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Egoyan-Werk "Chloe": Femme fatale trifft Familientier

Foto: Kinowelt

Erotik-Melodram "Chloe" Die Lust der Anderen

Verwegene Idee: Eine Frau lässt ihren Gatten durch ein Callgirl überwachen - und verliert sich dabei zwischen Projektion und Wirklichkeit. Mit "Chloe" gelingt Atom Egoyan ein formvollendeter Fetisch-Thriller und ein grandios böser Frauenfilm.

Es wird nicht ganz klar, was diese Frau eigentlich so umtreibt: Ist es wirklich nur Eifersucht, die Catherine (

Julianne Moore

) dazu bewegt, auf ihren Ehemann ein Callgirl anzusetzen, um seine Treue zu testen? Ist es auch ein bisschen Langeweile, weil ihr das Leben zwischen eigener Arztpraxis, Kammerkonzerten und Designer-Eigenheim festgefahren erscheint? Oder ist es gar die Hoffnung, durch die Aufdeckung möglicher erotischer Exkurse ihres Mannes die eigene eingeschlafene Sexualität neu erwecken und entdecken zu können?

Auf jeden Fall findet die Mittvierzigerin Catherine in der Mittzwanzigerin Chloe (Amanda Seyfried) genau die richtige Kandidatin für den Gatten-Check: Die Blondine ist klug, sexy und hat Augen groß wie Badeseen. Wenn ihr Mann sie schon betrügt, so mag Catherine sich denken, dann wenigstens nicht unter Niveau.

Und tatsächlich: David (Liam Neeson), der nach Meinung seiner Frau als Musikprofessor ja sowieso die ganze Zeit von jungen, interessanten und wissbegierigen Dingern umgeben ist, kann der Versuchung offensichtlich nicht widerstehen. Bald erzählt Chloe der aufgewühlten Catherine ganz genau, wie und wo der Betrug seinen Lauf genommen habe. Das erste Schäferstündchen fand demnach in einem versteckten Winkel des Tropengewächshauses von Toronto statt; dort wo in schwüler Luft exotische Pflanzen ranken, erblühte also die Lust des Ehemannes in längst vergessener Pracht.

Ich bin, was ich phantasiere

Moment mal: Liebemachen im Blümchenambiente - das klingt doch eher nach Frauenphantasie. Aber da siehst du mal: Deinen Mann scheinst du eben immer wieder neu kennenlernen zu können. Und wer steckt schon in der Lust der Anderen drin?

Einer allerdings kennt sich bestens mit der Lust der Anderen aus: der armenisch-kanadische Regisseur Atom Egoyan. Begehren, das ist in seinen Filmen nicht das simple Verzehren nach fremder Haut, sondern vielmehr ein komplexes Ineinander von Projektionen und Sehnsüchten, von Spekulationen und Ängsten, von frühen psychologischen Prägungen und vagen körperlichen Ahnungen.

Von seinem Stripclub-Drama "Exotica" (1994) über den Missbrauchsthriller "Felicia, mein Engel" (1999) bis zum Entertainer-Krimi "Wahre Lügen" (2005): Immer wieder näherte sich Egoyan in vertrackten Schnittkonstruktionen den sexuellen Identitäten seiner Protagonisten und der Architektur ihres Begehrens. Die letzte Wahrheit sucht man in den meisten seiner Filme vergeblich. Die Devise lautet: Ich bin, was ich phantasiere.

Kein Wunder, dass die Fans von Egoyans doppelbödigem Arthouse-Kino schockiert waren, als sie hörten, dass der Regisseur mit "Chloe" nun ein kanadisches Remake des französischen Betrugsdramoletts "Nathalie" von "Coco Chanel"-Regisseurin Anne Fontaine vorlegt. Doch die Befürchtungen bestätigen sich nicht. Wo das Original mit flotter Frauenzeitschriften-Logik das Fremdgeherspielchen vorantreibt, da orientiert sich Egoyan eher an Alfred Hitchcocks epochalem Verführungskrimi "Vertigo". Egoyans Heimatstadt Toronto flirrt in seinem neuen formvollendeten Erotik-Melodram tatsächlich so fieberhaft, verheißungsvoll und schließlich fatal wie seinerzeit Hitchcocks Vision von San Francisco.

Femme fatale trifft Familientier

Und wie Kim Novak in "Vertigo" schwankt eben auch die Luxusblondine Amanda Seyfried in "Chloe" gefährlich zwischen devotem und dominantem Verhalten. Denn wer lenkt in diesem Betrugsszenario eigentlich wen? Schwer zu sagen. Auf jeden Fall verwandeln sich die Projektionen, die Catherine auf die schöne junge Frau wirft, in gefährliche Rückprojektionen. Denn die erkaufte Konkurrentin will sich bald mit Geld nicht mehr abspeisen lassen, dringt ins Innere von Catherines Familie vor: Aus der von der Ehefrau vermeintlich kontrollierten Affäre wird eine entfesselte Dreiecksgeschichte - ja, durch die Einbeziehung von Catherines 17-jährigem Sohn gar eine Vierecksgeschichte.

"Chloe" ist ein grandios böser Frauenfilm geworden. Männer sind hier nur Spielbälle weiblicher Phantasien und Versorgungsstrategien. Dieses Konstrukt kann natürlich nur aufgehen, weil sich Nachwuchshoffnung Amanda Seyfried und Allzweckcharaktermimin Julianne Moore auf Augenhöhe begegnen. Die Rollen von Femme fatale und Familientier lösen sich in ihrem Spiel riskant auf.

Das ist die verstörende Wendung in Egoyans Lust-Thriller: Am Ende hat man weniger vor dem kalkulierten Gebaren des Callgirls Angst als vor dem verqueren Begehren der Familienmutter.

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