Filme der Woche Blutrünstige Kapitalisten

Unsere Filme der Woche: Vampiralarm in einem Badeort am Meer, ein zur Waffengewalt aufrufender Maler, Umweltkämpfer ohne Höhenangst und zwei gut gelaunte Cops.
Darsteller Stangenberg, Herbst in »Blutsauger«: Zu große Räume für kleine Witzeleien

Darsteller Stangenberg, Herbst in »Blutsauger«: Zu große Räume für kleine Witzeleien

Foto: Grandfilm

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Ab 12. Mai im Kino

»Blutsauger«

2019 gewann Julian Radlmaier den Deutschen Filmpreis für das beste unverfilmte Drehbuch für »Blutsauger«. Wäre es dabei geblieben und wäre der mittlerweile als »marxistische Vampirkomödie« unterbetitelte Film weiterhin nur als Idee in Deutschland umgegangen, wäre das sicherlich nicht das Schlimmste gewesen, was Radlmaiers nächstem Film nach dem Achtungserfolg von »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes« hätte passieren können. Denn was sich geschrieben herrlich albern und diebisch gewitzt anhört (eine flamboyante Fabrikbesitzerin namens Flambow-Jansen, die in Wahrheit eine Vampirin ist; ein sowjetischer Schauspieler, der mit Eisenstein dreht, als Trotzki-Darsteller aber in Ungnade fällt, als sein tatsächliches Vorbild bei Stalin untendurch ist; eine verrenkt-verkorkste Liebesgeschichte zwischen beiden sowie eine marxkritische Marx-Lesegruppe, die mit ihren Diskussionen den griechischen Chor ersetzt), das will verfilmt partout nicht zünden.

Der luftige Spielort (ein Seebad um 1928) und die gediegene Ausstattung (gespickt mit ein paar Anachronismen wie Cola-Dosen) machen zu große Räume für Radlmaiers kleine Witzeleien auf, die auch vom Timing her einiges an Verdichtung hätten vertragen können. Allein Hauptdarsteller Alexandre Koberidze, Kumpel von Radlmaier an der Berliner DFFB und Regisseur des wunderbaren Film-Sammelsuriums »Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?«, verhilft »Blutsauger« zu etwas Leben: Als geschasster Trotzki-Darsteller und Fabrikarbeiter, der es über sich ergehen lässt, für einen russischen Baron gehalten zu werden, gelingt Koberidze ein geradezu zärtliches Deadpanning. Sein Ljowuschka ist auf dem Weg nach Hollywood, Koberidze hält es hoffentlich noch etwas länger vor deutschen Kameras aus. Hannah Pilarczyk
»Blutsauger«, Deutschland 2021. Buch und Regie: Julian Radlmaier. Mit: Lilith Stangenberg, Alexandre Koberidze, Alexander Fest, Corinna Harfouch. 125 Minuten.

»Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers«

Den Westdeutschen war er zu links, den Ostdeutschen zu versponnen, sagt der heute berühmte Maler Norbert Bisky über den Titelhelden des Films »Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers«. Vogeler habe sein Leben lang »immer zwischen allen Stühlen« gesessen. Dabei sieht man Bisky selig lächeln in Gedanken an die Bilder des großen Malerkollegen.

Darsteller Lukas als Heinrich Vogeler: Wildes Leben, etwas konventionell erzählt

Darsteller Lukas als Heinrich Vogeler: Wildes Leben, etwas konventionell erzählt

Foto: Benjamin Eichler / farbfilm

Die Regisseurin Marie Noëlle hat einen Dokumentarfilm mit Spielszenen über den verblüffend die Stile und die Lebensideen wechselnden und für viele großartige Bilder berühmten Maler Vogeler gedreht. Vogeler wurde 1872 als Sohn eines Bremer Eisenhändlers geboren und war in den Jahren um 1900 einer der Begründer der Malerinnen-und-Maler-Gemeinschaft in Worpswede. Er schrieb als Soldat im Ersten Weltkrieg ein Friedenspamphlet und schickte es an Kaiser Wilhelm II.; dafür nannte man ihn einen Landesverräter und steckte ihn in die Psychiatrie. Er wurde Kommunist, verschenkte sein Hab und Gut an die Arbeiterklasse und wanderte in die Sowjetunion aus. Dort verbannten ihn die Stalinisten in eine kasachische Kolchose und ließen ihn elend verrecken.

»Ich war ein fanatischer Pazifist«, sieht man Florian Lukas, der in Noëlles Film den Vogeler spielt, in der schönen Worpsweder Landschaft einmal verkünden. »Heute weiß ich, dass man zur Waffe greifen muss, um etwas zu verändern!« Vermutlich ist das die aktuellste Szene des glänzend besetzten Films, in dem Anna Maria Mühe, Alice Dwyer und Naomi Achternbusch (in der Rolle von Paula Modersohn-Becker) die wichtigsten Frauen im Leben des Künstlers spielen.

Ein bisschen konventionell schildert die Regisseurin ein wildes Leben. Sie lässt sich von Expertinnen und Nachkommen den stets radikal begeisterten Träumer Vogeler erklären – und feiert Vogelers Bilder, von denen gerade die späten die Werke des Malers Norbert Bisky inspiriert haben dürften. Wolfgang Höbel
»Vogeler«, Deutschland 2022. Regie: Marie Noëlle. Mit: Florian Lukas, Anna-Maria Mühe, Alice Dwyer, Naomi Achternbusch. 90 Minuten.

