Sekten-Drama "The Master" Von Schergen und Scharlatanen
Man kann gespaltener Meinung sein über Paul Thomas Andersons neuen Film "The Master", der diese Woche in deutschen Kinos anläuft: Vielleicht ist das Ganze zu aufgeblasen und megaloman für seine letztlich undurchdringliche Geschichte, bildgewaltig scheiternd in seinem Versuch, anhand zweier höchst unterschiedlicher Charaktere ein Gesellschaftspanorama des vom Zweiten Weltkrieg verstörten Amerikas zu entwerfen. Vielleicht liegt im schieren Größenwahn und mutwillig Verkünstelten dieses Films, in seiner Uneindeutigkeit und dem Vertrauen auf die Schauspielkunst seiner beiden Hauptdarsteller aber auch genau das, was Anderson selbst zu einem Meister macht, dessen siebtes Werk man nach angemessener Zeit und Rückschau vielleicht in einem Atemzug mit "Citizen Kane" nennen darf.
Eines ist "The Master" allerdings ganz sicher nicht: ein kontroverser Film über die Scientology-Kirche. Man konnte dem 42-jährigen Filmemacher, der spätestens seit "Magnolia" und "There Will Be Blood" von seiner Fangemeinde als Genie verehrt wird, bei diversen Auftritten und TV-Interviews ansehen, wie sehr ihn die ewige Nachfrage zusetzte: Ja, die Ursprungsgedanken von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard, die Grundidee der Dianetik, habe ihn zu "The Master" inspiriert. Und ja, er habe den Film im vergangenen Herbst, noch vor seiner Premiere beim Filmfest in Venedig, seinem guten Bekannten Tom Cruise gezeigt, einem einflussreichen Mitglied der Sekte. Es gab Unsicherheiten, das Thema ist heikel.
Letztlich aber, und das wird in Andersons Film schnell deutlich, speist sich die Figur des "Masters" aus allen möglichen Entrepreneuren, die sich in den formativen Jahren Amerikas mit futuristischen Visionen oder großkapitalistischen Plänen zu Heilsbringern stilisierten. Der charismatische Guru Lancaster Dodd, im Film von Philip Seymour Hoffman als gewichtige, feinnervige Orson-Welles-Hommage verkörpert, speist sich gleichermaßen aus Presse-Tycoons wie Kane/Randolph Hearst, dem manischen Ölbaron Daniel Plainview aus "There Will Be Blood" oder eben Hubbard, der vom Pulp-Romancier zum Sektenführer wurde.
Erneut erzählt Anderson, wie schon in "There Will Be Blood", von zwei Charakteren, die stetig aufeinanderprallen, ohne einander aber nicht auskommen können. Wieder spielen große Teile des Films in Kalifornien, der last frontier, dem Shangri-la und Sehnsuchtsort der amerikanischen Siedler, wo unbegrenzte Möglichkeiten zu locken schienen - folgerichtig ein Tummelplatz der Quacksalber und Scharlatane.
In diese flirrende Atmosphäre - und in die Fänge von Dodd - gerät der Kriegsheimkehrer Freddie Quell, ein einfacher Arbeiter, der im Film fiebrig verhärmt, mit schmerzhaft verdrehtem Rücken und hängenden Schultern, von Joaquin Phoenix gespielt wird. Eine frühe Szene zeigt ihn am Strand einer Landezone. Die Kameraden stehen feixend um eine kurvige, atombusige Sandskulptur mit Muscheln als Brustwarzen. Quell, der seine grausigen Kriegserlebnisse und den Gedanken an ein daheim im Stich gelassenes Mädchen mit selbstgebranntem Schnaps betäubt, reicht das Anstarren nicht. Mit heruntergelassener Hose stürzt er sich auf das sandige Sexsymbol und rammelt bis zum Orgasmus drauflos. Aus einem normalen Smalltown Boy ist in Übersee ein dauergeiler, benebelter Irrer geworden.
Als er schließlich auf einem luxuriösen Kreuzfahrtschiff Lancaster Dodd trifft, der mit seinen Anhängern von der Westküste nach New York schippern will, ist Quell längst depraviert genug, um sich von der "Methode" des Pseudowissenschaftlers hypnotisieren zu lassen: In einem freudianischen Zwiegespräch wird der Patient als Quasi-Zeitreisender in frühere Existenzen zurückgeführt, anhand derer er seine Seelenpein ergründen könne. Während Dodd dem Schnaps seines neuen Mündels verfällt, findet der entwurzelte Quell bei dem souveränen und blendend intellektuellen Heiler endlich Ruhe und Geborgenheit. Oder auch nur jemanden, dem er folgen kann.
Genau darum geht es Dodd: Um bedingungslose Hingabe, nicht um effektive Linderung psychischer Probleme. Quell übernimmt in dem noch kleinen Kult den Job, für den er am besten geeignet scheint: den des Schlägers, der unbequemen Kritikern auf der Herrentoilette auflauert.

Es wird nie ganz klar, welchen Nutzen Dodd aus der Gesellschaft Quells zieht. Dessen Ehefrau Peggy jedoch (furchterregend kalt gespielt von Amy Adams), die im Hintergrund für eine straffe Organisation der Sekte sorgt, werden die Gewaltausbrüche und lüsternen Attacken des Handlangers bald unangenehm. In verblüffend hündischem Gehorsam versucht Dodd daraufhin, Quell mit demütigenden Experimenten zu brechen. Der jedoch hat sich zwar in der Gefolgschaft gut eingerichtet, nicht aber im Glauben an den Zeitreise- und Rückführungshumbug, für den Dodd in Büchern und Vorträgen wirbt. Das Kräftemessen zwischen Trieb und Intellekt bleibt unentschieden.
3D ohne Brille
Es ist eine ganze Menge Symbolik, die Paul Thomas Anderson hier auf sein Tableau wuchtet. In der pseudonaturalistischen, in Wahrheit streng ästhetisierten Kraft der Bilder und der Verweigerung einer geschlossenen Erzählstruktur findet sich vieles wieder, was auch Filme wie Terrence Malicks "Tree Of Life" zu so poetischen wie irritierenden Kinoerlebnissen macht. Um dem Look des Nachkriegskinos gerecht zu werden, filmte Anderson mit alten VistaVision-Kameras im breitwandigen 70-Millimeter-Format, so dass jedes Bild eine ungewohnte Fülle an Informationen enthält. Ein US-Kritiker staunte über die optische Brillanz: "The Master" wirke wie ein 3-D-Film, den man ohne Brille ansehen kann.
Die Opulenz seiner Bilder gleicht Anderson damit aus, dass er seine beiden Hauptdarsteller auch zum Schauspielstil der Fünfziger animierte. Ihre äußerst kontrollierten Bewegungen und sparsamen Gesten filmte er immer wieder in Nahaufnahmen der Gesichter seines oscarnominierten Ensembles ab.
Anderson dienten nach eigener Aussage auch die autobiografischen Texte John Steinbecks als Inspiration. Darin ist immer wieder von einer großen Einsamkeit die Rede, die der Schriftsteller als typisches Charaktermerkmal des Amerikaners ausmacht. Einsam und getrieben sind auch viele Figuren, die Paul Thomas Anderson für seine Filme entwirft, und daraus erklärt sich vielleicht die Verführungsmacht von Halt versprechenden Gauklern wie Lancaster Dodd oder L. Ron Hubbard.
Die einzige Provokation von "The Master" liegt wahrscheinlich darin, dass der Film seinem Publikum keine moralische Wertung anbietet. Schließlich, so Anderson in einem Interview, sei George Lucas ja auch irgendwie Gründer einer Religion.