Ein Vierteljahr im Kino Deutschland, dein Niveau

Die deutsche Filmbranche trommelt kräftig für den Einheitsbrei - am liebsten mit Steuergeldern finanziert. Fast noch dämlicher sind nur ihre Initiativen gegen Piraterie. Doch ganz verzweifeln müssen wir nicht.
Szene aus "Weit"

Szene aus "Weit"

Foto: Weit

Von diesen Zuschauerzahlen können die meisten deutschen Filme nur träumen: Mehr als 200.000 Tickets wurden für den eigenproduzierten Dokumentarfilm "Weit" bereits gelöst. Das Bemerkenswerte: Weder hat der Film einen klassischen Verleih, noch eine professionelle Produktionsfirma, noch eine übliche Marketing-Kampagne. Wenn es mit rechten Dingen zuginge, dann müsste der Film in aller Munde sein. Doch von ein paar einsamen Stimmen abgesehen, schweigt sich die Branche dazu aus. Ist sie vielleicht auf einem Auge blind?

Irgendwie normal vermutlich für Leute, die ihre ganzen Rufe nach Geld vom Staat stets mit dem Bedarf nach mehr Professionalisierung rechtfertigen. Von wegen Anschluss an Hollywood, Know-how-Transfer und so. Oder was meint Alexander Thies, Vorsitzender der Produzentenallianz, wenn er auf deren Sommerfeier von "internationalem Niveau" spricht, auf das die hiesigen Produktionen zurückgebracht werden sollen?

Schwer vorstellbar, dass er an mehr Drehtage denkt für eine intensivere Arbeit mit Schauspielern, damit sie davon wegkommen, nur schöne Projektionsflächen zu sein. Oder an mehr Geld für Präzision in der Gestaltung von filmischen Welten, damit sie nicht nur teuer aussehen, sondern auch eigensinnig und widerborstig. Und was ist mit der Notwendigkeit von mehr Freiheit fürs Experimentieren jenseits von Zielgruppen-Kalkül?

Zum Autor
Foto: privat

Frédéric Jaeger ist Vorstandsmitglied im Verband der deutschen Filmkritik und Chefredakteur von critic.de . Als freier Autor schreibt er unter anderem für SPIEGEL ONLINE. 2015 hat er die parallel zur Berlinale stattfindende Woche der Kritik  mitgegründet und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ein Jahr lang zu Filmpolitik gearbeitet. An dieser Stelle hält er vier Mal im Jahr Rückschau auf das vergangene Quartal in der Filmbranche .

Ex-UFA-Geschäftsführer Wolf Bauer forderte jüngst mehr Fernsehförderung , weil die - Achtung, Bla-Bla-Gefahr! - "Nachfrage nach attraktivem, hochwertigem Programm steigt". Und setzte dann "Games of Thrones" auf eine Stufe mit "Deutschland 83", "Unsere Mütter, unsere Väter", "Ku'damm 56" und "Charité". Alles hochwertig, schon klar. Und das soll zusätzliches Steuergeld fürs Fernsehen - das es regional und in geringerem Umfang auch vom Bund ohnehin gibt - rechtfertigen?

Lauter Gegensätze

Wenn sich bloß herumspräche, wie viele Millionen schon heute jenseits der Haushaltsabgaben-Milliarden ins Fernsehen und deren Tochterunternehmen fließen... Stattdessen darf man allenthalben lässige Schulterschlüsse beobachten, weil dieselben Firmen für Kino und Fernsehen tätig sind und sie es sich mit niemandem verscherzen wollen, ganz egal auf welchem - ähem - "Niveau".

"Professionell" ist in diesem Zusammenhang oft bloß ein Codewort für glatt. Kompliziert wird es allerdings, wenn innerhalb des Glatten plötzlich auch Experimentelles zugelassen wird. Eine solche Überraschung bot die Verleihung des "First Steps Award", des Preises für die besten Abschlussfilme deutschsprachiger Filmschulen, vergangene Woche in Berlin. Mit glänzenden Augen freute sich Jetzt-alleiniger-UFA-Chef Nico Hofmann zu Beginn darüber, wie professionell inzwischen die Zeremonie von der Bühne geht. Und er muss es wissen, denn er hat den Preis vor 18 Jahren aus der Taufe gehoben. Dann folgten lauter Gegensätze.

Szene aus "Final Stage" mit Aaron Hilmer

Szene aus "Final Stage" mit Aaron Hilmer

Foto: First Steps Awards

Ein Preis ging immerhin an den langsamen und eindringlichen, mit fantastischen Akzenten arbeitenden mittellangen Film "Final Stage" von Nicolaas Schmidt, Abschlussfilm an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Schon allein dessen kurzer Zusammenschnitt zeigte, wie wenig sich dieses Material in Werbeclipform fügen lässt. Der Film selbst beweist, welch große Bandbreite jungen Filmschaffens es gibt, vor allem bevor es professionell wird. Bei den "First Steps" schien diese gerade in Form von auf- und anregenden Nominierten wie "Luft" und "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes" durch.

Für das andere Ende des Spektrums gingen gleich zwei Preise an das exploitativ-naive Drama "Watu Wote" von Katja Benrath über Islamismus und einen Einzelfall-Kampf dagegen. "Watu Wote" hat erst kürzlich einen Studenten-Oscar erhalten und könnte, wenn alles schief läuft, nach "Quiero ser" von Florian Gallenberger (First Steps 2000) Auftakt sein für die nächste Welle an unausstehlichen, vermeintlich politischen, aber vor allem restaurativen Filmen des guten Gewissens.

