Fotostrecke

"Foxtrot": "Im Krieg passieren nun mal solche Dinge"

Foto: NFP

Antikriegsfilm "Foxtrot" Die Seele als Sperrgebiet

Wenn die Trauer um den gefallenen Sohn nur mehr ein Störfaktor ist: Das preisgekrönte israelische Drama "Foxtrot" spürt nach, wie stark militärisches Denken ein Land im Griff hat.

Es bedarf nur eines kurzen Drucks auf die Türklingel, um die elegante Wohnung von Michael und Dafna in ihrem gesamten Wesen zu verwandeln. Sie ist nun nicht mehr ein privater Raum, sondern militärisches Einsatzgebiet: Zwei Soldaten stehen vor der Tür, denen die Aufgabe zufällt, Michael und Dafna den Tod ihres Sohnes Jonathan zu melden, der als Soldat der israelischen Armee an einem nicht näher bestimmten Grenzposten stationiert war.

Dafna (Sarah Adler) fällt ob dieser Nachricht in Ohnmacht - sofort wird ihr von den Soldaten eine Beruhigungsspritze verabreicht. Michael (Lior Ashkenazi) starrt reglos ins Leere - Soldatenhände halten ihm ein Glas Wasser an den Mund, und eine Stimme ermahnt ihn, er solle nur ja ausreichend trinken, es gelte jetzt, auf seinen Körper zu achten. Diese aggressive Art der Behandlung macht deutlich, welchen Platz die Soldaten dem inneren Erleben der Betroffenen beimessen: Persönliche Trauer darf nur stattfinden, solange sie sich nicht in emotionalen oder körperlichen Zusammenbrüchen Bahn schlägt.

Fotostrecke

"Foxtrot": "Im Krieg passieren nun mal solche Dinge"

Foto: NFP

Die Aufgabe der Soldaten in dieser Anfangssequenz von Samuel Maoz' Film "Foxtrot", der bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet wurde, ist eindeutig: Sie sollen verhindern, dass sich der Tod eines einzelnen Soldaten zu einem nachhaltigen Störfaktor entwickelt, sie sollen sicherstellen, dass die Reaktionen der Hinterbliebenen die Ressourcen des Militärs nicht mehr als unbedingt notwendig in Anspruch nehmen. Die Soldaten sind nicht bloß die Überbringer einer Botschaft, sondern sie vollziehen eine Operation, die zum Grundbestand jeder Kriegführung gehört: die Sicherung des Hinterlands.

Schuldgefühle hemmen nur

"Foxtrot" ist keine polemische Abrechnung mit der israelischen Armee, sondern die Auseinandersetzung mit einem gesamtgesellschaftlichen Zwang, der es nicht zulässt, dass anderen Kategorien als jenen des Militärs irgendein Gewicht eingeräumt wird.

Später im Film kommt es an dem Grenzposten, an dem Jonathan (Yonaton Shiray) stationiert ist (sein vermeintlicher Tod hat sich als eine bürokratische Verwechslung herausgestellt), zu einem tragischen Zwischenfall. "Es ist Krieg, und im Krieg passieren nun mal solche Dinge", bläut der Kommandant den Soldaten daraufhin ein - nicht aus Kaltherzigkeit, sondern aus vermeintlicher militärischer Notwendigkeit, da jedes Gefühl von Schuld oder Verantwortung die weitere Dienstverrichtung der Rekruten hemmen könnte.


"Foxtrot"
IL, CH, D, F 2017
Regie und Drehbuch: Samuel Maoz
Darsteller: Lior Ashkenazi, Sarah Adler, Yonaton Shiray, Shira Haas
Produktion: Bord Cadre Films
Verleih: NFP
Länge: 108 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Start: 12. Juli 2018


Maoz' Augenmerk gilt einem Weltbild, das die Sicherheit eines gesamten Landes ausschließlich auf seiner militärischen Übermacht gegründet sieht und das jede Überlegung, die sich nicht zur Gänze den militärischen Vorgaben unterwirft, als unverzeihliche Nachlässigkeit betrachtet.

Doch Trauer und Schuld verschwinden nicht, nur weil ihnen aus sicherheitspolitischen Gründen kein öffentlicher Raum eingeräumt wird. Der Preis für einen lückenlosen militärischen Schutz ist die traumatische Verdrängung aller anderen persönlichen Impulse und aller individuellen moralischen Maßstäbe.

Naive Zeichnungen

Diese Verdrängung schlägt sich in "Foxtrot" in allegorischen Überformungen und formalen Verdichtungen nieder. So wirken die verrosteten Strukturen des Grenzpostens wie einer "Mad Max"-Wüstendystopie entnommen, so stolziert immer wieder symbolisch ein Kamel durchs Bild, so dominieren starre Einstellungen, deren Ausdrucksgehalt oft in wirren, abstrakten Linien im Bildhintergrund liegt.

Die Ängste und persönlichen Bedürfnisse, die dunkel und mächtig unter dem schnurrenden militärischen Getriebe wogen, können auch in "Foxtrot" nicht in ihrer eigenen Gestalt in Erscheinung treten, sondern müssen immerzu versteckt werden, etwa hinter den naiven Zeichnungen, die Jonathan in sein Notizbuch einträgt, oder in den Klängen von Arvo Pärts "Spiegel im Spiegel".

Maoz' Film handelt von einer schmerzhaften Verdrängung und kann sich dieser Verdrängung doch nicht ganz entziehen - er ist weniger deren ästhetische Überwindung als deren unwillkürliches Dokument.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren