"Der Diktator" von Baron Cohen Hihi, der ist ja nackig

"Der Diktator" von Baron Cohen: Hihi, der ist ja nackig
Foto: Paramount PicturesEs gibt eine Szene am Anfang des Films, die zeigt, wie gut "Der Diktator" vielleicht hätte sein können. Sacha Baron Cohen als Admiral General Aladeen hat gerade eine hochbezahlte Bettgenossin (Megan Fox spielt hier selbstironisch sich selbst) gelobt ("Du warst jeden Penny wert"), will sie noch überreden, über Nacht bei ihm zu bleiben - doch kuscheln mag Fox nach dem faden Kurz-Koitus dann lieber doch nicht mehr. Also bleibt der Potentat alleine zurück, nur ausgestattet mit einem gemeinsamen Polaroid-Erinnerungsfoto.
Traurig betrachtet Aladeen das Bild, dann klebt er es an die Wand seines riesigen, geschmacklos-prunkvollen Schlafzimmers, die Kamera fährt zurück und zeigt, dass die Wand über und über beklebt ist mit Fotos bezahlter Geliebter, es müssen Hunderte sein. Einsam steht Aladeen davor, dann schleicht er zurück ins Bett - und kuschelt mit einem Kissen.
Die Szene ist von melancholischer Poesie, vergleichbar mit der berühmten Weltkugel-Jonglage Charlie Chaplins in "Der große Diktator" (1940), aber während Chaplin mit viel Pathos und den Mitteln seiner stillen Komik einen hoch moralischen Film schuf, einen Kommentar auf die tatsächlichen Ereignisse in Europa, ist das, was Sacha Baron Cohen in seinem vierten Kinofilm nach "Ali G. in da House", "Borat" und "Brüno" geschaffen hat, größtenteils reiner Klamauk. Kindischer Klamauk, um genauer zu sein.
Das Olympia-Attentat von München als Wii-Game

Kino-Klamauk: Sehr komisch, Herr Cohen
Was ja nichts Schlechtes sein muss. Kein Mensch erwartet von Baron Cohen ein filmisches Kunstwerk von Chaplinscher Größe. Was er liefern soll, sind Lacher der derberen Machart, und davon gibt es in "Der Diktator" genügend. Es beginnt mit der Widmung des Filmes an den jüngst verstorbenen nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Il ("In liebender Erinnerung") und geht weiter mit Admiral General Aladeen, der auf seiner Wii-Konsole das Münchner Olympia-Attentat von 1972 mit putzigen Computer-Terroristen nachspielt.
Die Zuschauer dürfen erleben, wie der - zwischenzeitlich entmachtete - Diktator einer ultra-liberalen New Yorkerin erzählt, wie wichtig Bildung für Mädchen ist: "Frauen in der Schule sind wie Affen auf Rollschuhen: Sie begreifen nicht, was sie da tun, aber für uns ist es sooo lustig anzusehen." Und auf politisch höchst unkorrekte Weise wird die israelische UN-Delegation in der New Yorker Vollversammlung mit Urin übergossen.
Allerdings - einerseits: zum Glück - geschieht das alles nicht in der realen Welt: "Der Diktator" folgt komplett einem Drehbuch. Jede Person, die mit Admiral General Aladeen konfrontiert wird, ist ein gecasteter Schauspieler. Andererseits verliert der Film damit jene zweite Ebene, die Baron Cohens vorherige Filme jenseits der Brachialkomik sehenswert gemacht hat.
Als "Borat" tauschte der Schauspieler antisemitische Klischees mit einem US-amerikanischen Farmer aus, der offenbar keine Ahnung davon hatte, dass ihm gerade eine Kunstfigur die Zunge löst. Ebenso wenig wie die bedauernswerten Modeexperten, die Baron Cohen als schwuler österreichischer Modejournalist "Brüno" in seiner fiktiven Sendung "Fashion Polizei" dazu bringt, über die Outfits von Prominenten mit den Kategorien "Darf im Ghetto bleiben" oder "Zug nach Auschwitz" zu urteilen. Über dieses böse Spiel konnte man sich erregen. Oder man konnte lachen, und sich fragen, worüber man da eigentlich gerade lacht - das Stilmittel war dabei jedoch stets die Entlarvung eines tatsächlich vorhandenen gesellschaftlichen Zustands.