Doch auch jenseits der Preise waren die "First Steps" lehrreich. Wie wenig sich manche hinter fahlen Floskeln von "Niveau" oder "hochwertigem Programm" verstecken, zeigte etwa der Auftritt der Sponsorenvertreterin von ProSiebenSat.1. Sie lobte gönnerhaft eine Masterclass aus, für alle Filmschulabsolventen Deutschlands. Und schob dann süffisant hinterher, dass die nur den Willen mitbringen müssten, breitenwirksam zu erzählen, also für mehr als eine Million Zuschauer - als sei fehlender Erfolg am fehlenden Willen festzumachen, und als kenne sie die Formel für das Gegenteil. Ein Auftritt, der gut passte zum Bückling vor den Oscars.

Szene aus "Watu Wote" mit Faysal Ahmed

Szene aus "Watu Wote" mit Faysal Ahmed

Foto: First Steps Awards

Nie ist sie weit in Deutschland, die blinde Hörigkeit vor dem professionell sanktionierten Erfolg, die kindliche Ehrerbietung vor den Preisen der "Academy" und ihren langweiligen Maßstäben. Schon erstaunlich, wie selbst die jüngst verliehenen Studenten-Oscars hierzulande gefeiert werden, als ob es einen Wettbewerb um den größten Minderwertigkeitskomplex gebe. Dabei sollte sich doch längst herumgesprochen haben, wie deren Entscheidungen Jahr um Jahr nur so strotzen vor öden Formeln der Vergangenheit, die sich mit größter Mühe gegen das Neue immunisieren und auch vom Hollywoodkino das eher uninteressante, aber selbstverständlich "hochwertige" Mittelmaß mit "Niveau" hervorheben.

Kopie oder Raubgut?

Wie verbreitet doch der feige Blick zurück ist, erklärt vielleicht auch, wieso die EU-Kommission noch 2014 eine Studie über die Auswirkungen von Piraterie in Auftrag gab, sie seit Fertigstellung im Mai 2015 aber einfach nicht veröffentlicht hat. Die Studie hat nämlich einen ziemlich weiten Horizont - und taugt beim besten Willen nicht dazu, eine rückwärtsgewandte Politik des Immer-nur-weiter-so zu rechtfertigen.

Dass die Ergebnisse nun überhaupt das Licht der Welt erblicken, ist auf die Initiative der EU-Abgeordneten der Piratenpartei Julia Reda zurückzuführen . Ihre Anfrage auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes bringt Fakten ins Spiel, die nicht zuletzt auch die deutsche Filmwirtschaft mächtig ärgern dürften.

Das sehr knappe Resümee der 300 Seiten: Mit einer wichtigen Ausnahme konnte die Studie keinen (statistisch erheblichen) Zusammenhang herstellen zwischen unerlaubten Nutzungen und verlorenen Verkäufen. Das heißt soviel wie: In den allermeisten Fällen entgeht den Firmen durch die so dramatisch mit "Raub" gelabelten Kopien gar keine Einnahme. Und wenn doch, dann geht es um wenige, einstellige Prozentpunkte.

Egal ist das deshalb noch lange nicht, und es darf auch kein Argument für weniger Urheberschutz sein. Aber es ist doch eins dafür, alle Kraft darauf zu verwenden, nach neuen Möglichkeiten zu suchen, diesen positiv greifen zu lassen. Also: Die Ressourcen gehören in Anreize für legale Nutzungen, nicht in Kampagnen gegen unerlaubt streamende Teenies. Tja, was macht wohl die deutsche Kinobranche?

Lernen von der Games-Branche

Genau: Die Filmförderungsanstalt (FFA) gibt allein 2016 (!) mehr als eine halbe Million Euro für "Antipirateriebekämpfung" aus - meint aber wohl eher nicht die Bekämpfung von Antipiraten. Und die Vision Kino, die auf Bundesebene für Filmbildung tätig ist, beweist perfektes Timing. Vergangene Woche ging ihre neue, aufwändig gestaltete Website an den Start (finanziert von, you guessed it, der FFA), die Lehrern helfen soll, Schüler aufzuklären über Gut und Böse beim Filmegucken im Internet.

Unter dem Namen "Wer hat Urheberrecht"  gibt sich die Website moralisch integer - hat aber ironischerweise selbst die Filmschaffenden für die Neu-Veröffentlichung ihrer Interviews im Netz nicht entlohnt. Wichtiger noch: Auskünfte darüber, wieso das Leihen von einzelnen Filmen im Internet so viel teurer ist als früher in Videotheken, sucht man dort vergebens. Will Vision Kino vielleicht weniger informieren, als die Branche beruhigen? Dafür spricht jedenfalls, dass die legalen Streams auf ihrer Website nur mit in Deutschland selten gutem Breitband ruckelfrei abrufbar sind.

Die Studie dagegen hat auch in dieser Frage erhellende Informationen zu bieten: Sie offenbart, dass die einzige wirkliche Ausnahme bei den Piraterie-Verlusten das Blockbuster-Kino ist (dem etwa 5 Prozent der Einnahmen durch illegale Nutzungen entgehen) und dass ein entscheidender Punkt die Erlösmodelle sind. Laut Studie wären illegale Streamer in Deutschland im Durchschnitt bereit, 6,1 Euro für einen Film auszugeben. Zeit also, die immer weiter steigenden Preise im Kino zu überdenken? Nein, das wäre wahrscheinlich nicht "professionell".

Dabei gibt es viele Branchen, von denen sich lernen ließe. Der Games-Industrie gelingt es zum Beispiel, selbst an den Nutzern illegaler Kopien durch ausgeklügelte Bezahlsysteme mit oft stufen- oder punkteweiser Monetarisierung von Extras, Levels und Cheats noch Geld zu verdienen. Man muss diese Systeme nicht mögen, um zu sehen: Im Kino geht es zurzeit ganz schön konservativ zu.

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