Dustin Hoffman zum 70. Amerikas berühmteste Jungfrau
Ist es wirklich schon so weit? Der zappelige Knabe mit den schmalen Schultern wird 70. Aber was heißt das schon bei einem Schauspieler, der stets perfekt zwischen Illusion und Desillusionierung balancierte und sich auf diese Weise in einen Zustand inspirierter Alterslosigkeit gespielt hat?
Er war bereits über 30, als er Amerikas berühmteste Jungfrau wurde. Bis 1967 agierte Dustin Hoffman glücklos in Off-Broadway-Stücken und Nebenrollen im Fernsehen, mit Mike Nichols' Film "Die Reifeprüfung" ("The Graduate") kam für ihn dann doch noch der Erfolg. Als sexuell unerfahrener College-Student Benjamin Braddock wurde er von einer gewissen Mrs. Robinson in die Kunst des gefühlsbefreiten mittelständischen Triebabbaus eingeführt. Scotch und Vögeln ohne Worte, so brachte man sich in den US-Wohlstandszonen phlegmatisch durch die Nächte.
Verführt, missbraucht, aufbegehrend für Hoffman sollte diese erste große Rolle zum Sinnbild seines Kinoschaffens werden. Wie kein Zweiter verkörperte er im New Hollywood der siebziger Jahre die verletzte Unschuld. Seine Statur kam ihm dabei entgegen: schmalgliedrig, verschmitzt und meist recht zappelig spielte er sich durch seine frühen Filme. Er war der ewige Junge, der wie aus heiterem Himmel mit den Abgründen der menschlichen Natur konfrontiert wurde.
Wie viel Gewalt doch auf diese schmalen Schultern geladen wurde! In Sam Peckinpahs "Wer Gewalt sät" ("Straw Dogs") verkörperte er 1971 einen freundlichen Intellektuellen, der sich von Landbewohnern zu einem lustvollen Mordmatch animieren lässt. In "Der Marathon-Mann", wo ihn Regisseur John Schlesinger 1976 der scheußlichsten Zahnbehandlung der Filmgeschichte unterziehen ließ, wird er dann noch mal zum Rächer.
Als "Little Big Man" ins Guinness-Buch der Rekorde
Auf diese Weise kultivierte Dustin Hoffman eine ganz neue Form von Körperlichkeit für das große Kino. Er avancierte zum kassenträchtigen Star ohne die althergebrachten Attribute von Männlichkeit bemühen zu müssen. Was besonders deutlich wird, wenn man ihn an der Seite forciert maskuliner Kollegen sieht. Etwa 1969 neben dem virilen Jon Voight in "Asphalt Cowboy", wo er als nervöses Wrack durch die Straßen New Yorks humpelt. Oder 1973 als Partner des tigerartigen Steve McQueen im Tropen-Gefängnis-Schocker "Papillon", für den er mit dicker und von der feuchten Luft konstant beschlagener Brille den Fälscher-Filou gibt. Oder ebenfalls 1976 im Watergate-Thriller "Die Unbestechlichen", in dem Hoffman als ewig zerknitterter Investigativ-Journalist neben dem überirdisch schönen Robert Redford agiert.
Und trotz dieses nicht immer vorteilhaften Auftretens hatten es seine Filmbuddies zuweilen nicht leicht neben ihm: Der ewige Junge ließ sie eben alle alt aussehen. Bei den Aufnahmen von "Die Reifeprüfung" war er zum Beispiel nur sechs Jahre jünger als Hauptdarstellerin Anne Bancroft, die seine doppelt so alte Verführerin mimt, und in "Rain Man" gab er glaubhaft den Bruder des 25 Jahre jüngeren Tom Cruise. Aber mit der Generationsverortung ist das bei Hoffman sowieso eine komplizierte Sache: Im fabulösen Anti-Western "Little Big Man" verkörperte er einen Charakter von dessen 17. bis zum 121. Lebensjahr und schaffte es mit dieser Altersspanne, der größten, die je von einem einzelnen Darsteller gewuppt wurde, gar ins Guinness-Buch der Rekorde.
Illusion und Desillusionierung gehen bei ihm Hand in Hand. Und Alter ist für Hoffman eben eine relative Angelegenheit. Das hat weniger mit seiner vielbeschworenen Verwandlungskunst zu tun. Vielmehr verweigerte er sich den üblichen bequemen Altersrastern des Entertainmentbetriebs was ihm in den Achtzigern und Neunzigern allerdings auch gewisse Löcher in die Filmographie schlug.
Graumelierter Halbwüchsiger
Als er in seine späten Vierziger kam, jenen Altersabschnitt also, wo man sich in Hollywood auf die in Tempo und Temperament gedrosselte Charakterparts zurückzieht, wählte Hoffman ein paar wunderbar verwegene Rollen. Zwar war er 1985 in Volker Schlöndorffs "Tod eines Handlungsreisenden" mit grautrüber Virtuosität in der Titelrolle eines der berühmtesten Verlierer des amerikanischen Traums zu sehen eine, wie er später erklärte, Reminiszenz an das enge kleinbürgerliche jüdische Milieu, dem er selbst entwachsen ist. Ansonsten jedoch legte er bei der Rollenwahl eine fröhliche Zwanglosigkeit an den Tag. Spielte in "Tootsie" 1982 einen arbeitslosen Schauspieler, der in Frauenkleider steigen muss. Machte für "Rain Man" 1988 auf autistischen Freigeist. Sorgte 1991 in Steven Spielbergs "Hook" mit Enterhaken und böse rollenden Augen für schönen Schauder.
Später machte man sich manchmal ein bisschen Sorgen, weil es Hoffman mit seiner kindlichen Camouflage ein bisschen übertrieb und seine Verkleidungskunst ins Unerträgliche übersteigerte. Gelegentlich verschwand sein Charisma hinter Maske, Manierismus und Garderobe. Da funkelte nichts mehr.
Umso mehr freute man sich über "Moonlight Mile", wo er 2002 als trauernder Vater eine sonderbare Unschuld an den Tag legte. Das gefühlvolle, unaufgeregte und sogar humorige Familiendrama wirkte wie eine Zäsur. Inzwischen ist auch wieder die kleinste Rolle, die Hoffman übernimmt, ein Geschenk für das Publikum. Ob er nun als verrückter Mental-Detektiv in der Psychokomödie "I Heart Huckabees" ins Bewusstsein seines männlichen Klienten hinabsteigt oder in "Stranger Than Fiction" als koffeinsüchtiger Universitätsdozent mit einer Grenzverletzung zwischen Fiktion und Wirklichkeit konfrontiert wird: Dieser graumelierte Halbwüchsige spielt mit einer wachen Launigkeit, die selbst das Unwahrscheinlichste glaubhaft erscheinen lässt.
Unerschrocken enthemmt gab sich der Star auch jüngst für "Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich", wo er als Späthippie den stiernackigen Mittelstandspatriarchen Robert De Niro in die Freuden freizügig ausgelebter Sexualität und gemeinsamer Toilettenbenutzung einführt. Fast 40 Jahre liegen zwischen "Die Reifeprüfung" und diesem lustvollen Spießerbashing. Amerikas berühmteste männliche Jungfrau hat sich locker gemacht, erwachsen ist sie noch lange nicht. Happy Birthday, alter Junge.