
"Jud Süß - Film ohne Gewissen": Sodom in der Reichshauptstadt
Film über das Dritte Reich Der Nazi in meinem Bett
Berlin brennt, und auch die Libido steht in Flammen. Während alliierte Bomber ihre Ladungen über der Reichshauptstadt abwerfen, nimmt der Schauspieler Ferdinand Marian (Tobias Moretti) in einem Hotelzimmer mit Panoramablick die Gattin eines KZ-Kommandanten (Gudrun Landgrebe) von hinten. Marian hat soeben die Premiere von " " gefeiert, jenem heute verbotenen Hetzfilm, mit dem Goebbels die antisemitische Stimmung im Volk befeuern wollte.
Beim SS-Eheweibe befeuert er aber wohl eher geheime sexuelle Gelüste. Denn nun steht sie mit heruntergelassenem Höschen da und fordert den Schauspieler auf, jene Vergewaltigungsszene aus dem Film nachzuspielen, in der die jüdische Hauptfigur eine katholische Maid schändet. Während der Himmel über Berlin flackert und lodert, spornt die Nazi-Braut über ihre Schulter hinweg den vermeintlichen Peiniger an: "Weiter Jude, weiter Jude!"
Antisemitismus als SM-Rollenspielchen - das ist die wohl problematischste Zuspitzung dieses an problematischen Zuspitzungen nicht eben armen Filmes. Denn Oskar Roehlers Reflexion über die böseste aller antijüdischen Propaganda-Anstrengungen suggeriert auch diese Frage: War der Genozid an den Juden das Ergebnis der sexuellen Verdrängungen und Projektionen der Deutschen?
Trieb und finanzielle Gier
Roehlers "Jud Süß - Film ohne Gewissen" erzählt die Entstehung von Goebbels Projekt aus Sicht des Schauspielers Ferdinand Marian. Erzählt, wie der Wiener Schnauzerträger, der bis dahin in der zweiten Liga des Reichsfilmbetriebs rumdümpelte, auf einmal von Joseph Goebbels (Moritz Bleibtreu) persönlich umworben wird. Wie er sich durch bewusst verpatzte Probeaufnahmen mit Regisseur Veit Harlan (Justus von Dohnanyi) aus der Affäre zu ziehen versucht. Wie er immer mehr in Gewissensnöte gerät, weil seine Frau (Martina Gedeck) als "Vierteljüdin" ins Visier der Nazis gerät. Und wie er später dem Suff verfällt, als er mit ansehen muss, dass der von ihm dann doch besonders wirkungsvoll gespielte Film NS-Schergen gezeigt wird, um sie auf die Arbeit in den Vernichtungslagern einzustimmen.
Doch wer konnte sich schon Goebbels widersetzen? Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda wollte nun mal ausgerechnet Marian, den öligen Vorstadt-Casanova, für die Rolle des "Jud Süß". Und das aus guten Gründen: Brachte er doch genau die Voraussetzungen mit, um der Figur die nötige ambivalente Erotik zu verleihen. Verführer und Bestie in einem sollte "Jud Süß" nach Willen von Goebbels sein, Trieb und finanzielle Gier verschmolzen bis zur Unkenntlichkeit. Perfider und subtiler war Propaganda nie.
So gesehen ist es erst einmal durchaus berechtigt, dass Roehler die libidinösen Kraftströme jener Zeit zu rekonstruieren versucht. "Jud Süß", so wie ihn Marian (gewollt oder ungewollt) spielte, war eben auch eine sexuelle Figur, die das Publikum bei seinen Lüsten und Ängsten packte, um es so für den Massenmord an den Juden zu manipulieren.
Dummerweise tut Regisseur Roehler, der schon in "Alter Affe Angst" oder "Elementarteilchen" denkbar krass die destruktive Kraft der Sexualität demonstrierte, nichts anderes, als eben nur den Eros von Macht und Verführung zu beschreiben. Für ihn ist der NS-Manipulationsapparat ein totalitäres System aus Trieb und Enthemmung: Da knöpft sich Goebbels schon mal hinterm Schreibtisch die Hose auf, um sich von einer blonden BDMlerin oral befriedigen zu lassen; da jagt der sympathische Leichtfuß Marian durch die Schlafzimmer von Soldatenfrauen, die ihren Männern an der Ostfront treudeutsche Grüße schicken, während sie sich mit ihm vergnügen. Fellatio und Faschismus - derart erotoman reduziert hat noch niemand die Wirkungszusammenhänge im Dritten Reich beleuchtet.
Entschuldigende Sicht des Sexualtherapeuten
Das hat zuweilen durchaus einen bösen satirischen Biss, entschuldigt aber auch ein bisschen das Handeln des Nazi-Hofschauspielers (der trotz aller Gewissensbisse weiter Filme unter Goebbels drehte): In der durchsexualisierten Lesart Roehlers ist Marian nichts anderes als ein nazistischer Toyboy, ein Spielball der Lust und Launen der anderen. Selbstbestimmung und Selbstverantwortung sind von so einer Figur also nicht zu erwarten, Schuldfragen lassen sich an ihr nicht abarbeiten.
Deshalb funktioniert dieses Making-of-"Jüd Süß" so miserabel als Melodram eines Verführten. Wobei die monierten Verfälschungen an der Biografie Ferdinand Marians, die Roehler und seinem Team schon vor der desaströsen Uraufführung auf der letzten Berlinale von dessen Biograf Friedrich Knilli vorgeworfen wurden, gar nicht so sehr das Problem sind; dass Marians Frau zur "Vierteljüdin" gemacht wird oder dass der Filmheld einen Juden bei sich zu Hause versteckt, geht als passable fiktionale Verdichtung durch.
Und, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Schon gar nicht sind "Jud Süß - Film ohne Gewissen" antisemitische Tendenzen vorzuwerfen, wie es die Präsidentin des Zentralrats der Juden Charlotte Knobloch unlängst tat. Die verbotenen historischen Original-"Jud Süß"-Passagen, die hier von Roehlers Schauspielern nachgestellt werden, führen tatsächlich (einziger Lichtblick) so konkret wie korrekt die Manipulationstechniken des Nazi-Kinos vor.
Roehlers Film als Ganzen rettet das indes nicht, zu sehr regiert hier die entschuldigende Sicht des Sexualtherapeuten. Und statt der historisch genauen Analyse gibt es nur die Kolportage: Heißa, so wild trieb es die Reichshauptstadt!