Drehbuchautoren in Deutschland "Wir wären Kriegsgewinnler"
SPIEGEL ONLINE: Seit Montag streiken Ihre amerikanischen Autoren-Kollegen für mehr Geld, die gesamte Filmindustrie ist erlahmt. Sehen Sie die Arbeitsbedingungen der deutschen Drehbuchautoren ähnlich dramatisch?
Andrae: Unsere Autoren möchten wie die amerikanischen Kollegen stärker von den neuen Verwertungsmöglichkeiten im digitalen Zeitalter profitieren. Wir würden es sehr begrüßen, in Deutschland einen flächendeckenden Tarifvertrag zu haben, den gibt es bisher nicht. Besonders gravierend ist, dass in der Regel keine Honorare mehr für Wiederholungen gezahlt und eigens Firmen aus dem Boden gestampft werden, mit deren Hilfe Mindesthonorare leichter umgangen werden können. Die ARD hat zum Beispiel die Produktionsfirma Degeto gegründet - und die macht ihre eigenen Gesetze.
SPIEGEL ONLINE: Der Kampf, den Sie führen, scheint eher im Untergrund abzulaufen - das deutsche Publikum bekommt davon jedenfalls nichts mit.
Andrae: Wir kämpfen auf diplomatischer Ebene, indem wir mit Produzentenverbänden und Sendern verhandeln. Das ist natürlich nicht so öffentlichkeitswirksam. Wir sind zwar ein starker Verband, aber eine kleine Berufsgruppe.
SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie nicht auch in die Offensive gehen und es Ihren Kollegen in den USA gleichtun?
Andrae: Streiken? Das kommt momentan nicht in Frage. Bedauerlicherweise, denn ein Streik hätte in Deutschland keine Aussicht auf Erfolg.
SPIEGEL ONLINE: Warum nicht?
Andrae: Weil hierzulande nicht alle Drehbuchautoren organisiert sind. Von den geschätzten 1.000 Drehbuchautoren, die es in Deutschland gibt, sind etwa 400 in unserem Verband. Wenn die nun ihre Arbeit niederlegten, besteht natürlich die Gefahr, dass die nichtorganisierten Autoren sich um die Aufträge bemühen.
SPIEGEL ONLINE: Also keine Solidarität unter Kollegen?
Andrae: Manche müssen jahrelang um Aufträge ringen, ihren Lebensunterhalt mit Nebenjobs bestreiten. Einige können sich noch nicht einmal den Mitgliedsbeitrag in unserem Verband leisten. Diese Autoren sorgen sich verständlicherweise erst einmal um den nächsten Buchauftrag.
SPIEGEL ONLINE: Ihr amerikanisches Pendant, die Writer's Guild of America (WGA), hat ungefähr 12.000 Mitglieder. Woher kommt der starke Zulauf?
Andrae: In den USA sind die Drehbuchautoren anders organisiert. Es besteht sozusagen eine Zwangsmitgliedschaft in der Writers Guild, alle müssen dort Mitglied sein. In Krisenzeiten hat das natürlich große Vorteile, wie man jetzt sieht.
SPIEGEL ONLINE: Sind Sie neidisch auf Ihre amerikanischen Kollegen?
Andrae: Viele Kollegen sind neidisch und behaupten, die Bedingungen für Drehbuchautoren seien in den USA wesentlich besser. Ich glaube, dass man differenzieren muss. In Deutschland hat man als Autor eine viel größere Autonomie, kann Formaten seinen eigenen Stempel aufdrücken, einige schreiben ganze Serien allein. Für Amerikaner sind das paradiesische Zustände. Aber das ist nur die ideelle Seite, die materielle ist durch sinkende Honorare gekennzeichnet, wogegen wir natürlich kämpfen.
SPIEGEL ONLINE: Sie sagen, ein Streik käme nicht in Frage, weil Ihre Verbandsgröße das nicht hergibt. Die Gewerkschaft der Lokführer ist auch klein, mischt aber die ganze Republik auf.
Andrae: Wir werden uns den weiteren Verlauf des Lokführerstreiks genau anschauen und beobachten, wie schlagkräftig ein kleiner Berufsverband wirken kann. Vielleicht können wir daraus lernen, auch wenn es sich um eine andere Branche handelt. Für uns wäre es natürlich ideal, derartige Aufmerksamkeit und Wirkung zu erzielen.
SPIEGEL ONLINE: In den USA ist das ansatzweise schon der Fall. Late-Night-Talker wie Letterman bangen bereits um ihre Gags. Beschert uns der Streik auch in Deutschland eine schwarze Mattscheibe?
Andrae: Auf das Kino wird sich der Streik etwa im Jahr 2010 auswirken. In diesem Bereich wird langfristig geplant. Aber im Serienbereich geht es wesentlich schneller. Ohne Nachschub würden die Einkaufabteilungen der Sender innerhalb eines halben Jahres auf dem Trockenen sitzen. Die Zuschauer würden es dann durch den Wegfall weiterer Staffeln innerhalb eines Jahres merken.
SPIEGEL ONLINE: Wäre das nicht eine Situation, in der vermehrt deutsche Autoren zu Hilfe geholt werden?
Andrae: Im besten Fall wäre es tatsächlich eine Chance für hochklassige deutsche Programme. Im schlechtesten Fall wäre die Konsequenz allerdings die Ausstrahlung billig produzierter amerikanischer Programme oder eine Zunahme der Gameshows.
SPIEGEL ONLINE: Also könnten die deutschen Drehbuchautoren vom US-Streik profitieren, ohne selbst etwas dafür getan zu haben.
Andrae: Wir wären dann tatsächlich Kriegsgewinnler.
SPIEGEL ONLINE: Drücken Sie aus Eigennutz die Daumen, dass der Streik lange dauern wird?
Andrae: Auf keinen Fall. Natürlich möchte ich, dass die amerikanischen Kollegen erfolgreich sind. Und das möglichst schnell. Wir haben als Verband auch eine Solidaritätsadresse an die Writer's Guild gerichtet. Vielleicht ergibt sich aber eine Fernwirkung auf Deutschland. Wenn es dort gut läuft, könnte das unser Gewicht als Urheber stärken.
Das Interview führte Andrea Tholl