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"Dumbo": Diese Ohren können fliegen

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"Dumbo" von Tim Burton Sind so große Ohren

Was kommt heraus, wenn Hollywoods liebster Exzentriker einen Kinderklassiker neu erzählt? Tim Burtons "Dumbo" verhandelt Familiensehnsucht und Inklusion - gewürzt mit Kritik an der Verwertungsmaschine Disney.

Die Redewendung "Klappe zu, Affe tot, Zirkus pleite" stammt aus der Zirkuswelt. Angeblich wurden Zuschauer einst mit einer kleinen Holzkiste gekobert, in der ein Äffchen saß. War die Klappe zu, bedeutete das, dass das Tier verstorben war - und dass der Zirkus früher oder später pleite ging.

Der Verzicht auf das Ausstellen (und damit Misshandeln) von Wildtieren mag tatsächlich zum Zirkussterben beigetragen haben - der Hauptgrund ist jedoch das konkurrenzbedingte abnehmende öffentliche Interesse.

Im Jahr 1919, dem Jahr, in dem Tim Burtons von Disneys Animationsklassiker "Dumbo" inspirierter Realfilm spielt, war das noch anders: In Burtons Film hat der Zirkusdirektor Max Medici (Danny DeVito) gerade erst eine trächtige Elefantenkuh gekauft. Nun wartet er mit seiner kleinen Truppe, zu der auch der kriegsversehrte Ex-Zirkusreiter Holt Farrier (Colin Farrell) und dessen Kinder Millie und Joe gehören, auf das Elefantenbaby.

Beim Hollywood-Zeichentrick "Dumbo" aus den Vierzigerjahren, den die Richtlinien des sogenannten Hays Code moralisch regulierten, wurde der Nachwuchs von Störchen gebracht - bei Burton schauen Millie und Joe morgens in den Elefantenwagen, und finden im Stroh ein possierliches Elefäntchen mit riesigen Ohren, die sogleich für Häme sorgen.

Der Familienzirkus hatte sich von einem Babyelefanten ohne "hässliche" Ohrmutation einiges an Einnahmen versprochen und dessen Mutter verkauft - nun übernehmen die Kinder die Aufzucht. Sie sind es auch, die Dumbos Fähigkeit entdecken: Wenn er mit seinem Rüssel eine Feder einatmet, kann er fliegen.

Der Exzentriker Tim Burton und sein Autor Ehren Kruger ("Arlington Road") werden lange überlegt haben, wie und vor allem wie sehr sie den Originalstoff verändern und wie sie mit Disneys wiederum fest an die klassischen weißen "Familienwerte" gekoppelten Mainstream-Vorgaben umgehen. Der ursprüngliche Trickfilm war einst ein großer finanzieller Erfolg, und wurde 1941 für zwei Oscars nominiert, einer davon für das Schlaflied "Baby Mine".

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"Dumbo": Diese Ohren können fliegen

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Heldenreise einer zerrissenen Familie

Burton setzt das Lied ebenfalls ein, in einer Akustikversion, die von Miss Atlantis, einer fülligen, melancholischen Meerjungfrau mit Ukulele-Kenntnissen gesungen wird. Als liebevolle Hommage an das Original hat Burton außerdem die als Feuerwehrmänner verkleideten trotteligen Clowns und natürlich seine Version des legendären "Pink Elephants on Parade"-Trips inszeniert - bei ihm fällt er kürzer, aber psychedelisch genug aus.

Doch darüber hinaus mussten Burton und Kruger die ganze Handlung neu erfinden. Denn das zärtliche Original ist zwar eine Hymne an die Toleranz, aber hatte dramaturgisch kaum etwas zu bieten und endete schon mit Dumbos Einsatz als Zirkussensation. Burton und Kruger konstruieren die Story als Heldenreise einer zerrissenen Familie - und spiegeln Dumbos Sehnsucht nach seiner abwesenden Mutter mit der Sehnsucht von Millie und Joe nach ihrer Mutter. Dem unentschiedenen Holt, dessen Handicap (ein fehlender Arm) ihm auch die Chuzpe raubte, schenken sie eine Liebesgeschichte.


"Dumbo"
USA 2019

Regie: Tim Burton
Drehbuch:
Ehren Kruger
Darsteller: Colin Farrell, Danny DeVito, Michael Keaton, Eva Green, Alan Arkin, Nico Parker
Produktion: Walt Disney
Verleih: Walt Disney Germany
Länge: 112 Minuten
FSK: ab 6 Jahren
Start: 28. März 2019


Vor allem erschaffen sie mit dem skrupellosen Großunternehmer V. A. Vandevere (Michael Keaton), der den kleinen Zirkus samt Dukatenesel bzw. -elefant alsbald schluckt, einen Gegenspieler, dessen lukratives Imperium Dreamland verdächtig an Disneyland erinnert.

Ein paar Spritzer Anarchie

In diesem überdimensionalen Vergnügungspark in den von Weltkriegsfolgen, Prohibition und Einführung des Frauenwahlrechts geprägten USA gibt es sogar Themenwelten wie Futureworld, in der Science-Fiction-Geräte (retrofuturistische Handys) präsentiert werden - von einer männlichen Puppe im Morgenrock und einer weiblichen im Businessanzug. Dreamland mit seiner rein kapitalistisch geprägten Intention nimmt jedoch ein schlechtes Ende. Und ohne zu spoilern darf verraten werden, dass das Thema Tierschutz bei Burton ebenfalls verarbeitet wird - anders als beispielsweise 2017 in der Filmbiografie über P. T. Barnum "Greatest Showman".

Dass Burton Zugeständnisse an den Disney-Konzern machen musste, um eine solch subversive Botschaft aussenden zu dürfen, ist wahrscheinlich. Vielleicht hätte er, wenn nicht die größte und konservativste Familienfilmschmiede der westlichen Welt ihm in den Nacken gepustet hätte, auf noch mehr Kitsch verzichtet.

So ist Disneys neuester Zugelefant ein durch ein paar erfreuliche Spritzer Anarchie gewürztes, opulentes und zuweilen leicht fahriges Familienvergnügen mit immerhin einigen Hintergedanken. Und mit vielen entzückenden Ideen und Randfiguren, die die menschenverachtende Tradition des abusiven Ausstellens von Freaks vermeiden. Allein die versatile Miss Atlantis, die neben Gesang und Schlagkraft noch als Unter-Wasser-Shakespeare-Interpretin glänzt und ein Schild mit "To breathe or not to breathe" am Aquarium hängen hat: So eine muss man sich erst mal ausdenken.

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