Dokumentarfilm "Waltz with Bashir" Geister eines vergessenen Krieges

Wenn der Alptraum zurückkehrt: Der israelische Regisseur Ari Folman arbeitete mit seinem Zeichentrick-Dokumentarfilm "Waltz with Bashir" seine Vergangenheit als Soldat im Libanon-Krieg auf - und schuf ein ästhetisch außergewöhnliches Werk.
Von Ilse Henckel

Allnächtlich hetzt ihn die Hundemeute durch die leere Stadt bis in sein Haus, er kann kaum die Tür hinter sich zuschlagen. Genau 26 Tiere verfolgen ihn in seinem Albtraum, den der Mann schließlich seinem Freund Ari schildert.


Der überlegt. Und beiden dämmert, dass die 26 Bestien die Boten seiner unverarbeiteten Vergangenheit sein müssen. Aus einer Zeit, als sie junge Soldaten in der israelischen Armee waren, eingesetzt im ersten Libanon-Krieg, vor 26 Jahren.

Als Ari beim Gespräch erkennt, dass er jene Epoche vollständig vergessen zu haben scheint, macht er sich auf den Weg rückwärts in seine verschüttete Geschichte. Er befragt alte Kameraden, Freunde und Vorgesetzte. Er fürchtet, Dinge über sich zu erfahren, die er lieber nicht wissen wollte, und tatsächlich kommen die Bilder aus dem Krieg zurück.

Das Blutbad, das der Israeli Ari Folman so gründlich ausgeblendet hat, geschah im September 1982 im Libanon, nach der Ermordung des designierten libanesischen Staatspräsidenten Bashir Gemayel. Damals wurden in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila an der Peripherie Beiruts Hunderte Zivilisten von christlich-libanesischen Milizen niedergemetzelt, die auf der Jagd nach militanten PLO-Kämpfern waren. Alles offenbar vor den Augen des in den Libanon einmarschierten israelischen Militärs.

Mit seiner preisgekrönten Kreuzung aus Dokumentar- und Zeichentrickfilm "Waltz with Bashir" fördert Regisseur Ari Folman seine eigenen verschütteten Erinnerungen zutage, arbeitet vorsichtig sein Trauma auf, das auch das Trauma einer ganzen Nation ist. Daraus ist nicht nur ein packendes und brisantes Zeitzeugnis geworden, auch formal geht dieser Film unerschrocken auf weitgehend unerschlossenen Wegen.

Hier wurde kein konventionell hergestellter Spielfilm nachträglich per Software digitalisiert und verfremdet (wie Richard Linklaters "Waking Life" von 2001), keine Comic-Autobiografie animiert (wie Marjane Satrapis "Persepolis") – der Regisseur ließ authentische Aufnahmen von Interviews und Gesprächen, Traumsequenzen und Rückblenden – Realität wie Fiktion – Einzelbild für Einzelbild in kräftigen, kantigen Strichen und gedeckten Farben nachzeichnen. Ein Stilmittel, das zugleich distanziert und intensiviert – und aus "Waltz with Bashir" einen sehr persönlichen Kriegsfilm macht, der tief unter die Haut geht.

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