Filmdrama über Scheinehen Wirklich alles inklusive?

Filmdrama über Scheinehen: Wirklich alles inklusive?
Foto: X VerleihErst mal soll er tanzen. Baran (Ogulcan Arman Uslu), gerade aus dem Militärdienst entlassen, sucht in einem türkischen Ferienort nach Arbeit - doch den Inhaber des kleinen Lokals am Strand interessiert weder Barans Arbeitswille noch seine angeblich schnelle Auffassungsgabe. Für ihn zählt nur, ob Baran sich schwungvoll im Takt bewegen kann.
Also fuchtelt Baran mit den Armen und wippt sein Becken, so lange, bis der Inhaber schließlich zufrieden nickt. Denn wie sich herausstellt, ist Barans Dienst in der Küche nur eine Nebenbeschäftigung - seine eigentliche Aufgabe besteht darin, Touristinnen anzuflirten und irgendwann auch ins Bett zu begleiten.
In diesen Szenen, in denen Barans Existenz als Ferien-Gigolo geschildert wird, ist Ilker Çataks "Es gilt das gesprochene Wort" zur Gänze ein Film über Körper. Nicht dem Innenleben der Figuren gilt seine Aufmerksamkeit, sondern der Art, wie sie sich durch den Raum bewegen und wie ihre äußere Erscheinung ihre Stellung in der Welt bestimmt. Dem beweglichen Körper des Ex-Soldaten werden dabei eine Reihe von Touristenkörper gegenübergestellt, die in ihrer fröhlichen Ausgelassenheit gleichermaßen hilflos wie übergriffig wirken.

"Es gilt das gesprochene Wort": Rette mich, heirate mich
Die westliche Wohlstandsgesellschaft betrachtet den Körper des Einheimischen als uneingeschränkt verfügbares Lustobjekt - und der Einheimische bedient diese erniedrigende Fantasie, um einen kleinen Teil des ausländischen Wohlstandes zu erhaschen. Dieser schnöde Tauschhandel offenbart unter dem ruhig beobachtenden Blick von Çataks Film eine Art tragischer Harmonie: Jede Partei scheint hier genau das anzubieten, was die jeweils andere ersehnt. Und doch sind am Schluss beide unglücklich.
In der mediterranen All-inclusive-Welt taucht schließlich Marion (Anne Ratte-Polle) auf, eine deutsche Pilotin, die durch eine Krebsdiagnose auf andere, schmerzliche Art auf die eigene Körperlichkeit zurückgeworfen wird. Obwohl sie Barans Avancen konsequent ablehnt, konfrontiert dieser sie ganz unvermittelt mit einer Bitte: Ob sie ihn heiraten und nach Deutschland mitnehmen könne. Marion reagiert ungläubig, verwirrt, abwehrend - und willigt schließlich doch ein.
"Es gilt das gesprochene Wort"
Deutschland, Frankreich 2019
Regie: lker Çatak
Drehbuch: Nils Mohl, lker Çatak
Darsteller: Anne Ratte-Polle, Oulcan Arman Uslu, Godehard Giese, Sebastian Urzendowsky, Johanna Polley
Produktion: if... Productions, Loin Derrière L'Oural, ZDF
Verleih: X-Verleih
Länge: 122 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Start: 1. August 2019
Dieser plötzliche Sprung steht im Zentrum von "Es gilt das gesprochene Wort": Marion kehrt mit Baran zurück nach Hamburg, heiratet ihn, organisiert ihm Wohnung und Arbeit - doch die genauen Gründe für ihr Handeln werden in Çataks Film gezielt im Dunkeln gelassen. Marions Entscheidung bleibt ein tiefes Mysterium, eines, das der Film immer wieder aufs Neue umkreist - bis schließlich der Eindruck entsteht, dass das menschliche Handeln weniger auf den Einfluss eines ausgeformten Charakters zurückgeht, sondern vor allem auf die willkürlichen Setzungen des Zufalls. Es ist ein geradezu anti-psychologischer Gestus, der sich in Çataks Film bemerkbar macht und der ihm eine faszinierende Abgründigkeit verleiht.
Diese Abgründigkeit hat der Film dann leider auch bitter nötig, denn nach der Etablierung der Grundkonstellation wird "Es gilt das gesprochene Wort" zunehmend formlos. Immer neue Situationen und Konflikte werden angerissen, aber dann sofort in eine diffuse Mehrdeutigkeit gehoben. Der Film ist streckenweise so sensibel und ruhig und auf die leisen Zwischentöne konzentriert, dass er droht, gar nicht mehr viel von irgendwas zu sein.
Auch wirkt es, als hätte der Film gerade in den Dialogszenen eine eigentümliche Scheu vor jeder Art dramatischer Zuspitzung. So ausdrucksstark Ratte-Polle und Uslu auch sind, merkt man doch immer wieder, dass ihnen das Material nicht genug Reibungsfläche bietet, um den Szenen eine klare Richtung zu geben.
Im Video: Der Trailer zu "Es gilt das gesprochene Wort"
Auf den letzten Metern bekommt "Es gilt das gesprochene Wort" somit Angst vor der eigenen Courage: Der Film hofft, in den inneren Gedanken und Gefühlen seiner Figuren einen stabilen Sinnzusammenhang zu finden. Dabei hat er in seinen stärksten Momenten doch selbst klar gezeigt, dass vom Individuum keine Antwort zu erwarten ist, wenn man auf der Suche nach Erklärungen ist.