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Queer-Film "Keep the Lights on": Zusammen in den Abgrund

Foto: Edition Salzgeber

Queer-Film "Keep the Lights on" Eine Liebe auf Crack

Wenn auch die größte Liebe nicht mehr weiterhilft: Mit "Keep the Lights on" verfilmt der Regisseur Ira Sachs seine eigene toxische Beziehung zu einem Crack-Süchtigen.

Etwa 15 Minuten lang ist "Keep the Lights on" die typische, schwule Kino-Problemromanze. Der junge dänische Filmemacher Erik (Thure Lindhardt) lernt in New York den erfolgreichen Verlagsagenten Paul (Zachary Booth) kennen, eigentlich soll es nur ein Treffen für eine schnelle Nummer sein, aber der Sex ist gut und man ist sich sympathisch. Erik würde sich gern häufiger treffen, und Paul hätte nichts dagegen. Er habe allerdings eine Freundin.

Die Gewohnheiten des schwulen Kinos der letzten 25 Jahre diktieren, wie es nun weitergehen müsste: eine heimliche Liebesgeschichte zwischen dem offen lebenden Freigeist und dem ungeouteten Schein-Hetero, Treffen im Verborgenen, Problemgespräche, der eine will endlich händchenhaltend durch den Park gehen, der andere nicht seinen gesellschaftlichen Stand verlieren. Irgendwann findet die Freundin alles raus, es gibt den großen Knall und dann entweder das glückliche Happy End oder die bittere Trennung.

Nicht hier. Die Figuren in "Keep the Lights on" von Regisseur Ira Sachs ("Forty Shades of Blue") haben andere Probleme. Die Freundin beschäftigt Erik und Paul nach ihrer ersten Nacht zusammen noch genau eine Szene lang - sie läuft den beiden zufällig in einer Galerie über den Weg - dann ist die Sache kein Thema mehr. Paul und Erik sind plötzlich ein offenes, glückliches Paar, das Coming-out wurde weder gezeigt, noch wird es irgendwann erwähnt. Es ist einfach passiert. Nun kann es um die Dinge gehen, die wirklich wichtig sind.

Sex ohne schlechtes Gewissen

Im Falle von "Keep the Lights on" - dem diesjährigen Teddy-Gewinner der Berlinale - sind das vor allem Pauls Crack-Konsum (der sich schnell vom nebenbei gezeigten Freizeitvergnügen zur alles aufzehrenden Sucht entwickelt) und Eriks hoffnungslose Versuche, seinen Freund und die Beziehung vor dem Untergang zu retten. Eine Geschichte, wie sie auch in jedes Hetero-Indie-Drama passen würde, nur erzählt aus schwuler Sicht. Ihre Homosexualität ist Teil von Eriks und Pauls Persönlichkeiten und beeinflusst ihren Alltag, sie ist aber eben nicht ihr Problem.

"Keep the Lights on" hat damit einiges mit Andrew Haighs viel und zu Recht gefeiertem Film "Weekend" aus dem vergangenen Jahr gemein, der seine grundsätzlich universelle Liebesgeschichte ebenfalls aus kompromisslos schwuler Perspektive erzählt, das aber mit entspannter Selbstverständlichkeit. Der "Guardian" erklärte die beiden Filme vor kurzem in einem sehr lesenswerten Artikel  schon zur Spitze einer neuen "New-Wave Queer Cinema"-Bewegung, die klassische Coming-out-Geschichten als mittlerweile auserzählt annimmt und sich unaufgeregt mit der schwulen Gegenwart beschäftigt. Die Figuren bewegen sich nicht mehr nur noch in ihren Ghettos, haben Sex ohne schlechtes Gewissen, lassen sich von verbliebener Diskriminierung nicht mehr einschüchtern, HIV bedeutet kein automatisches Todesurteil mehr.

Was nicht heißt, dass dabei auch unaufgeregte oder sogar unaufregende Filme herauskommen. "Keep the Lights on" verwandelt seine lockere Sachlichkeit zunehmend in melodramatische Grandeur, je mehr die Drogen die Beziehung von Paul und Erik zerfressen.

Zehn Jahre Achterbahn

Erst sind es nur kleine Unannehmlichkeiten, wenn Paul zum Beispiel nach einem Dinner mit Freunden unangekündigt in die Nacht verschwindet. Später bleibt er tagelang weg, verpasst die Premiere von Eriks erstem großen Film, magert ab, verspricht Entzug und Besserung und stürzt dann schlimmer ab als je zuvor. Eine zehn Jahre lange Achterbahnfahrt, die ab einem bestimmten Punkt nur noch nach unten führt. In der grausamsten Szene findet Erik seinen zugedröhnten Freund in einem New Yorker Hotelzimmer. Paul hat Sex mit einem Stricher, Erik sieht fassungslos zu und weiß bald nichts anderes zu tun, als zu den beiden zu gehen und Pauls Hand zu halten.

Das klingt haarsträubend unglaubwürdig, es ist aber tatsächlich passiert. "Keep the Lights on" basiert auf Ira Sachs' eigener Beziehung zu dem Literaturagenten Bill Clegg, der die Hotelzimmerszene seinerseits im unlängst erschienen Erinnerungsbuch "Porträt eines Süchtigen als junger Mann" geschildert hat. Der Unterschied zwischen den beiden Werken ist, dass Clegg dem brutalen Bericht seiner Sucht eine Erklärungsebene hinzufügt, indem er parallel die Geschichte seiner verkorksten Kindheit einstreut. Bei Sachs gibt es keine Erklärungen. Er versucht nicht zu ergründen, was Paul zum unrettbar Süchtigen gemacht hat und auch nicht, was Erik zu einem Menschen werden ließ, der auch nach schwersten Demütigungen zwanghaft der Liebe hinterherläuft. Es gibt nur das Jetzt, mit dem man sich abfinden muss.

Und mehr braucht es auch nicht für eine gute Geschichte.


Keep the Lights on. Start: 25.10. Regie: Ira Sachs. Mit Thure Lindhardt, Zachary Booth.

Buch:
Bill Clegg: Porträt eines Süchtigen als junger Mann. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main.

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