
Festivalfilm "Taking Woodstock" Habt euch lieb!
Dies ist nicht der ultimative Woodstock-Film, den gibt es ja schon. Wer wissen will, wie es im August 1969 wirklich war, als knapp eine halbe Million Menschen mit der Unterstützung von Jimi Hendrix, Janis Joplin oder The Who drei Tage lang ihren Sommer der Liebe feierten, der besorge sich die phantastische Dokumentation "Woodstock" von Michael Wadleigh. Näher dran geht nicht.
Insofern ist es verständlich, dass Regisseur Ang Lee ("Brokeback Mountain", "Gefahr und Begierde") mit seinem neuen Film "Taking Woodstock", der heute in die Kinos kommt, gar nicht erst versucht, besonders nah heranzukommen. Die Bühne taucht nur gegen Ende aus der Ferne auf, wie für viele der damaligen Zuschauer ist sie kaum zu erkennen. Die Künstler gibt es überhaupt nicht zu sehen, und von der Musik schwappen höchstens mal ein paar Takte den Berg hinauf.
Lee konzentriert sich stattdessen auf die Geschichte eines unscheinbaren jungen Mannes, der eher zufällig in die ganze Sache gerutscht ist, ohne den Woodstock so aber wahrscheinlich gar nicht hätte stattfinden können: Elliot Teichberg (Demetri Martin) ist eigentlich nur aus New York in seinen kleinen Heimatort Bethel gereist, um seine Eltern und ihr heruntergekommenes Motel einmal mehr vorm finanziellen Untergang zu retten. Nicht leicht, wenn die Mutter (Imelda Staunton aus "Vera Drake") darauf besteht, von jedem Besucher einen Dollar für die Benutzung eines Handtuchs zu berechnen, und wenig davon hält, ständig die Bettlaken wechseln zu müssen.
Dann hört Teichberg im Juli von diesem großen Musikfestival, das einen Monat später im nahe gelegenen Wallkill stattfinden soll, dort aber keine Genehmigung mehr bekommt. Warum also das ganze nicht einfach nach Bethel verlegen? Denn Teichberg hatte im Gemeinderat sowieso ein kleines Stadtfest angemeldet. Das müsste dann einfach ein bisschen größer ausfallen.
Und so kommt es auch. Ein Anruf reicht, und Woodstock-Organisator Michael Lang (Jonathan Groff) fliegt per Helikopter ein. Und nachdem auch noch der Nachbarfarmer Yasgur (Eugene Levy) überzeugt wird, seine Wiese zur Verfügung zu stellen, wird aus dem kleinen Motel die Kommandozentrale für das spektakulärste Musikfestival aller Zeiten. Und in der Nähe des Motels bleibt der Film auch und erzählt in aller Ruhe und mit geradezu hippie-mäßiger Entspanntheit, was der junge Elliot dann so erlebt: wie die Massen sich nach Bethel schieben und irgendwann auf den zu engen Straßen stecken bleiben. Wie sich sein Vater (Henry Goodman) mit einem Transvestiten (schon die Eintrittskarte wert: Liev Schreiber) anfreundet, der sich als Bodyguard bewährt. Wie er sich in einen netten Bühnenarbeiter verliebt und ganz nebenbei und unspektakulär sein Coming-out hinter sich bringt. Wie der Regen kommt und alles in eine Schlammlandschaft verwandelt, ohne dass es jemanden stört. Und wie es ihm eben nicht gelingt, tatsächlich mal bis zum eigentlichen Ort des Geschehens vorzudringen.
Nach der Weltpremiere in Cannes im vergangenen Mai haben sich einige Kritiker darüber beschwert, dass es in "Taking Woodstock" eigentlich keinen großen dramatischen Konflikt gebe, keine Fallhöhe. Das stimmt auch, macht aber gerade den besonderen Reiz dieses Films aus. Woodstock steht eben für die Abwesenheit aller Konflikte, für Spaß und Frieden und freie Liebe, und das ist es auch, was Ang Lee im Sinn hat. "Taking Woodstock" besteht aus kleinen, unaufgeregten Episoden, die ganz beiläufig den Geist einzufangen versuchen, der damals diese Generation junger Menschen prägte. Elliot Teichberg (der später als Elliot Tiber mit seinen Memoiren die Vorlage für "Taking Woodstock" lieferte) mag nicht die wichtigste Person sein, die damals dabei gewesen ist. Wichtig ist, dass er dabei war und wie und warum dieses Ereignis sein Leben verändert hat; wie es ihn und diese ganze Menschenmasse an eine bessere Welt hat glauben lassen. Dieser wundervolle kleine Film will einen auch wieder daran glauben lassen. Und er schafft es.