»Die Autobahn – Kampf um die A49«

Widerstandskämpfer versuchen normalerweise, sich unsichtbar zu machen. Sie verstecken sich in Gräben oder Erdhöhlen, um dann aus der Tiefe zuzuschlagen. Die überwiegend jungen Leute, die in dem Dokumentarfilm »Kampf um die A 49« versuchen, den Weiterbau einer Autobahn gegen eine staatliche Übermacht zu verhindern, zieht es dagegen hoch hinaus, bis in die Wipfel der Bäume, die für das Vorhaben gefällt werden sollen. Wer gegen die Umweltaktivisten im Dannenröder Forst vorgehen will, muss zu ihnen hinaufklettern.

Szene aus »Die Autobahn – Kampf um die A 49«: Eine Schneise für noch mehr Asphalt und noch mehr Autos

Szene aus »Die Autobahn – Kampf um die A 49«: Eine Schneise für noch mehr Asphalt und noch mehr Autos

Foto: stern film

Klaus Sterns und Frank Pfeiffers Dokumentation zieht die Zuschauer in die Konfliktlage hinein und schildert den jahrzehntelangen Streit über das Autobahnprojekt aus der Sicht von Aktivisten, Anwohnern, Politikern oder auch Polizisten. Die meiste Zeit verbringt der Film mit den Gegnern des Ausbaus. Er zeigt, wie sie lernen, sich aus Baumhäusern abzuseilen, wie sie die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen versuchen und den Einsatzkräften immer ein Stück voraus sein wollen. Da mischt sich Engagement mit Abenteuerlust, Lagerfeuerromantik mit der Utopie einer ganz anderen, besseren Gesellschaft. Der Film begleitet die Aktivisten bis zur Rodung im Winter 2020.

Auch wenn ihnen manchmal die Argumente ausgehen und sie auf Frage, ob auch Gewalt ein legitimes Mittel sei, im Film keine klare Antwort geben, ist man doch irgendwie bei ihnen. Gegen das Bild eines jahrhundertealten Baumes, der in die Lichtung fällt, kommt niemand an, der nur das Schlagwort »Infrastruktur« zu bieten hat. Man gewinnt den Eindruck, dass dieser Weiterbau etwas aus der Zeit gefallen ist. Ein Projekt, das aus den Sechziger- und Siebzigerjahren datiert, wird in eine Gegenwart verlängert, die andere Prioritäten hat, als noch mehr Asphalt für noch mehr Autos zu schaffen. Lars-Olav Beier

»Die Autobahn – Kampf um die A 49«, Deutschland 2022. Regie: Klaus Stern, Frank Pfeiffer. 86 Minuten.

Im Streaming

»Ein MordsTeam ermittelt wieder« (auf Netflix)

Frankreich wird völlig zu Recht für sein großes Filmerbe bewundert; es gibt neben den USA keine andere Nation, die sich so in die Filmkunst verliebt und ihr so viele Sternstunden beschert hat wie die Franzosen. Wahr ist trotzdem, dass kaum jemand so sagenhaft hässliche Filme macht wie der weltweit erfolgreiche französische Actionregisseur Louis Leterrier (»The Transporter«, »Kampf der Titanen«). Wem die Filmkunst auch als ästhetisches Vergnügen am Herzen liegt, der kann Leterriers ständig kopflos bewegte Kamera, die zusammengeschusterten Schnittsequenzen und die pausenlos trötenden Soundtracks nur als schwer erträgliche Zumutung empfinden.

Lust an der Dynamik der Buddy-Komödie: Laurent Latiffe und Omar Sy in »Ein MordsTeam ermittelt wieder«

Lust an der Dynamik der Buddy-Komödie: Laurent Latiffe und Omar Sy in »Ein MordsTeam ermittelt wieder«

Foto: Emmanuel Guimier / Netflix

Dass bei dieser Anbiederung an angebliche Sehgewohnheiten trotzdem eine zumindest stellenweise vergnügliche Actionkomödie herauskommen kann, ist die wohl größte Überraschung an dieser Fortsetzung. Aber tatsächlich sitzen erstaunlich viele Gags, was an der großartigen Chemie zwischen Omar Sy und Laurent Lafitte liegt, die hier die Dynamiken der Buddy-Komödie ganz sicher nicht neu erfinden, aber lustvoll ausschöpfen. Sie spielen zwei ungleiche Polizisten, die diesmal einen Mord in der Provinz aufklären müssen. Dort regiert ein faschistoider Bürgermeister, und verdächtig viele Männer mit Glatze, fieser Visage und locker sitzenden Fäusten machen die Gegend unsicher. Interessant, wie sich hier das gespaltene Frankreich in scheinbar harmloser Unterhaltungsware manifestiert, auch wenn der Film sich die realen Probleme vom Leib zu halten versucht, indem er sie zur Unkenntlichkeit karikiert. Oliver Kaever

»Loin du périph«, Frankreich 2022. Regie: Louis Leterrier. Buch: Stèphane Kazandjian. Mit Omar Sy, Laurent Lafitte. 119 Minuten.

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