Überlebensdrama "All Is Lost" Fuuuuuck!

Überlebensdrama "All Is Lost": Fuuuuuck!
Foto: SquareOne/ UniversumEinmal, als schon vieles verloren ist, aber womöglich noch nicht alles, da fährt es aus dem Mann heraus: ein langgezogenes "Fuuuuuck".
Eines der wenigen Worte, die er spricht, einer der wenigen Gefühlsausbrüche, die er zeigt. Aber mit wem sollte er auch reden? Seit Tagen treibt er allein auf dem Indischen Ozean, erst hat ein Container den Rumpf seines Segelbootes aufgerissen und das eindringende Salzwasser sein Funkgerät zerstört, dann kam der große Sturm und hat sein Schiff verschlungen. Nun treibt er in einem Rettungsboot auf dem Meer, und gerade ist das bisschen verbliebene Trinkwasser umgekippt, ungenießbar geworden.
Fuck.
Furchtbar viel mehr scheint nicht zu passieren in der zweiten Arbeit von Regisseur J. C. Chandor. Und doch steckt natürlich das ganze Universum in dieser Nussschale von einem Film: existentielle Einsamkeit, der Mensch, die Elemente, vielleicht droht gar der Tod. In seinem Erstlingswerk "Margin Call" hat Chandor das Tosen der Finanzkrise in einem gläsernen Bankturm komprimiert, in eine Nacht voller Meetings, unterdrückter Nervosität und undurchsichtiger Hierarchien.

"All Is Lost": Der alte Star und das Meer
Der inszenatorische Trick, der Chandor in seinem neuen Film gelingt, liegt in der Kollision des Erhabenen mit dem Allzumenschlichen. Chandor suggeriert die Weite des Meeres, eine scheinbare Öffnung des Blickfelds also, das er aber sogleich wieder verschließt. Er zeigt einen einzelnen Mann, mit souveräner Konzentration gespielt von Robert Redford - und es geht um die Arbeit seiner Hände und seines Körpers.
Am Anfang etwa versucht er, den Unglückscontainer wegzuschieben. Es gelingt nicht. Er bindet einen Anker an den Container und steuert sein Boot in die entgegengesetzte Richtung. Wasser schwappt weiter durch das Loch auf Tisch und Funkgerät, doch mit großer Geduld bleibt der Mann am Steuerrad. Dann holt er sich den Anker zurück. Dann erst beginnt er, das Loch zu stopfen - Schicht um Schicht und Leimstrich um Leimstrich.
Plötzlich kommen die Haie
Kaum ein Handgriff ist zu banal, um nicht zum Bild zu werden. Später versucht der Mann, sein Funkgerät zu reparieren, er nimmt schließlich zur Navigation einen Sextanten zu Hilfe und, dies sei verraten, es gelingt ihm, sich mit Kondenswasser, das er in einem Plastikbehälter sammelt, vor dem Verdursten zu retten. In all diesen Augenblicken ist "All Is Lost" am stärksten - da, wo Chandor und Redford unaufgeregt und pathosfrei Überlebensarbeit als Abfolge kluger, planvoller, kleiner Gesten zeigen.
Das unterscheidet diese Arbeit wesentlich von "Life of Pi", dem anderen großen Schiffbruchfilm der vergangenen Jahre. Ang Lee nutzte das offene Meer als Quelle der Opulenz, als Inspiration eines neu erdachten Bilderfundus, der die Grenzen des zuverlässigen Erzählens sprengte. Chandors Blick ist eher ein dokumentarischer, uninteressiert am spektakulären Effekt.
Was nicht bedeutet, dass Chandor in jedem Bild nüchtern und sachlich darstellend bliebe. Eine wiederkehrende allegorische Einstellung etwa zeigt das Boot von unten, aus der Sicht eines unbekannten Subjekts, des Meeres wohl, das Bedrohungen unter der unmittelbaren Oberfläche versammelt: ein paar einzelne Fischchen im Wasser zunächst, die einen Schwarm anlocken, der wiederum die Haie auf den Plan ruft. In einer Box findet der namenlose Mann einen Brief, einen Hinweis auf die wohl in mehrfacher Hinsicht verlorene soziale Außenwelt. Er blickt ihn bedeutungsschwanger an und legt ihn zur Seite. Und dann ist da noch Alexander Eberts großartiger Filmscore, der aus kaum mehr als einer Melodie auf der Altflöte besteht, die so leise und simpel von Einsamkeit und Verlorenheit schreit, dass es einem das Herz zerreißt.
Es gibt sie also, diese Momente, in denen durchscheint, dass "All Is Lost" auch ein Film ist, in dem jede Menge Kalkül steckt und der seine scheinbar so einfache Story mit gewaltigem Selbstbewusstsein auf eine repräsentative Ebene hieven will. Leicht zu entdecken sind sie nicht, was typisch ist für die Erzählweise Chandors: Sein Film verlangt Konzentration und genaues Hinschauen.
Und sein wesentliches ästhetisches Merkmal liegt jenseits all des allegorischen Ballasts, jenseits auch der Spannung, die sich einstellt, als die Überlebenschancen des schiffbrüchigen Seglers schwinden und in gewisser Weise sogar jenseits der allgegenwärtigen Präsenz Redfords, der gar nicht anders kann, als die Geschichte zu tragen - was ihm ziemlich sicher eine Oscar-Nominierung einbringen dürfte. Seine Figur ist, wenn nicht gerade das Trinkwasser ausgeht, die fleischgewordene Beherrschung: eine leicht gehobene Augenbraue, ein überraschter Blick, ein Seufzer, höchstens - dann die Rückkehr zur Disziplin, die womöglich lebensrettend sein wird.