
TV-Serienhit auf DVD: Exzellente Therapie
Fernseh-Hit auf DVD Exzellente Therapie
Am Ende ist es wohl ebenso simpel wie unschmeichelhaft - jedes Land bekommt das Fernsehprogramm, das es verdient. Anders ist eigentlich nicht zu erklären, dass die zweite Staffel von "In Treatment", einer der faszinierendsten und innovativsten Fernsehserien des vergangenen Jahrzehnts, hierzulande sogar vom ansonsten eher quotendruckresistenten Nischensender 3sat zerhackstückt und im Nachtprogramm versteckt wird. Eine Serie, die in den USA Fernsehpreise in Serie abräumt und deren israelisches Vorbild um einen Psychotherapeuten und seine Patienten in Israel gar zum Gassenhauer mutierte - und den Psychotherapeuten volle Praxen und gestiegene Honorare bescherte. Das deutsche Fernsehpublikum delektiert sich derweil seit Jahren an dem unsäglichen pseudorealen Therapiekrawall "Zwei bei Kallwass".
Produzent Rodrigo García, Sohn des Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez, hat mit "In Treatment" die israelische Erfolgsserie "TiPul" kongenial und kunstvoll auf amerikanische Verhältnisse übertragen. Ein brillantes Fernsehkammerspiel in Serie: Zwei Menschen sitzen in einem Raum und reden miteinander, mal auch aneinander vorbei. Mehr geschieht in der Regel nicht, nur Worte, Gesten und Blicke, manchmal Schweigen.
Dass in dieser Reduziertheit eine große Spannung, ein regelrechter Sog entsteht, ist neben den brillant geschriebenen Dialogen und Charakteren nicht zuletzt den großartigen Schauspielern zu verdanken, allen voran Gabriel Byrne als Therapeut Paul Weston. Neben seinem Können als Schauspieler bringt Byrne auch seine eigene Erfahrung in die Rolle ein: Als Erwachsener litt er lange unter Depressionen und Alkoholismus und suchte selbst therapeutische Hilfe, nachdem er in seiner Kindheit in seiner irischen Heimat und später auch in Großbritannien in einem katholischen Priesterseminar über Jahre sexuell missbraucht worden war.
Freitags ist Paul selbst der Patient
Auch formal ist "In Treatment" außergewöhnlich, der amerikanische Sender HBO hatte das Sendeschema dem Serieninhalt angepasst. Jede Folge spielt an einem Wochentag und widmet sich einem Patienten, am Freitag ist Paul selbst der Patient, der Hilfe bei einer Kollegin sucht. In den USA wurden die Folgen der ersten Staffel am jeweiligen Wochentag ausgestrahlt, von Montag bis Freitag.
Eigentlich hatte es auch im deutschen Fernsehen vielversprechend angefangen: Im vergangenen Sommer nahm 3sat die Serie mit täglich zwei Folgen ins Programm, zu einer Zeit, in der im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der Olympia-Wahn grassierte. Die zweite Staffel dagegen läuft nur montag nachts, für den Zuschauer vergehen so fünf Wochen, bis er den jeweiligen Patienten wiederseht. Eine Zumutung. Dass nicht einmal eine deutschsprachige DVD-Box existiert, ist ebenso erschreckend.
Aber zum Glück gibt es ja das englische Original auf DVD. Zumal eine Serie, die zuallererst von Dialogen und Zwischentönen, von Stimmen und Stimmungen lebt, in der Synchronisation, egal wie sorgfältig sie sein mag, verlieren muss.
Die zweite Staffel beginnt mit einer persönlichen Katastrophe für den Therapeuten: Paul Weston lebt nach seiner Scheidung getrennt von seiner Familie in Brooklyn. Der Vater seines ehemaligen Patienten Alex, einem traumatisierten Kampfpiloten, der nach Abbruch der Therapie mit seinem Jet in den Tod stürzte, reicht eine Kunstfehlerklage gegen ihn ein. Der Absturz sei ein Suizid gewesen, der Therapeut hätte die Gefahr erkennen müssen. In der Anwaltskanzlei, die Paul daraufhin konsultiert, trifft er auf Mia, erfolgreiche Anwältin und frühere Patientin, die noch nach Jahrzehnten einen tiefen Groll gegen ihn hegt und sich wieder in Behandlung begibt.
Die Themen Verantwortung, Schuld und Selbstzweifel prägen den Großteil der zweiten Staffel. Wieder sind die Folgen exzellent geschrieben und inszeniert, die Patienten, eine krebskranke junge Studentin, ein dicklicher Junge, der unter der Scheidung seiner Eltern leidet, die erfolgreiche Single-Anwältin in den Vierzigern, die eine Abtreibung in ihrer Jugend nicht verwunden hat und sich Mann und Kind wünscht, sowie ein Top-Manager mit Schlafstörungen und Panikattacken, sind präzise gezeichnet, die Schauspieler herausragend. Ein Trauerspiel, dass diese Serie im deutschen Fernsehen kaum Zuschauer findet.
In Treatment - Season 2. Mit Gabriel Byrne, Diane West, Hope Davis, Alison Pill, John Mahoney.
DVD: Englische Originalfassung, HBO, 7 DVDs;
und auf 3sat jeweils montags, ca. 23.55 Uhr.