"The Act of Killing" Wenn Mörder Opfer spielen

"The Act of Killing": Wenn Mörder Opfer spielen
Foto: Neue Visionen"Anwar ist glücklich", sagt sein Kumpel über den Mann, der im indonesischen Medan auf einer Dachterasse die Arme ausbreitet und das Gesicht lächelnd der Sonne entgegenstreckt. Man könnte glauben, er habe hier früher glückliche Stunden verbracht. Vielleicht mit einer Frau getanzt. Aber 1965 legten Anwar Congo und seine Männer hier Hunderten Menschen eine Drahtschlinge um den Hals und erwürgten sie. Die Methode, erzählt er sichtbar stolz, hat er sich einem amerikanischen Western abgeschaut. Das Köpfen und Erschießen, das die Mörderbande vorher praktiziert hatte, hätte nur Blutbäder verursacht und das massenhafte Töten unnötig erschwert.
Musim Parang, die "Saison der Hackmesser", war damals in vollem Gang. General Suharto hatte sich im Oktober 1965 an die Macht geputscht. Danach nahm auf den tropischen Inseln Indonesiens einer der schlimmsten Massenmorde des 20. Jahrhunderts seinen Lauf. Von Sumatra bis Bali zogen paramilitärische Trupps wie im Blutrausch umher. Sie folterten, erwürgten und zerstückelten angebliche Kommunisten und chinesisch-stämmige Einwanderer. Auch normale Bürger aus der Mittelschicht beteiligten sich an den Massakern. Kleinganoven wie Anwar Congo schwangen sich zu Herren über Leben und Tod auf. Mindestens 500.000 Menschen kamen ums Leben, manche Schätzunge gehen sogar von bis zu drei Millionen Opfer aus. Genau weiß das niemand, denn die Massaker wurde nie richtig aufgearbeitet. Bis heute brüsten sich die Mörder mit ihren Taten und werden in Indonesien wie Helden verehrt.
Der amerikanische Filmemacher Joshua Oppenheimer wollte das ändern. Schon seit 2002 arbeitete er an einem Film über die Opfer und ihre Angehörigen. Nachdem er ein Jahr lang in einem Dorf mit Überlebenden verbracht hatte, wurde ihm aber klar, dass er so nicht weiterkommen würde. Die Dreharbeiten wurden ständig behindert und unterbrochen, er und sein Team gerieten in Gefahr. Also entschloss er sich zu einem radikalen Neubeginn. Oppenheimer wechselte die Seiten und lernte die Mörder von damals kennen. Nur zu gern gaben sie vor der Kamera mit ihren Taten von damals an. Plötzlich öffneten sich Oppenheimer alle Türen. Er durfte überall filmen. Soldaten sperrten sogar bereitwillig Drehorte ab.
Wunden schminken, Folter nachspielen

Doku "The Act of Killing": Mörder mit und ohne Masken
Oppenheimer ging noch einen Schritt weiter: Vielleicht sollte man, so schlug er den Killern vor, von den ruhmreichen Taten der Vergangenheit nicht nur sprechen, sondern sie gleich verfilmen. Er erntete begeisterte Reaktionen. "Einen schönen Familienfilm" wünschte sich Anwar Congo. Kurz darauf saßen die Täter von damals in einem Studio und schlüpften in die Rollen ihrer Opfer. Ließen sich offene Wunden in die Gesichter schminken, stellten Folterverhöre nach, schwelgten in Erinnerungen. Wurden für eine Musical-Sequenz mit Tänzerinnen vor einer Bergkulisse gefilmt. Und der dicke, nicht ganz helle Gangsterboss Hermann hüpfte als Dragqueen durchs Bild.
"The Act of Killing" ist einer der intensivsten cineastischen Trips des Jahres. Ein Film, der so nah wie nur wenige an die wahre Natur der Gewalt heranführt. Der verstört, bewegt, erhellt - und lässt dem Zuschauer das Blut in den Adern gefrieren. Oppenheimer sprengt die Grenzen des Dokumentarischen. "The Act of Killing" taucht ab in ein kollektives Unterbewusstes, in dem Fiktion und Wirklichkeit nicht mehr unterscheidbar sind und Kinobilder alles überwuchern. Die Killer begannen ihre kriminelle Karriere als Schwarzmarktverkäufer von Kinokarten, und sie liebten amerikanische Filme. Deren Mythen - ihre Glorifizierung von Helden und von Gewalt - machten sie sich zu eigen, als sie selbst zu Schlächtern wurden. Massenhafte Morde wurden zu Heldentaten, zu einem eigenen Mythos, in dem mutige Männer Indonesien von den Kommunisten befreiten.
Sein Film sei eine Dokumentation des Imaginären, sagt Oppenheimer, der sein Werk im Januar auf der Berlinale vorstellte und dort zwei Preise gewann. Tatsächlich geht dem Regisseur der unbestechliche dokumentarische Blick nie verloren. Obwohl er sich auf äußerst dünnes Eis begibt, indem er sich das Vertrauen seiner Protagonisten erschleicht, gelingt es Oppenheimer, den verlogenen Mythos freizulegen. Und die mächtige Kinomaschine wendet sich gegen die Intentionen der Verbrecher.
Bei den Dreharbeiten zu dem Epos über ihre angeblichen Heldentaten bröckelt vor allem bei Anwar Congo die Mauer der Verdrängung. Während seine Kumpane sich weiter in stumpfer Brutalität spreizen oder kaltschnäuzig jede moralische Verantwortung ablehnen, wird er immer stiller und nachdenklicher. Und dann, bei einer Folterszene, in der Congo ein Opfer darstellt, brechen endgültig alle Dämme. Der Irrsinn der Vergangheit holt den Mörder unbarmherzig ein. In der letzten Sequenz, bei der es dem Zuschauer endgültig kalt den Rücken herunterläuft, ist Congo ein gebrochener Mann.
"The Act of Killing" ist trotz seiner ungewöhnlichen Erzählstruktur kein Experiment, wie oft behauptet wird. Seine Machart ist eine bewusst gewählte Methode der Wahrheitsfindung und Ausdruck des moralischen Rigorismus seines Regisseurs. Für Oppenheimer, dessen Familie zum Teil im Holocaust umkam, sind Mörder keine Monster, sondern viel schlimmer: einfach Menschen in außergewöhnlichen Situationen. Das Böse, es ist für ihn eine schreckliche Realität, überall auf der Welt.