Florence Foster Jenkins Die schlechteste Opernsängerin aller Zeiten erobert das Kino

Florence Foster Jenkins: Die schlechteste Opernsängerin aller Zeiten erobert das Kino
Foto: ConstantinTalentlosigkeit kann in Zeiten von Castingshows und YouTube-Channels zu großer Beliebtheit führen. Auch wenn diese Beliebtheit in der Regel flüchtig ist. In den Dreißiger- und Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bedurfte es da schon etwas mehr. Das Zurschaustellen mangelnder Begabung war damals kein Unterhaltungswert an sich und schon gar kein Garant für Erfolg. Nicht so bei Florence Foster Jenkins (1868-1944), Tochter eines reichen Bankiers, Musikliebhaberin und Mäzenin, High-Society-Lady in New York und - so die allgemein etablierte Bezeichnung - die schlechteste Opernsängerin aller Zeiten.
Völlig von ihrem Talent überzeugt und ihrer Liebe zur Musik beseelt, schaffte es Jenkins in ihren späten Jahren in wahnwitzigen Kostümen und mit unglaublich schiefen Tönen, eine echte Fangemeinde zu versammeln. Die ungewöhnliche Biografie Jenkins' mag zu ihrer Beliebtheit beigetragen haben: Ehemann Frank Thornton Jenkins, mit dem sie schon als Teenager durchgebrannt war, soll sie mit Syphilis angesteckt haben. Sie trennte sich, behielt sowohl ihren Mädchen- als auch ihren Ehenamen und etablierte sich dank des Erbes ihres Vaters als Society-Lady in New York. Als Lebenspartner wählte sie den wesentlich jüngeren Briten St. Clair Bayfield, mit dem sie zwar nicht das Bett teilte, der ihr aber als liebevoller Beschützer zur Seite stand - bis zu ihrem Auftritt 1944 in der New Yorker Carnegie Hall, der die Massen begeisterte, aber die Kritiker entsetzte.

"Florence Foster Jenkins": Auftritt Meryl Streep
Im November nun kommen gleich zwei Filme in die Kinos, die sich der Geschichte dieses Paradiesvogels widmen: Der Brite Stephen Frears drehte mit Meryl Streep und Hugh Grant den sehr amüsanten und zugleich tief bewegenden Spielfilm "Florence Foster Jenkins" (Kinostart 24. November). Der deutsche Filmemacher Ralf Pleger schuf mit "The Florence Foster Jenkins Story" hingegen eine raffinierte Mischung aus Dokumentation und Drama, in dem er die gefeierte Mezzosopranistin Joyce DiDonato in traumähnlichen Sequenzen die "Königin der Dissonanzen" spielen und singen lässt (läuft bereits in den Kinos). So unterschiedlich ihre Ansätze auch sind: Beide Filme sind gleichermaßen gelungen.
"Florence Foster Jenkins"
Großbritannien, Frankreich 2016
Regie:
Stephen Frears
Drehbuch:
Nicholas Martin
Darsteller: Meryl Streep, Hugh Grant, Simon Helberg, Rebecca Ferguson, Nina Arianda, Stanley Townsend, Allan Corduner
Verleih: Constantin Film Verleih
Länge: 111 Minuten
FSK: keine Einschränkung
Start: 24. November 2016
Man mag erst seinen Augen nicht trauen und möchte dann vor Scham im Boden versinken, sieht man in Frears Spielfilm die vollschlanke Florence (Streep) in einem Ungetüm von Kleid von der Decke baumeln, dann langsam auf die Bühne schweben und schließlich inmitten von wohlgeformten halbnackten Adonissen landen. Zumindest einer wirft ihr aber wohlwollende und ermunternde Blicke zu: St. Clair (Grant), den Jenkins zwar ihren Ehemann nennt, mit dem sie aber nie verheiratet war.
Fahl, grau und alt sieht er aus, dieser St. Clair, gezeichnet von seinem Bemühen, Florence die von ihr geschaffene Welt zu Füßen zu legen. Doch nie würde er ein böses Wort über sie verlieren. Wenn die Zeitungen schlechte Kritiken drucken, kauft er alle verfügbaren Exemplare auf, damit Florence sie gar nicht erst zu Gesicht bekommt. Oder er bezahlt Gäste dafür, dass sie zu den Konzerten kommen.
Es ist eine seltsame Beziehung, die diese beiden Menschen führen. Stephen Frears und sein Drehbuchautor Nicholas Martin fächern sie klug auf: Florence hält St. Clair aus, obwohl der gleichzeitig eine erotische Beziehung mit einer anderen Frau führt. Dennoch sind sie einander ergeben und in tiefer Liebe verbunden, was Streep und Grant grandios verkörpern: Sie sind Liebes- und Zweckgemeinschaft zugleich, er wäre ohne sie ein Niemand, sie eine talent- und erfolglose Exzentrikerin.
Diesem Menschen kann man nichts Böses wünschen
Auch für Cosmé McMoon (Simon Helberg) ist es am Anfang das viele Geld, das den jungen, aber erfolglosen Pianisten an dem Job als Florences Klavierbegleiter reizt. Doch nach und nach nimmt sie ihn mit ihrer Leidenschaft, ihrer grenzenlosen Hingabe und auch ihrer Liebenswürdigkeit für sich ein. Eines Tages besucht sie ihn gar in seinem schäbigen Apartment und spült sein Geschirr, während er ihr etwas auf dem Klavier vorspielt. Wie die Herzen von Cosmé und St. Clair erobert Florence auch das des Zuschauers: Diesem Menschen kann man nichts Böses wünschen. Und wenn Florence von einer Masse betrunkener Soldaten während eines Konzertes ausgebuht wird, zerreißt es einem das Herz.
Bildgewaltige Kulisse für das alles sind die sogenannten tableaux vivants, die lebenden Bilder, in denen Florence als Fantasiegestalten posierte und die zu ihrem Markenzeichen wurden. Dabei lassen sie nicht nur ihre Exzentrik und maßlose Eitelkeit auch abseits der Bühne zu einer Kunstfigur werden. Weil sie wegen ihrer Syphilis-Erkrankung und der daraus resultierenden Arsenvergiftung ihre Haare verliert, trägt sie stets Perücke und zieht sich die Augenbrauen dramatisch nach, was sie noch unwirklicher erscheinen lässt, als sie es eh schon tut.

