"Forrester - Gefunden!" Großstadtmärchen im Elfenbeinturm
Einen alten, zurückgezogenen Schriftsteller stellt man sich mit silbrig-weißem Haar, Vollbart, Strickjacke, einem dicken Wollschal und onkelhaft-strengem Blick durch eine auf der Nasenspitze sitzenden Brille vor. Im Kino kann er daher nur aussehen wie Sean Connery, der große, alte Weise unter den Schauspielern. Dass er auch noch William Forrester heißt, was nicht zufällig an den großen, alten amerikanischen Geschichtenerzähler William Faulkner erinnern soll, rundet das Bild perfekt ab.
Mit solchen Assoziationen und plakativen Aphorismen führt uns Gus Van Sant in "Forrester Gefunden!" durch die Legende von der heiligen Kraft der Literatur und der Heilskraft des schnöden Lebens. Neben Büchern ist das auffälligste Objekt in seinem Großstadtmärchen ein Basketball. Er symbolisiert den Traum vom sozialen Aufstieg für viele schwarze Jugendliche wie Jamal Wallace (Rob Brown), der die orangefarbene Kugel zudem mit traumwandlerischer Sicherheit handhabt. Überall schleppt der 16-Jährige den Ball mit hin, weil er sein Leben ist und seine Zukunft sein kann und schließlich tatsächlich sein Schicksal bestimmen wird.
Jamal lebt mit seiner Mutter und seinem älteren Bruder Terrel (Rapper Busta Rhymes) in der South Bronx und spielt jeden Tag mit seinen Kumpels auf einem Basketballplatz, der wie üblich aus Beton ist und hier natürlich auch die Härten der Existenz ausdrückt. Etwas abseits von den Wohnblöcken steht ein halb verfallenes Eckhaus, und von einem Fenster aus beobachtet manchmal ein Augenpaar zwischen den Vorhängen die Jungs. Eines Abends lässt sich Jamal zur Mutprobe drängen, über die Feuerleiter in die Wohnung einzusteigen. Sie ist vollgestopft mit Büchern, die Regale an allen Wänden füllen und sich sogar auf den Tischen stapeln. Ein verwunschener Ort, an dem Joyce, Dante, alle Götter und Geistesgrößen der Literatur ruhen.
Weil der unbekannte Hüter dieser Bibliothek erwacht, vergisst Jamal bei seiner überstürzten Flucht seinen Rucksack. Der liegt am Morgen vor der Tür. Aber es fehlen die Notizbücher, in denen er heimlich an einer Geschichte schreibt. Auch die erhält er wieder, allerdings sind alle Seiten mit harschen Anmerkungen versehen. Wütend klopft er an die Tür, doch die Stimme dahinter gibt ihm nur eine Aufgabe. Jamal schreibt, schiebt die Blätter unter dem Türschlitz durch, der kauzige Fremde redigiert und plötzlich lässt er den Jungen hinein.
Von da an verbringt er jeden Tag bei dem einsilbigen Einsiedler, der außer lehrreichen Tipps über schriftstellerische Feinheiten nichts von sich preisgibt. Es sind andächtige, humorvolle Momente in der Schreibstube, die Van Sant adäquat zu dem vergilbten, muffigen Papier in monochromes Licht hüllt. Gewohnheitsmäßig dribbelt Jamal am Anfang noch kurz mit dem Basketball, woraufhin ihn ein eisiger Blick zur Stille mahnt. Das Klappern der mechanischen Schreibmaschinen, auf denen sie parallel Kurzgeschichten verfassen, ist oft der einzige Laut. Und während der alte Mann mit vergnügter Miene seine Arbeit flott heruntertippt und dann einschläft, brütet Jamal stumm bis in den Abend hinein. Später werden sie schweigend auch auf dem Sofa sitzen, eine Quizshow gucken und Gerichte vom China-Imbiss essen.
Der ganze Film ist mit einer Ruhe inszeniert, als würde man mit jeder Szene die Seite eines Buches umblättern, und so hätte er mit dem Routinier Connery und dem Debütanten Brown ein wundervolles Kammerspiel werden können. Doch alles ist darauf angelegt, die alte Welt mit der Gegenwart zu versöhnen, Geist und Körper zu harmonisieren und letztlich alltägliche Klassenvorurteile abzubauen. Dafür hätte es als Schlussakkord ausgereicht, dass der Denker seine Liebe zu Baseball offenbart und Jamal ihn nachts ins Stadion der Yankees führt. Aber leider musste hier noch ein dramatisches Ereignis folgen.
Jamal erhält ein Stipendium an einer renommierten Elite-Schule in Manhattan, weil er deren Basketball-Mannschaft auf dem Weg zur Meisterschaft verstärken soll. Er verliebt sich in seine weiße Mitschülerin Claire (Anna Paquin), was ihrem Vater missfällt. Durch sie kommt Jamal auch auf die Identität seines scheuen Mentors. Claire schwärmt von William Forrester, einem Absolventen dieser Schule, der vor 30 Jahren für seinen Erstlingsroman den Pulitzer-Preis erhalten hat und seither verschollen ist wie das literarische Phantom J. D. Salinger. Er schwört Forrester, dessen Geheimnis zu wahren. Aber weil Jamal im Literatur-Kursus vom missgünstigen und misstrauischen Professor Crawford (F. Murray Abraham) erst schikaniert und dann als Kopist abgemahnt wird, da er verzweifelt einen vermeintlich unveröffentlichten Text von Forrester als eigenen einreicht hat, und zudem im Endspiel noch den entscheidenden Wurf verpatzt, verlässt der Eremit für das Talent von der Straße offen seinen Elfenbeinturm.
Gus Van Sant, der durch Werke wie "Drugstore Cowboy" und "My Private Idaho" lange als kreativer Realist galt, variiert mit "Forrester Gefunden!" das Thema aus seinem Film "Good Will Hunting", in dem ein Psychologe ein junges Mathematik-Genie fördert. Und auch der junge Drehbuchautor Mike Rich, von der Filmindustrie durch einen Skript-Wettbewerb entdeckt, hat abgepauscht beim "Duft der Frauen" und darin vor allem von Al Pacinos Rede am Ende. Aber Van Sant hat Connery dafür immerhin das Pathos erspart. Wie Steven Soderberghs "Erin Brockovich" und "Bounce" von Don Roos gehört "Forrester Gefunden!" zu einem neuen, ansehnlichen Mainstream, der nicht vom kitschigen Kern seiner Geschichte erdrückt wird.
"Forrester Gefunden!" ("Finding Forrester"). USA 2000. Regie: Gus Van Sant; Drehbuch: Mike Rich; Darsteller: Sean Connery, Rob Brown, F. Murray Abraham, Anna Paquin, Busta Rhymes; Länge: 133 Minuten; Verleih: Columbia Tristar; Start: 1. März 2001