

Rumänien in den Achtzigern. Staatspräsident Nicolae Ceausescu, das selbst ernannte "Genie der Karpaten", regiert das Land mit eiserner Hand. Die Geheimpolizei Securitate hat ein Spitzelsystem errichtet, das jeden zum Verdächtigen macht. In den Läden gibt es fast nichts zu kaufen, im Fernsehen läuft ein Parteiverherrlichungsprogramm in Schwarz-Weiß. Nach zwei Stunden ist Sendeschluss.
Abends aber, in den Wohnzimmern der Großstädte, wird die bleierne Zeit aufgehoben. Menschentrauben sitzen dann heimlich vor kleinen Fernsehern und starren gierig auf die Bildschirme. Dort sehen sie Bilder, aufgenommen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs: Patrick Swayze, der in "Dirty Dancing" Jennifer Grey betört. Robert de Niro als Gangster in "Es war einmal in Amerika". Und: Chuck Norris, der sich in "McQuade, der Wolf" von niemandem unterkriegen lässt.
In ihrem Langfilm-Debüt erzählt die rumänische Dokumentarfilm-Regisseurin Ilinca Calugareanu, auf welche Weise viele Rumänen in der Endphase der Diktatur für kurze Zeit aus der bedrückenden Realität flohen. Filme aus dem Westen waren, wie Bücher oder Schallplatten auch, streng verboten. Auf dem Schwarzmarkt aber wurden VHS-Kassetten gehandelt, meist mit Filmen aus den USA. Allerdings bedurfte es viel Glück, auch einen Fernseher zu ergattern. Und Videorekorder waren, wenn überhaupt erhältlich, so teuer wie ein Auto.
Die Macht der Bilder
Also versammelten sich die Menschen zu Videonächten bei Nachbarn, Verwandten und Freunden, die über die nötige technische Ausstattung verfügten. Dann versanken sie in der überwältigend bunten, reichen, freien Welt, von der die Filme erzählten. Calugareanu lässt ihre Interviewpartner von dieser Erfahrung berichten, und noch immer zaubert die Erinnerung vielen ein entrücktes Lächeln ins Gesicht. "'Top Gun' habe ich 38-mal gesehen", begeistert sich einer. "Die riesigen Autos, Apartments, Supermärkte - dass es so etwas wirklich geben sollte, gab uns Hoffnung", schwärmt ein anderer.
Von der Macht der Bilder erzählt "Chuck Norris und der Kommunismus" auf umwerfend intensive Weise. "Menschen brauchen Geschichten", bringt es jemand auf den Punkt. Fenster in fremde Welten, Fluchtvehikel vor der Wirklichkeit, purer Eskapismus - all das waren Filme seit ihrem Bestehen für Menschen in den unterschiedlichsten Lebensverhältnissen. Für die Depravierten der Ceausescu-Diktatur aber waren sie es in geradezu existenzieller Dringlichkeit.
Sie träumten sich aus der Unterdrückung in der Realität hinein in die Ermächtigung. Die Muskelberge des Hollywood-Actionkinos der Achtzigerjahre, von "Rambo" bis "Rocky", wurden für junge männliche Rumänen zur Projektionsfläche. "Wir wollten auch Helden sein", sagt einer von ihnen im Interview. Aus einem dem Eskapismus geweihten Videoabend wurde so Provokation und Subversion. Und später, folgt man zumindest Calugareanus Interpretation, auch Rebellion.
Securitate sucht die vergötterte Synchronsprecherin
Obwohl er nach wie vor fabelhaft unterhält, wird ihr Film an dieser Stelle problematisch. Dass die rumänische Revolution im Dezember 1989 tatsächlich ausbrach, weil einige Tausend Menschen durch Filme angestachelt ihrem Freiheitsdrang folgten, ist zwar eine schöne Vorstellung.
Allerdings wird sich die These kaum belegen lassen. Die Regisseurin aber ist davon so begeistert, dass sie wenig kritische Distanz erkennen lässt.
Wie man überhaupt spürt, dass Ilinca Calugareanu sich sehr stark von der Geschichte mitreißen lässt. Ihr Film ist in Wahrheit eher ein Doku-Drama als eine klassische Dokumentation. Sie stellt die historischen Vorgänge mit Schauspielern nach und inszeniert mit Kamerafahrten und Kranaufnahmen betont cineastisch. In der zweiten Hälfte entwickelt ihr Film sich sogar zu einer Art Agenten-Thriller, wenn die Geheimpolizei auf die Filmschmuggler und die von ihren Landsleuten vergötterte Synchronsprecherin aufmerksam wird.
Stilistisch und methodisch ist das nicht ganz sauber. Und sicher ist Calugareanus Blick ungenauer als der analytisch-kühle, den ihre Spielfilm-Kollegen in vielfach ausgezeichneten Werken wie "4 Monate, 3 Wochen und zwei Tage" oder "Mutter & Sohn" auf die damalige und gegenwärtige rumänische Gesellschaft werfen. Calugareanus Doku funktioniert dagegen ähnlich wie ein Hollywoodfilm: Der Mythos lässt die Wirklichkeit verblassen. Das kann man kritisieren - und sich dann doch von dieser ungemein bezaubernden Geschichte bezirzen lassen.
Im Video: Der Trailer von "Chuck Norris und der Kommunismus"
Rumänien, Deutschland, Großbritannien 2015
Regie und Drehbuch: Ilinca Calugareanu
Darsteller: Irina Margareta Nistor, Ana Maria Moldovan, Dan Chiorean, Valentin Oncu, Cristian Stanca, Petre Bacioiu, Elena Ivanca, Florin Mircea, Ileana Negru, Catalin Herlo, Miron Maxim, Tudor Mesesan, Paul Socol, Vlad Corb, Vlad Calugareanu
Produktion: Mara Adina, Brett Ratner
Verleih: Rise And Shine Cinema
Länge: 78 Minuten
FSK: k.A.
Start: 12. November 2015
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Die Regisseurin Ilinca Calugareanu erzählt in ihrem Dokumentarfilm-Debüt von den heimlichen Videonächten,...
...die ihre Landsleute in den Achtzigerjahren unter der Herrschaft des Diktators Nicolae Ceausescu veranstalteten.
Mr. Zamfir brachte die illegalen Kopien bekannter Hollywoodfilme unters Volk.
Er und seine Synchronsprecherin, die die Stimmen sämtlicher Figuren einsprach, lebten gefährlich.
Bald kam ihnen die Geheimpolizei Securitate auf die Spur. Das hätte das Ende der Operation bedeuten müssen,...
...hätte Zamfir nicht gewusst, dass auch die Geheimpolizisten gerne Filme aus dem feindlichen Ausland konsumierten.
So konnte er auch die prekärsten Situationen entschärfen.
Die Stimme der Synchronsprecherin war für viele Rumänen wie eine "Stimme aus einem Engelschor". Sie verkörperte, wie die Filme selbst, ihre Sehnsucht nach Freiheit.
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