SPIEGEL ONLINE: Täuscht der Eindruck, oder fällt das Wort "Kapitalismus" in Ihrem Film nicht?
Opitz: Doch, ich bestehe darauf, dass das ein zutiefst kapitalismuskritischer Film ist!
SPIEGEL ONLINE: Darauf läuft Ihre Analyse im letzten Teil, den Sie "Alternativen zum Hamsterrad" nennen, sicherlich hinaus. Anfangs scheinen Sie das vermeintliche Reizwort aber vermeiden zu wollen.
Opitz: Nein, das Wort Kapitalismus fällt öfter, in der Mitte des Films, in der ich mich mit den Funktionsweisen des Beschleunigungsystems beschäftige und am Ende, wo es um Alternativen geht. Aber ich habe tatsächlich versucht, Geschichten zu erzählen und es eher dem Zuschauer zu überlassen, Erkenntnisse daraus zu gewinnen. Es besteht bei einem solchen Thema doch immer wieder die Gefahr, ins Parolenhafte abzugleiten. Das wollte ich vermeiden. Zum einen habe ich keine einfache Lösung parat, zum anderen ging es mir darum, mit dem Film einen persönlicheren und letztlich auch unterhaltsameren Zugang zu einem an sich sehr politischem Thema zu finden.

Kinodoku "Speed": Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
SPIEGEL ONLINE: Ist man als Teil der Medienbranche nicht unweigerlich an der Beschleunigung beteiligt? Hier sind schnell verfügbare Informationen doch das allerwichtigste.
Opitz: Natürlich, da bleibt letztendlich auch eine große Ambivalenz zurück. Ich benutze ja auch weiterhin mein Smartphone. Aber es geht ja nicht darum, Schnelligkeit, Technik oder das Internet grundsätzlich zu verdammen, sondern für sich die richtige Dosis zu finden, nicht sein Leben von diesen Geräten bestimmen zu lassen. Das haben wir aber verlernt. Das Neue und das schnell Verfügbare gelten unterhinterfragt als das Wichtige und das Gute. Dabei bleibt keine Zeit mehr, um innezuhalten und uns zu fragen - im Große wie im Kleinen - ob das, was wir gerade machen, überhaupt einen Sinn ergibt.
SPIEGEL ONLINE: Aber wenn man nur darauf achtet, wie man persönlich eine Balance findet - besteht dann nicht die Gefahr, dass die, die es sich leisten können, ihr privates Downshifting betreiben, sich an den Strukturen aber nichts ändert?
Opitz: Absolut. Nachhaltig und grün shoppen ist keine Lösung. Genau deshalb hat mich auch Douglas Tompkins, der Gründer der Bekleidungsmarken Esprit- und North Face, der jetzt ein riesiges Öko-Areal in Argentinien verwaltet, so beeindruckt. Der hat natürlich in seinem ersten Leben als Unternehmer sehr viel Geld verdient, das steckt er jetzt aber in ein ziemlich radikales Projekt in Patagonien, wo er mitten im Wald lebt - er renaturiert dort nicht nur riesige Areale, fasst sie zu Nationalparks zusammen und entzieht sie der industriellen Verwertung, sondern probiert dort auch Modelle des Wirtschaftens- und der Landwirtschaft aus, die nicht auf Beschleunigung und Wachstum ausgerichtet sind. Eines ist mir bei dem Besuch von Tompkins klar geworden: So zu leben wie bisher, nur mit weniger Beschleunigung und weniger Wachstum, das wird nicht möglich sein. Wir werden dann schon auch auf einen Teil des westlichen Wohlstands verzichten müssen.
SPIEGEL ONLINE: Sie besuchen auch einen Banker, der sich als Hüttenwirt einer Berghütte neu erfunden hat. Taugt der zum Vorbild?
Opitz: Rudi, der Banker, hat für sich persönlich einen Weg aus der Beschleunigung gefunden, indem er eine Berghütte übernommen hat. Das hat aber auch nur geklappt, weil er in seinem ersten Leben im System mitgespielt hat. Wenn man schon ein Milliönchen auf dem Konto hat, ist der Ausstieg viel leichter. Aber ich will das gar nicht kritisieren, ich haben allen Respekt dafür, dass er die Funktionsweisen des Hamsterrads, in dem er mitgelaufen ist, durchschaut hat, ausgestiegen ist und heute eine sehr kritische Sicht auf sein früheres Leben hat. Wie sagt er so schön: "Man ist allenfalls noch mit dem Taxi durch Arbeiterviertel gefahren, ausgestiegen ist man da nicht. Ausgestiegen ist man nirgendwo mehr, wo vielleicht noch normale Leute leben."
SPIEGEL ONLINE: Zum Schluss Ihrer Reise kommen Sie beim bedingungslosen Grundeinkommen an, das Sie als einen möglichen gesamtgesellschaftlichen Ausweg aus der Beschleunigung vorstellen. War es für Sie von Anfang an klar, dass Ihre Reise Sie zu diesem Punkt führen würde?
Opitz: Für mich stand von Anfang an fest, dass ich das bedingungslose Grundeinkommen im Film thematisieren will. Ich wusste nur noch nicht wie. Ich finde, dass das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens an vielen entscheidenden Punkten dieses Beschleunigungsystems ansetzt und diese sozusagen aushebelt. Die ultimative und teils erbarmungslose Wettbewerbslogik zum Beispiel. Es würde den Faktor Angst aus dem Hamsterrad entfernen. Wenn die Leute nicht mehr ums alltägliche Überleben kämpfen müssen, dann, glaube ich, wird unglaublich viel positive Energie entfacht, und Menschen können wieder darüber nachdenken, was sie mit ihrem Leben wirklich anfangen wollen.
SPIEGEL ONLINE: Am Anfang des Films stand die persönliche Diagnose, dass Sie zu sehr durch Ihr Leben hetzen. Was haben Sie für sich durch die Dreharbeiten gelernt?
Opitz: Tatsächlich hat mir die auf den ersten Blick banale Weisheit "Du kannst nicht zwei oder mehr Leben in eins packen" weitergeholfen. Das mag für uns moderne Multitasker nicht besonders fortschrittlich klingen, aber die zufriedensten Menschen, die ich während der Recherche getroffen habe, waren die, die sich für eine Sache bzw. einen Weg in ihrem Leben entschieden haben und nicht ständig versuchen, alle Optionen, die sie haben, auszuschöpfen. Wie es Erika Batzli, die Bergbäuerin, im Film auf die Frage, ob ihr nicht andere Optionen im Leben fehlen würden, treffend zusammenfasst: "Das geht mir echt am Arsch vorbei!"
Das Interview führte Hannah Pilarczyk