"Die Florence Foster Jenkins Story": Auftritt Joyce DiDonato
Es ist ein Blick von außen, den Frears in "Florence Foster Jenkins" auf seine Hauptfigur wirft. Ralf Pleger, der schon Künstlerporträts wie "Wagnerwahn" und "Die Akte Tschaikowsky" drehte, versucht sich hingegen der Person von innen zu nähern, Florences Perspektive einzunehmen. Dafür wählt er einen geschickten Kunstgriff: Historische Ton- und Filmaufnahmen lässt er Gesangsszenen der berühmten Mezzosopranistin Joyce DiDonato überfließen. Jenkins' schreckliches Gekiekse geht in DiDonatos formvollendeten Gesang über, die Farben wandeln sich vom trüben Grau in volle, kräftige Töne.
Es ist der Perspektivwechsel von der Außenwahrnehmung zur Eigenwahrnehmung, denn als perfekt, so legt es Plegers Film nahe, muss Florence Foster Jenkins sich und ihre Stimme wahrgenommen haben. Ob es die fortschreitende Syphilis war oder eine Art pathologische Wahnvorstellung, lässt sich mehr als 70 Jahre nach ihrem Tod nicht mehr mit Sicherheit herausfinden.
Auf Ltzteres plädiert der Musikwissenschaftler Kevin Clarke, der als einer von vielen befragten Experten versucht, die Person und das Phänomen zu erklären. Der Performance-Künstler Davie Lerner, der Jenkins einst live erlebte, ist ebenfalls überzeugt, dass Jenkins ihre Stimme in Vollendung hörte.
"Ich habe mir das alles nicht ausgedacht", sagt Pleger. Vielmehr habe er stets versucht, quellentreu zu arbeiten und historische Dokumente für sich sprechen zu lassen. Etwa die Plattenaufnahmen, die er stilecht zu Bildern eines alten Grammofons einspielt und die nach einer gewissen Zeit gar nicht mehr so grausam klingen. Vielleicht weil man irgendwann die Herzenswärme und Leidenschaft, den absoluten Glauben an die eigene Fähigkeit und den unermesslichen Schaffensdrang aus dem Gesang heraushört.
Aus anfänglicher Belustigung heraus entsteht tiefe Empathie - so erging es wohl Jenkins' Zeitgenossen, und so ergeht es einem auch beim Sehen beider Filme. Kein Wunder also, dass Florence Foster Jenkins unter Opernfans nach wie vor eine große Anhängerschaft hat. Der Archivar der Carnegie Hall, Gino Francesconi, berichtet sogar, dass Anfragen zu Tonaufnahmen von Florence Foster Jenkins zu den Top Five gehören - neben den Beatles und Benny Goodman. Die schlechteste Opernsängerin aller Zeiten: Im Gegensatz zum TV-"Superstar" scheint das tatsächlich ein Titel für die Ewigkeit zu sein.
Im Video: Der Trailer zu "Florence Foster Jenkins"