Filmfestivals unter Pandemiebedingungen Plan A, B oder C?

Im Frühjahrs-Shutdown wirkten Online-Filmfestivals noch vielversprechend. Mittlerweile aber ist die Branche nach einem halben Jahr voller Unwägbarkeiten erschöpft. Vor allem die kleinen Events leiden.
Szenenbild aus »The Death of Cinema and My Father Too« von Dani Rosenberg

Szenenbild aus »The Death of Cinema and My Father Too« von Dani Rosenberg

Foto: Films Boutique

Sein Festival mit einer Tragikomödie namens »The Death of Cinema and My Father Too« zu eröffnen, wäre auch in normaleren Zeiten ein Statement gewesen. Inmitten der zweiten Corona-Welle, in der die Kinos wieder geschlossen sind und es wohl noch länger bleiben, klingt es nochmals waghalsiger. »Bitte vergessen Sie auch nicht unsere Reihe ›Facing New Challenges‹!«, sagt Sascha Keilholz.

Es schwingt Galgenhumor mit, denn eigentlich hätte Keilholz am vergangenen Donnerstag im Heidelberger Kino Luxor das Internationale Filmfestival Mannheim Heidelberg (IFFMH)  eröffnen sollen – die erste Ausgabe unter seiner Leitung. Doch wegen des Shutdowns light gibt es Keilholz' Begrüßungsrede als Videobotschaft und den Eröffnungsfilm als kostenpflichtigen Stream. »Was ich an Feedback bekomme und an ersten Nutzungszahlen sehe, stimmt mich durchaus positiv«, sagt der Filmwissenschaftler und Kurator. »Den direkten Austausch mit Filmschaffenden und Publikum kann aber nichts ersetzen.«

Wie bei Keilholz ist die Stimmung auch anderswo in der Festivalbranche getrübt, von der vorsichtigen Euphorie, die noch im Frühjahr herrschte, keine Spur mehr. Damals mussten sich Festivals wegen des Shutdowns spontan ins Netz verlagern und waren überrascht, wie gut das technisch klappte und wie sehr es vom Publikum angenommen wurde. Mittlerweile aber ist die Branche von den vielen Festivalabsagen, den kurzfristigen Öffnungen und Schließungen, den wechselnden Hygieneauflagen nur noch geschleift.

Konkurrenzen und Hierarchien

Denn kein Festival funktioniert unabhängig von anderen. Es gibt Konkurrenz um die wichtigsten und besten Filme und tradierte Hierarchien. Filmschaffende und Verleiher wollen ihre Filme möglichst bei den großen Festivals in Berlin, Cannes, Venedig oder Toronto zeigen. Erst wenn die Weltpremiere dort gesichert ist, dürfen die kleineren, etwas abschätzig »Nachspielfestivals« genannten Veranstaltungen wie Mannheim Heidelberg zugreifen.

Doch wie das Filmjahr planen, wenn ein Film zwar in den Wettbewerb von Cannes eingeladen ist, aber monatelang unklar ist, ob das Festival überhaupt stattfindet? Und wie Online-Premieren bewerten? Hat ein Film seine Weltpremiere gehabt, wenn er in Toronto digital gezeigt worden ist? Oder war das durch Geoblocking nur eine Nordamerikapremiere? Mit größeren, lähmenderen Unwägbarkeiten, jenseits aller gesundheitlichen Risiken, hatten Programmverantwortliche selten zu kämpfen.

Dabei waren die technischen Erfahrungswerte mit Digitalausgaben aus dem Frühjahr für die folgenden Festivals durchaus hilfreich. Nur Planungssicherheit brachten sie nicht. »Wir mussten parallel Plan A, B und C entwickeln«, sagt Keilholz – einen Plan für ein physisches Festival, einen für ein hybrides und einen für ein rein digitales. Auf welchen es hinauslaufen würde, war die längste Zeit nicht klar. Noch am 24. Oktober nahmen die Ämter von Mannheim und Heidelberg das Hygienekonzept für ein Offline-Festival ab. Vier Tage später tagten die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und beschlossen den Shutdown light.

Für die Duisburger Filmwoche, traditionell Anfang November geplant, war schon länger klar, dass sie nicht wie gewünscht würde ablaufen können: Die Stadt Duisburg war Wochen vor Beginn des Festivals bereits als Corona-Hotspot eingestuft worden. Das Team plante entsprechend um, lud keine Gäste von außerhalb Nordrhein-Westfalens ein und strich die morgendliche Programmschiene. »Proaktiv hätten wir Hotelzimmer und Bahntickets aber nicht stornieren können«, sagt Christian Koch, seit 2019 zusammen mit Gudrun Sommer Co-Leiter der Filmwoche, »denn dann hätten wir für die Ausfälle aufkommen müssen.« So mussten auch sie den Beschluss der Ministerpräsidenten abwarten, um komplett auf Digitalausgabe umschwenken zu können.

Künstlerische Einbußen

Für die Filmwoche war das allerdings die denkbar schlechteste Option: In der Branche ist das Dokumentarfilmfestival ebenso sehr für seine kluge Filmauswahl wie für die leidenschaftlichen Diskussionen vor Ort berühmt. Nur mit der Bekanntheit außerhalb von Fachkreisen hapert es seit jeher. Das neue Leitungsteam versuchte deshalb viel Neues: Die Protokolle der legendären Diskussionen wurden digitalisiert und unter Protokult.de  online gestellt. Außerdem wurden sogenannte Satellitenveranstaltungen mit Filmvorführungen und Diskussionen in Hamburg, München, Köln, Berlin, Wien und Zürich geplant. Eine nach der anderen fielen aber auch sie den Corona-Maßnahmen zum Opfer – mit einer absurden Ausnahme. »Die Vorführungen in Zürich waren letztlich die einzigen Veranstaltungen der Duisburger Filmwoche, die noch im Kino stattfinden konnten«, sagt Christian Koch.

Auch das Festival von Mannheim und Heidelberg musste künstlerische Einbußen bei der Verlagerung ins Netz hinnehmen. »Die Retrospektive ist sicherlich am stärksten betroffen«, sagt Sascha Keilholz. Die sorgsam kuratierte Reihe versammelt Filme aus der zweiten Generation der Nouvelle Vague, darunter selten zu sehende Arbeiten von Nelly Kaplan und Michèle Rosier. Von den zwölf ausgewählten Filmen gab es jedoch nur in sieben Fällen digitale Kopien, die das Festival online zur Verfügung stellen konnte. Auch die Pflege des Filmerbes, die Festivals leisten, leidet so unter Corona.

Immerhin ist die Aussicht auf das Film- und Festivaljahr 2021 dank der bisher vielversprechenden Corona-Impfstoffe nicht ganz so trüb, zumindest für Festivals, die später im Jahr liegen. Die Berlinale mit ihrem Februartermin wird hingegen noch mit den alten neuen Unwägbarkeiten zu kämpfen haben. Zwar hat sich die Leitung frühzeitig für eine physische Ausgabe ausgesprochen. Doch wie die aussehen könnte, kann zurzeit niemand sagen. Es wird wieder auf Plan A, B und C hinauslaufen.

Das Internationale Filmfestival Mannheim Heidelberg läuft noch bis zum 22. November. Das Programm finden Sie hier .

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