West-Berlin in den Achtzigern "Alles war geil"

West-Berlin in den Achtzigern: "Alles war geil"
Foto: DEF MediaMan muss dabei gewesen sein. Dieser Satz ist eine Floskel. Eine Floskel, die sich sogar in einer Kultur hält, welche die faule Version der Zeitmaschine, YouTube, hervorgebracht hat. Eine Zeitmaschine, die man oft nutzt und trotz der man sich doch danach sehnt, den warmen Atem der Momente, in denen Geschichte geschrieben wurde, im eigenen Gesicht zu spüren.
Das West-Berlin der Achtzigerjahre ist ein Ort, über den man Menschen jene Floskel sagen hört. Ein Ort des Exzesses. Ein Ort des Experiments. Eine magische Verwebung aus Zeit und Raum.
Dieses verblichene West-Berlin, eine Insel der Kreativität, ist das Thema des Dokumentarfilms "B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989". Dafür haben die Filmemacher Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange teils noch unveröffentlichtes Archivmaterial zu einer Collage verarbeitet; zusammengehalten wird das Ganze durch die Erinnerungen eines kundigen wie flapsigen Stadtführers, der im Grunde ein Fremder ist.
Er heißt Mark Reeder, kommt aus Manchester und verlässt 1979 seine Heimat, Brutstätte der Punk-Avantgarde, um etwas Neues zu sehen. Der junge Musikliebhaber Reeder geht also dorthin, wo man nicht ein Stück vom Kuchen will, sondern die ganze Bäckerei.

West-Berlin 1979-1989: Eine Insel der Kreativität
Am Anfang von "B-Movie" sieht man, stets mit Reeders Kommentar versehen, das West-Berliner Chaos. Häuser wie Zombies. Ruinen, Dreck. Als wäre nichts passiert nach Mai 1945. Inmitten der Zerstörung dröhnt es. Punks, die auf Tonnen schlagen. "Berlin war noch abgefuckter als Manchester", erzählt Reeder.
Was hinter der Mauer liegt, ist egal
Reeder ist einer von vielen Fremden, die diese "Halbstadt" fasziniert. Kurz nachdem Reeder an der vollgesprühten Berliner Mauer entlanggefahren ist, erhascht der Zuschauer weitere faszinierte Fremde; eine Compilation aus Archivbildern in körniger Super-8-Ästhetik: Die britische Schauspielerin Tilda Swinton radelt vorbei, der US-Künstler Keith Haring bemalt die Mauer, der Franzose Thierry Noir will dort ein Pissoir anbringen. Was hinter der Mauer lag, sei den meisten egal gewesen, sagt Reeder. Im West-Berlin der Achtziger habe die Mauer, absurd genug, den "Rahmen für grenzenlose Freiheit" gebildet.
Wie sieht diese Freiheit aus? Reeder macht sich auf die Suche. Dem Zuschauer liefert er Antworten in flüchtigen Schnipseln, "immer auf der Flucht nach vorn". Seine eigenen Aufnahmen von damals mischen sich mit dem Material anderer Chronisten und Amateurfilmer dieser Zeit: Kurz nach Reeders Ankunft in West-Berlin fährt er durch die Oranienstraße, wo die Frauen Kopftücher oder Nasenringe tragen, zieht wenig später in ein besetztes Haus, kriegt mit, wie Klaus-Jürgen Rattay 1981 während einer Demonstration tödlich verletzt wird, stolpert von der Straße in Kneipen wie das "Risiko", in dem "einer der schrägsten Vögel", Blixa Bargeld, ausschenkt, oder Diskotheken wie den "Dschungel", in dem David Bowie verkehrt. "Wir glitten wie auf Schienen durch die Nacht und schnieften billiges Speed", erinnert sich Reeder aus dem Off. "Alles war geil."
Die Loveparade kommt, die Mauer fällt
Die Liste der in "B-Movie" gezeigten Gesichter, die im Laufe der Zeit zu kultisch verehrten Masken geworden sind, wirkt endlos. Hier, in den Achtzigern, sehen sie alle noch jung und unverbraucht aus: Die Ärzte, die sagen, dass sie Nena heiraten wollen. Nick Cave, der mit Blixa Bargeld einen "Krieg gegen Schlaf" führt. Jörg Buttgereit, mit dem Reeder später Splatterfilme dreht. Martin Kippenberger, der im "SO36" tanzt. Westbam, der Ende der Achtziger den DJ zum neuen Popstar erklärt. Mit der ersten Loveparade am 1. Juli 1989 und dem Fall der Mauer wenig später endet Reeders Erzählung. Und damit auch sein West-Berlin.
"B-Movie" ist Geschichtsunterricht, wie man ihn sich wünscht. Von einem Zeitzeugen erzählt, der zugibt, dass er nicht alles weiß. Ohne erhobenen Zeigefinger, mit Humor. Der Film verzichtet darauf, sich in erschöpfenden Interviewsequenzen à la Guido Knopp zu verlieren. Im Hintergrund läuft immer der Soundtrack der Zeit. Und mal rattert ein Super-8-Projektor, mal rauscht eine Nadel auf Vinyl.
Was man vermisst, ist etwas mehr Mut. Hoppe, Maeck und Lange lassen Reeder brav von einer radikalen Zeit erzählen. Brüche in der Form hätten den Inhalt verstärken können. Schade auch, dass die Grenze von "B-Movie" die Mauer ist. Man fragt sich gelegentlich, was zeitgleich im Osten geschah.
"B-Movie" ist nicht nur Geschichtsunterricht, sondern auch ein Lehrstück über gelebte Aussöhnung. Hier berichtet ein Fremder von der Faszination für einen Ort, der für seine Eltern fest mit Begriffen wie "Krieg" und "Feind" verknüpft war. Es ist der Bericht eines postmodernen Abenteurers, der die Bräuche der Einheimischen lernen will, angelockt vom wilden Klang einer im Chaos geborenen Utopie. Ein in Zelluloid verpacktes Plädoyer für die Verständigung.
Muss man nun dabei gewesen sein, um das West-Berlin der Achtziger zu verstehen? In einem Interviewfetzen gibt Blixa Bargeld eine Art Antwort: "Ich halte es für unmöglich, die Essenz von Berlin auf Film einzufangen." Er irrt sich.
Sehen Sie hier den Trailer zu "B-Movie - Lust & Sound in West-Berlin"
Deutschland 2015
Buch und Regie: Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck, Heiko Lange
Mit: Mark Reeder, Blixa Bargeld, Gudrun Gut, Nick Cave, Annette Humpe, Westbam, Nena, Tilda Swinton
Verleih: Interzone Pictures
Länge: 92 Minuten
Start: 21. Mai 2015
FSK: ab 16 Jahren
B-Movie - Der Film