Folterdrama "5 Jahre Leben" Wie ein "Tatort" aus Guantanamo

Fünf Jahre saß Murat Kurnaz unschuldig in Guantanamo - einer der großen deutschen Politskandale. Der Kinofilm "5 Jahre Leben" nähert sich nun der Geschichte an. Was ein radikales Plädoyer für den Rechtsstaat hätte werden können, gerät jedoch zum mutlosen Schicksalsdrama.
Folterdrama "5 Jahre Leben": Wie ein "Tatort" aus Guantanamo

Folterdrama "5 Jahre Leben": Wie ein "Tatort" aus Guantanamo

Foto: Zorro Film

Über Murat Kurnaz hat bereits Roger Willemsen geschrieben, Patti Smith widmete ihm ein Lied, und die meisten Deutschen kennen ihn zumindest als vollbärtigen, gefassten Gast bei Beckmann kurz nach seiner Entlassung aus Guantanamo. Nun folgt auf sein autobiografisches Buch ein Spielfilm.

"5 Jahre Leben" beginnt mit den mittlerweile ikonisierten Bildern von Häftlingen im Gitterkäfig, sie tragen orangegarbene Overalls und Kapuzen auf den Köpfen, über ihnen brennt die Sonne Kubas. Einer von ihnen ist Murat Kurnaz, der vom Boulevard getaufte "Bremer Taliban", der 2001 ohne Anklage oder Gerichtsverhandlung nach Guantanamo verschleppt wird und dort die titelgebenden nächsten fünf Jahre seines Lebens verbringen wird.

Der Film konzentriert sich auf das erste Jahr in Haft und baut den Verhörspezialisten Gail Horford sofort als Nemesis auf. Es ist ein seltsam blutleeres Psychoduell zwischen Kurnaz (Sascha Alexander Geršak) und dem US-Ermittler Horford (Ben Miles), über den es wenig mehr zu erfahren gibt, als dass er eine Tochter hat. Dafür darf er das Good-cop-bad-cop-Spiel in Personalunion aufziehen. Vom scheinbar freundlichen Helfer wandelt sich der Amerikaner im Laufe des Films zum brutalen Verhörknecht, der tief in die Psychotrickkiste greift, um ein Geständnis zu erzwingen. Sogar ein armer Leguan, Kurnaz' einziger Freund, muss als Druckmittel herhalten.

Radikalisierung am offenen Grab

Als Kontrast darf auch der gute Amerikaner nicht fehlen, dieser eine Soldat, der im Angesicht des Systems menschlich bleibt, um - schwer pädagogisch - die Wahlfreiheit eines jeden vor Augen zu führen. Doch letztlich sind die US-Soldaten meist Abziehbilder, die nach Lust und Laune prügeln, beleidigen und foltern.

"5 Jahre Leben" hätte ein spannender Politthriller werden können, verkümmert aber - eingesperrt hinter den Mauern Guantanamos - zu einem bloßen Häftlingsporträt, das aus nahezu jeder Diktatur der Geschichte stammen könnte. Erschreckend ist nur, dass man als Zuschauer nach zwölf Jahren Guantanamo bereit ist, jede einzelne der dargestellten Verhör- und Foltertechniken sofort als wahrheitsgemäß hinzunehmen.

Autor und Regisseur Stefan Schaller hat letztlich der Mut gefehlt, die künstlerischen Freiheiten eines Spielfilms zu nutzen, um aus der realen Vorlage eine starke Erzählung zu basteln. Sein Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg bleibt ein anderthalbstündiges Folterdrama mit Rückblenden in die Radikalisierung in der Bremer Provinz. Der "Tatort" lässt grüßen.

Was ist mit der Regierung Schröder?

Der Tod eines befreundeten Türstehers wird zum Wendepunkt in Kurnaz' Leben stilisiert, von da an geht es statt in den Club in die Moschee, gelockt vom bösen Bauernfänger Serdal. Komplett ins Plakative gleitet der Film dann bei der Schlüsselszene während des Begräbnisses des erschossenen Freundes ab. Im Regen stehen die betenden Muslime am Grab, während sich die Bomberjackenträger, rauchend an ihren Limousinen lehnend, in die andere Ecke verzogen haben. Und mittendrin: Murat Kurnaz, noch unentschlossen, aber nicht mehr lang.

Bei aller groben Symbolik wird Kurnaz' Verwandlung vom harten Türsteherhund zum gläubigen Muslim trotzdem nicht nachvollziehbar. Das liegt auch daran, dass sich die Filmemacher kaum trauen, eindeutig Stellung zu beziehen - nicht, was Kurnaz' Vergangenheit angeht und erst recht nicht, was die Rolle der deutschen Politik in seinem Fall angeht. Ein einziges Mal erwähnen CIA-Agenten beiläufig, dass der Bundesnachrichtendienst eine Auslieferung verweigert habe. Vom Kommando Spezialkräfte (KSK), das den damals 19-Jährigen in Afghanistan befragte, bis hin zum Strippenziehen deutscher Diplomaten hinter den Kulissen - kaum ein Wort.

Hier hätte der Film einen Ansatz gehabt zu erzählen, wie sich die Regierung Schröder gewunden hat, welchen Anteil auch Deutschland an dieser Ungerechtigkeit gehabt hat. Doch während die rechtsfreie Zone auf Kuba ausführlich beleuchtet wird, bleibt die rechtliche Grauzone, in der sich die deutsche Regierung bewegt hat, völlig unangetastet. Was ein wichtiges Plädoyer für die Rechtstaatlichkeit hätte sein können, scheitert am zu klein gewählten Ausschnitt.

Aktuell bleibt das Thema dennoch: In Guantanamo werden immer noch 166 Häftlinge zumeist ohne Verfahren gefangen gehalten, viele davon sind durch Hungerstreiks lebensbedrohlich geschwächt.

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