Bald gibt's "9/11 2012"
In "Der Diktator" unternimmt Aladeen gemeinsam mit einem Kumpel einen Hubschrauberrundflug über New York. Zunächst biedern sich die beiden in gebrochenem Englisch bei einem ihnen gegenüber sitzenden Touri-Paar an ("Mein Großvater kämpfte im amerikanischen Bürger-Dschihad"), dann unterhalten sie sich auf Arabisch. Die inhaltlich harmlose Konversation dreht sich um einen Fahrfehler des Diktators mit seinem Porsche 911, er sei damit gegen eine Wand gekracht, berichtet er lachend, aber er habe sich bereits einen neuen bestellt, den "911 2012". Das US-Ehepaar versteht nur "9/11 2012" - und hört die beiden Ausländer diabolisch lachen. Sie sind entsetzt. Und rufen die Polizei.
Man stelle sich diese Szene mit ahnungslosen, echten Menschen vor: ein Skandal. Aber auch ein Kommentar auf die Xenophobie und Hysterie der US-Gesellschaft, eine Darstellung der Barrieren zwischen der westlichen und der arabischen Welt. In "Der Diktator" sind es aber Schauspieler, die ihr Entsetzen nur spielen. Ein geschmackloser 9/11-Gag, nicht mehr.
Wer sich damit zufrieden geben mag, über Sacha Baron Cohens entblößten Penis zu lachen, der sich nach einer kleinen Stunt-Einlage gegen die Fensterscheibe eines Hotelzimmers presst und dessen Bewohnerin erschreckt, kommt im "Diktator" voll auf seine Kosten. Baron Cohen hat einige der besten US-Comedians für nette Gastauftritte gewonnen: Der Stand-up Komiker Bobby Lee aus der "Tonight Show With Jay Leno" ist als Karikatur eines gierigen chinesischen Funktionärs zu sehen, Aasif Mandvi aus "The Daily Show with Jon Stewart" hat einen Auftritt als Arzt, Fred Armisen aus "Portlandia" gibt ein in die USA geflüchtetes Regimeopfer. Wer sie mag, wird sich über ihre Einlagen freuen. Allen anderen wird die Zeit in diesem Film sehr lang werden, obwohl er doch nur 83 Minuten dauert.
Erstaunlich fade ist es, was dem Komiker und seinem Autorenteam an Witzen eingefallen ist. Die besten Scherze verpulvert Baron Cohen kostenlos in der gigantischen Werbekampagne für "Der Diktator". Wer auch nur einen seiner zahlreichen PR-Auftritte gesehen hat, wer den Trailer von "Der Diktator" kennt, kann sich die Kinokarte getrost sparen. Selbst Aladeens diktatorisches Regime in einem New Yorker Naturkost-Laden gerät zu einem faden Aufguss der legendären "Seinfeld"-Episode "The Soup Nazi" - erstmals gelaufen Anno 1995, nur eben wesentlich lustiger. Der "Diktator"-Regisseur Larry Charles hätte es eigentlich besser wissen müssen - er war einst einer der "Seinfeld"-Stammautoren.
Die USA, eine perfekte Diktatur?
So fehlt dem "Diktator" jede gesellschaftliche Sprengkraft. Nur ganz am Ende blitzt Baron Cohens hinterfotzige Bosheit noch einmal kurz auf, wieder in einer deutlichen Anlehnung an Chaplins Werk: In einer Rede vor der versammelten Weltpresse preist Aladeen die Vorzüge der Diktatur gegenüber der Demokratie. In einer Diktatur sei es so viel einfacher. Man könne problemlos einem Prozent der Bevölkerung den gesamten Reichtum zuschanzen und den Rest hemmungslos ausnehmen. Man könne ausländische Gefangene ohne Gerichtsprozess einsperren und foltern. Man könne so tun, als sei die Presse frei, obwohl sie doch von wenigen reichen Männern gesteuert wird.
Die altehrwürdige Demokratie der USA, eigentlich eine perfekte Diktatur? Das gibt dann doch zu denken.