Drama "El Club" Priester ohne Reue

Vier suspendierte Priester leben an der Nordküste Chiles, schuldig und isoliert. Nach einer Gewalttat zwingt ein Ermittler sie dazu, sich ihrer eigenen Vergangenheit zu stellen. "El Club" ist packender Mystery-Thriller und Abrechnung zugleich.
Von Jörg Schöning
Drama "El Club": Priester ohne Reue

Drama "El Club": Priester ohne Reue

Foto: Piffl Medien

"Im Kleinwagen zum Staatsbesuch!" Als vor einigen Wochen Papst Franziskus auf seiner US-Visite bei Obama vorfuhr und vor dem Weißen Haus aus einem Fiat 500L stieg, sorgte er damit für Schlagzeilen. Das Oberhaupt der katholischen Kirche demonstrierte einmal mehr Bescheidenheit und damit eine Kardinaltugend, die "Protzbischöfen" und anderen hohen Kurienvertretern bislang eher fremd gewesen war. Seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus ist jene Tugend das deutlichste Zeichen einer veränderten Kirche - einer Kirche, die sich "neu" nennen kann?

Von einer "neuen" Kirche träumt und spricht jedenfalls der katholische Priester García (Marcelo Alonso), den eine heikle Mission aus der Hauptstadt Santiago in ein verschlafenes Kaff an der Nordküste Chiles führt. Hier wohnen, von einer Haushälterin betreut, aber ansonsten isoliert, vier Amtskollegen fortgeschrittenen Alters.

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"El Club": Neue Kirche, alte Kirche

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Einer von ihnen ist dement und pflegebedürftig; die anderen drei halten sich einen Windhund. Der vertreibt ihnen nicht nur die Zeit, sondern bringt auch so manche kleine Einnahme ein, weil er auf der örtlichen Rennbahn über die Hunde der "Supermarkttürken", wie die Priester ihre stärksten Konkurrenten nennen, regelmäßig triumphiert.

Dass sie selbst ziemliche Windhunde sind, tritt zutage, als ein fünfter Priester zur Wohngemeinschaft hinzustößt. Wie die anderen ist auch dieser Padre vom Amt suspendiert. Doch während die vier ihre Verfehlungen längst unter den Teppich gekehrt haben, kann der Neuankömmling seiner Vergangenheit selbst am vermeintlichen Ende der Welt nicht entfliehen. Denn ein äußerlich verwilderter, innerlich verstörter Mann, der sich Sandokan nennt und vor dem Haus der Padres Posten bezieht, posaunt es heraus: Seine obszöne Litanei berichtet von einem Missbrauch an einem Ministranten - und lässt kein Detail aus.

Das fahle Licht eines Limbus

Als der Beschuldigte kurz darauf in einer Blutlache liegt, ist eine Untersuchung der Vorfälle unvermeidlich. Und weil der dazu entsandte Padre García einen hohen moralischen Anspruch vertritt, lässt er auch nicht locker, als er im Haus auf eine Mauer des Schweigens trifft. Da die Befragten geschulte Beichtväter sind, beherrschen sie die Verhörsituation nur zu gut.

Verstockt und selbstgerecht bekennen sie sich zu ihren Sündenregistern höchstens stückchenweise. Aggressiv und mit offenen Provokationen reagieren sie auf den "Bürokraten aus dem Vatikan", ohne auch nur das kleinste bisschen Reue zu zeigen.

Einen "Club der verlorenen Priester" nennt der chilenische Regisseur Pablo Larraín jene kirchlichen Straftäter, die sich nach ihrem Amtsverlust der weltlichen Justiz entziehen und unter dem Schutzmantel der Amtskirche in eigens für sie eingerichteten "Rückzugshäusern" Buße als Privatsache betreiben dürfen. Nach "No!", seinem schnellen und grellen Film über politischen Werberummel, wirkt "El Club" nahezu kontemplativ.

Anstelle bunter Fernsehbilder zeigt Larraín verblichene Landschaftstotalen im Breitwandformat, die er mit alten russischen Objektiven aus den Sechzigerjahren aufgenommen hat. In "El Club" herrscht das fahle Licht eines Limbus, dem Larraíns Film seinen ganz eigenen - in der Malerei würde man wohl sagen: altmeisterlichen - Charakter verdankt. Bei der Berlinale Anfang dieses Jahres hat er dafür den "Großen Preis der Jury" erhalten.

Regisseur Larraín macht dem Klerus den Prozess

"El Club" folgt einer strengen Liturgie. Immer wieder sind es christliche Bildmotive, von der Handwäsche "in Unschuld" bis zur Kreuzabnahme Christi, die hier einen Opferritus illustrieren. Doch nicht etwa das wie ein mittelalterlicher Märtyrer gezeichnete Missbrauchsopfer (Roberto Farías), das sich in einer Art Ein-Mann-Favela vor dem Seniorendomizil häuslich niederlässt, muss dafür das Lamm Gottes abgeben. Denn erkennbar ist der "neuen" Kirche, die Padre García anstrebt, weniger an himmlischer Gerechtigkeit gelegen, als an einem Lastenausgleich schon auf Erden.

Ohne Rücksicht auf die Übeltäter sorgt der Pater unerbittlich für dessen gerechten Vollzug. Dass die Auseinandersetzung mit den Sünden der sinistren Seelsorger, die für alle Beteiligten äußerst schmerzhaft ausfällt, nicht auch die Kinozuschauer als Kasteiung empfinden, liegt am kriminalistischen Muster des Films. Eine Bluttat, ein Ermittler, eine Atmosphäre aus Geheimnis und Verschwörung; all das dient "El Club" zur Spannungsmaximierung.

Einmal mehr hat Pablo Larraín ein populäres Genre zur Aufarbeitung vergangener Verfehlungen genutzt. "No!" war vor zwei Jahren seine Abrechnung mit der Pinochet-Diktatur, in "El Club" macht er nun mit den Mitteln eines Mystery-Thrillers dem Klerus seines Landes den Prozess. Wie aktuell sein Film tatsächlich ist, wird am Schluss schlagartig klar, wenn der kirchliche Gesandte seinen Auftrag erfüllt hat und, nach der obligatorischen Fußwaschung, in einen Kleinwagen steigt.

Im Video: Der Trailer zu "El Club"

El Club

Chile 2015

Regie: Pablo Larraín

Drehbuch: Guillermo Calderón, Daniel Villalobos

Darsteller: Roberto Farias, Antonia Zegers, Alfredo Castro, Alejandro Goic, Jaime Vadell

Verleih: Piffl Medien

Länge: 98 Minuten

FSK: k.A.

Start: 5. November 2015

"El Club": Offizielle Website zum Film 
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