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Kinodoku "Bad Boy Kummer": Auf der Borderline

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Fälscherporträt "Bad Boy Kummer" Das schillernde Versprechen des Pop

Irrste Interviews, krasseste Reportagen: Tom Kummer wurde in den neunziger Jahren als Starjournalist gefeiert. Dann flog auf, dass er seine Texte gefälscht hatte. Die Doku "Bad Boy Kummer" geht dem Skandal nach und entlarvt dabei die Medienfigur Kummer als Erfindung einer eingeschworenen Clique.

Auch Miklós Gimes rutscht es manchmal noch heraus. "Herausragender Journalist". Er meint damit Tom Kummer, den spektakulären Interviewfälscher, der Ende der neunziger Jahre für einen der größten Skandale im deutschsprachigen Journalismus sorgte. Gimes selbst ist auch auf den "herausragenden Journalisten" hereingefallen. Der Schweizer war damals Vize-Chef beim Magazin des Zürcher "Tages-Anzeigers", neben dem "SZ-Magazin" der Hauptabnehmer von Kummers Texten. Jetzt hat er einen Film über den Fall Kummer gemacht und ihn "Bad Boy Kummer" genannt.

Eigentlich müsste der Film niemanden interessieren, noch nicht einmal die Medienbranche. Über Tom Kummer ist alles gesagt und geschrieben worden, was man über ihn wissen müsste. Trotzdem ist der Film weit über die Branche hinaus interessant. Denn er vermittelt ein Gefühl dafür, wie stark die neunziger Jahre von einem großen Versprechen geprägt waren - dem Versprechen des Pop.

Mike Tyson spricht über Nietzsche, Sean Penn über Kierkegaard, Ivana Trump hat sich eine komplett eigene Philosophie zum Thema "Der Mensch und das Sein" zurecht gelegt. Solche Fabrikationen hat Kummer damals aus Los Angeles an die Redaktionen in Deutschland und der Schweiz geschickt und im Gegenzug hemmungslose Begeisterung und noch mehr Aufträge erhalten.

Im Film liest Kummer ausgiebig aus seinen Artikeln vor, und man kommt nicht umhin, einerseits über ihre Poesie zu staunen, andererseits herzhaft darüber zu lachen, wie so etwas jemals unter dem Label Journalismus hatte laufen können. Zu existentiell sind die Aussagen der Stars, zu groß die Sprünge innerhalb weniger Sätze vom Belanglosen zum Intim-Pathetischen.

Kein Wort von Schuld oder Reue

Kummer, der geniale Betrüger? Kummer, der psychisch angeknackste Einzeltäter? "Bad Boy Kummer" - der Titel deutet es schon an - rührt an diesem Mythos nicht. In grellbunter Montage im Stile von Ninetys-Design-Ikone David Carson zeigt der Film Kummer ausgiebig in dessen Wahlheimat L.A., als beliebten Tennislehrer und engagierten Familienvater. Gimes versucht, Kummer psychologisch auf die Spur zu kommen, "ihn zu knacken". Es gelingt ihm nicht. Kummer, so scheint es, weicht bei den schmerzhaften Fragen aus, er spricht nicht von Schuld, nicht von Reue.

Erst als sich der Film nach Deutschland und die Schweiz verlagert, wird klar: Es ist Gimes, der den schmerzhaften Fragen ausweicht. Er zeigt Videos von Kunstperformances, die Kummer als junger Mann aufgenommen hat; er zeigt Kummer als Posterboy von Szenefotografin Nan Goldin. Beides sprüht vor unbedingtem Selbstdarstellungswillen des Protagonisten. Wie konnten seine Wegbegleiter das verkennen? Wie konnten sie es zulassen, dass aus Kummer etwas anderes als ein Künstler wurde?

Ein trauriger Verdacht stellt sich ein: Vielleicht haben sich Kummers vermeintliche Freunde und Kollegen nie die Mühe gemacht, ihn wirklich kennenzulernen, seine wahren Talente zu erkennen, ihn auf sie hinzuweisen. Stattdessen haben sie ihn den Journalisten spielen lassen und sich seiner im Gegenzug bedient. Zeitschriften wie "Tempo" oder später das "SZ-Magazin" standen für den Anspruch, aus Popkultur Erkenntnis und Werthaltigkeit destillieren zu können. Und Kummers Texte mit ihren schillernden Bonmots und hyperrealen Momentaufnahmen schienen eben diesen Anspruch einzulösen. Auf sie stürzte sich die damalige Generation der jungen Magazinmacher und nutzte sie, um sich vom althergebrachten Honoratioren-Journalismus abzugrenzen. "Seht her! So krass, so nah, so smart kann Journalismus auch sein!", schrien damals die Cover der Magazine mit Kummers Geschichten drin.

Letztlich, und das ist die bittere Erkenntnis von "Bad Boy Kummer", hat Kummer nicht eine Fiktion von Hollywood und seinem Starsystem geliefert - sondern eine Fiktion vom deutschen Popjournalismus. Die Figur des Starjournalisten Tom Kummer ist nicht seine eigene Erfindung. Sie ist eine Erfindung von einer Reihe von Männern in Redaktionen in Hamburg, München, Berlin und Zürich, denn sie kam ihrer Idee eines neuen Journalismus zu Pass. Kummer war ein Geist, mit dem sie den Altvorderen Angst einjagen konnten, und sie waren die Herren der Schlösser, in denen er spukte.

"Warum hast du diese Scheiße gemacht?"

Alles das thematisiert der Film nicht absichtlich. Autor Gimes stellt sich der Frage nach seiner Komplizenschaft und Mit-Nutzung von Kummer nicht. Er hält an der Suche nach möglichen Motiven hinter dem Betrug fest und lässt einige der wichtigsten Vertreter des deutschen Popjournalismus ausführlich zu Wort kommen. Der ehemalige "Tempo"-Chef Markus Peichl empört sich im Beisein von Kummer über dessen Vergehen, Peichls Nachfolger Walter Mayer spuckt nahezu Galle bei der Begegnung: "Warum hast du diese Scheiße gemacht? Warum distanzierst du dich nicht von dieser Scheiße?"

Andere zentrale Figuren schweigen. Roger Köppel (damals Chef beim "Tagi-Magi", heute Leiter der "Weltwoche") zieht seine Interviewaufnahmen nach Angaben von Gimes kurz vor der Fertigstellung des Films zurück. Christian Kämmerling (damals Co-Chef vom "SZ-Magazin" und in Folge der Kummer-Affäre gefeuert) spricht immerhin am Telefon, aber off the record. Ulf Poschardt (ebenfalls gefeuerter Co-Chef beim "SZ-Magazin", heute "Welt am Sonntag"-Vize) lehnt ein Interview laut Gimes rundherum ab.

Angesichts der Selbstdarstellung von Peichl und Mayer scheint dieses Schweigen einerseits die ehrlichere Lösung zu sein. Andererseits steckt in den direkten Angriffen auf Kummer auch etwas Tröstliches. Schließlich halten sie den Mythos am Leben, Kummer wäre einer der größten Betrüger des deutschen Journalismus, er hätte sie alle ausgetrickst.

An das Szenario, dass Kummer eine bemitleidendswerte Gestalt ist, seine Talente nie vollkommen entfalten konnte, von Freunden verkannt und benutzt wurde - daran traut sich Gimes nicht. Letztlich verdeckt sein grellbunter Bilderreigen, dass er wegschaut, wo es weh tun könnte. Eigentlich muss ihm Kummer zutiefst dankbar sein für diesen Film.

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