Amerika-Erklärer John Ford Gelobtes Land, verfluchtes Land
"Amerika den Amerikanern!", kräht der Bankier, der seine eigene Bank bestohlen hat. "Steuern senken!" "Dieses Land braucht einen Geschäftsmann als Präsidenten!" Eine Stimme aus einer weit entfernten Vergangenheit, schrill, sich überschlagend. Ein unheimliches Echo aus der Filmgeschichte. Soll noch mal jemand sagen, ein Western aus dem Jahr 1939 habe der Welt 2019 nichts zu sagen.
Die Sätze wie aus dem Lehrbuch für Populisten stammen aus dem Film "Ringo", einem amerikanischen Heimatfilm in Schwarz-Weiß, der sowohl das Western-Genre an sich berühmt machte wie auch seinen Hauptdarsteller John Wayne und dessen Regisseur John Ford. Gemeint waren sie damals als satirische Zuspitzung, mit der Ford sich über die Zerrissenheit der Gesellschaft in den USA und den grenzenlosen Egoismus seiner Kapitaleigner lustig machte. Dass der Witz in seinem Land einmal Realität werden würde, hat sich John Ford sicher nicht ausmalen können.
Quoten- und Aktualitätsdruck sorgen seit Jahren dafür, dass Filmgeschichte im TV-Programm nur noch in Nischen stattfindet, dem Nachwuchs droht eine bemitleidenswerte cineastische Illiteralität. Der Fernsehsender Arte stemmt sich selten, aber zumindest regelmäßig dem Diktat des Neuen entgegen, wie auch an diesem Sonntag mit einem Abend mit John Ford. Ein Abend, der so gar nicht dazu einlädt, in eine imaginierte gute alte Zeit zu entschwinden, sondern ein Panorama bietet, das die Gegenwart auf vielfältige Weise spiegelt.

James Stewart, John Ford und John Wayne (v.l.) bei den Dreharbeiten von "Der Mann, der Liberty Valance erschoss" im Jahr 1962
Foto: Alamy Stock Photo/ ArteSchließlich war John Ford der Mann, der Amerika erfand - so zumindest der Titel der klugen französischen Dokumentation über den Regisseur, die Arte nach seinem Klassiker "Der Mann, der Liberty Valance erschoss" als deutsche Erstausstrahlung zeigt. Und in gewissem Sinne stimmt das, denn in seinen Filmen, in "Ringo" und "Faustrecht der Prärie", in "Bis zum letzten Mann", "Der schwarze Falke" und "Der Teufelshauptmann", konnte Amerika Nabelschau halten. Idealistisch und mythisch entrückt einerseits, von inneren Konflikten zerrissen andererseits.
Selbst ein Gangster bekommt eine Chance
Ford drehte über einen Zeitraum von 50 Jahren Filme, und sein Oeuvre zeigt diese Zerrissenheit der Nation, auch sein eigenes Hadern mit der Heimat. Der Glaube an den amerikanischen Traum ist in vielen seiner Filme die Klammer, die alles zusammenhält. Selbst ein Gangster wie Ringo bekommt hier seine Chance. Aber deutlich wird immer wieder, wie zerbrechlich dieser Traum ist und wie weit entfernt oft von der Realität - der zornige Realismus seiner Steinbeck-Verfilmung "Früchte des Zorns" (1940) steht dafür ebenso Pate wie die erbarmungslose Erinnerung an den verdrängten Genozid an den indigenen Ureinwohnern in seinem letzten Western "Cheyenne" (1964).

John Ford fand das Monument Valley als Drehort für seine Amerika-Geschichten - obwohl sich in Wirklichkeit niemals ein Siedlertreck dorthin verirrte.
Foto: Steve Dunleavy/ ArteDas Besondere an John Fords Werk ist, dass der Künstler in späteren Jahren gewissermaßen die Kulissen umstößt, die er in den Jahrzehnten zuvor selbst aufgebaut hat. In "Der schwarze Falke" zeigt er auf atemberaubend griffige Weise den Hass und den Rassismus, der scheinbare Helden antreibt; in "Der Mann, der Liberty Valance erschoss" macht er den Mythos des "Wilden Westens", seine von ihm selbst forcierte märchenhafte Überhöhung, zum Thema. "Wenn die Legende Wirklichkeit wird", sagt da ein Zeitungsreporter, "drucke die Legende."
Zur Legende wurde Ford im Lauf der Jahrzehnte selbst, nicht zuletzt wegen seines schroffen Umgangs mit Journalisten. Die Doku zeigt Ausschnitte aus Interviewversuchen, die das auf das Wunderbarste belegen. Auf die Frage, wie er eine bestimmte Szene gefilmt habe, bellt er etwa an seiner qualmenden Zigarre vorbei: "Mit einer Kamera!" Zeitlebens spielte Ford die Rolle des rauen Cowboys, um sich Kritiker und Fans gleichermaßen vom Hals zu halten. Die eigentliche Person John Ford, der schwere Alkoholiker, sensible Literaturliebhaber, unglückliche Privatmann, bleibt so widersprüchlich wie seine Filme.
Wie die Siedler das heutige Amerika betrachten würden, wird Ford, schon gezeichnet von Krankheit und Alter, Anfang der Siebzigerjahre gefragt. "Sie würden sich schämen", antwortet er darauf. Aber: "Irgendwann wird es besser." Gegenwärtig ist es bekanntlich erst einmal viel schlechter geworden. Aber: Zumindest in Fords Filmen stirbt die Hoffnung zuletzt.
"John Ford - Der Mann, der Amerika erfand" läuft am 17. März 2019 um 22:15 Uhr auf Arte und ist bis zum 15. Mai 2019 in der Mediathek abrufbar . Zuvor zeigt Arte um 20.15 Uhr Fords Westernklassiker "Der Mann, der Liberty Valance erschoss".