Grandioser Gangsterfilm "Free Fire" Hier knallt's aus Prinzip

Grandioser Gangsterfilm "Free Fire": Hier knallt's aus Prinzip
Foto: Splendid"The golden hour and a half", die goldenen anderthalb Stunden, beschwört jemand inmitten des Feuergefechts in "Free Fire". Dies sei die kostbare Zeitspanne, die dem Angeschossenen auf jeden Fall bleibe, bevor er verblutet.
Nicht von ungefähr entsprechen diese anderthalb Stunden auch ziemlich genau der Gesamtlaufzeit des Films von Ben Wheatley ("High-Rise"): "Free Fire", das ist 90 Minuten radikal reduzierte Essenz und absurde Überhöhung des Gangsterfilms. Im unablässigen Kugelhagel treibt Wheatley Genrekonventionen auf die Spitze und demontiert sie zugleich.
Schon das Setting des von Martin Scorsese mitproduzierten Films strotzt vor Wiedererkennungseffekten: In einer Nacht im Jahr 1978 kommt es zu einem kriminellen Gipfeltreffen in einer Lagerhalle in der Hafengegend von Boston. Hier bringt die geschäftige Justine (Brie Larson, "Room") zwei Parteien zusammen, um einen Waffenhandel abzuwickeln.

Auf der einen Seite wären da die angereisten Iren Chris (Cillian Murphy) und Frank (Michael Smiley) als Kunden, die Sturmgewehre für den Bürgerkrieg in der Heimat kaufen wollen. Für den Abtransport der Ware haben sie zusätzlich die Handlanger Stevo (Sam Riley) und Bernie (Enzo Cilenti) dabei. Auf Verkäuferseite wartet derweil Vernon (Sharlto Copley) mit seinem Partner Martin (Babou Cessay) sowie deren Gehilfen Harry (Jack Reynor) und Gordon (Noah Taylor). Zudem macht als weiterer Mittelsmann ohne eindeutige Loyalitäten der distinguierte Bartträger Ord (Armie Hammer) seine Aufwartung am Treffpunkt.
Ein abgezirkelter Schauplatz, zwei Handvoll Personen mit unklaren Absichten und das Vielfache an geladenen Waffen - nein, es braucht wirklich keine Voraussicht, um dieses Pulverfass als solches zu erkennen. Dass es in der Konstellation zügig knallt, ist somit keineswegs überraschend. Aufregend ist dagegen die Konsequenz, mit der Wheatley und sein eingespieltes Produktionsteam (allen voran Co-Autorin und Lebenspartnerin Amy Jump) eine aus zahllosen B-Movies vertraute Eskalation bis zum Exzess auserzählen. Denn während der Shootout gewöhnlich das kathartische Finale eines Films markiert, ist der bald einsetzende und dann nicht mehr aufhören wollende Schusswechsel in "Free Fire" alleiniges Handlungsprinzip.
Geiseln der eigenen Gewalttätigkeit
Wer zuerst und warum auf wen schießt, bleibt eine effektiv inszenierte Nebensächlichkeit. Im Zentrum von Wheatleys Farce steht vielmehr die Zwanghaftigkeit, mit der die Figuren ihre wechselseitige Auslöschung vorantreiben. Denn je markiger die stilsicher im Siebziger-Look ausstaffierten Kombattanten während kurzer Feuerpausen ihre Forderungen formulieren - und dabei ebenso wort- wie einfallsreich die Gegenseite mit Beleidigungen überziehen -, desto deutlicher offenbaren sie ihre Ohnmacht und entlarven sich als Geiseln der eigenen, ritualisierten Gewalttätigkeit. Nur, wer überlebt lange genug, um vielleicht doch noch aus dem Rollenmuster auszubrechen?
"Free Fire"
Frankreich, Großbritannien 2017
Regie: Ben Wheatley
Drehbuch: Amy Jump, Ben Wheatley
Darsteller: Brie Larson, Cillian Murphy, Armie Hammer, Sharlto Copley, Sam Riley, Jack Reynor, Babou Ceesay, Michael Smiley
Produktion: Protagonist Pictures, Film4, Sikelia Productions
Verleih: Splendid Film
Länge: 90 Minuten
FSK: frei ab 16 Jahren
Filmstart: 6. April 2017
Dass diese Frage trotz der ausgestellten Konstruktion des Szenarios bis zuletzt spannend bleibt, verdankt "Free Fire" neben formaler Perfektion in Bild (Kamera: Laurie Brody) und Schnitt (den Wheatley und Jump wie schon in "High-Rise" selbst übernahmen) zuvorderst dem hervorragenden Ensemble. Brie Larson, Cillian Murphy, Sharlto Copley und ihre gleichsam präsenten Mit- und Gegenspieler wissen genau um die Stereotypen, die sie einsatzfreudig verkörpern.
Doch klugerweise ironisieren sie ihre grell konturierten Rollen nicht. Ihr intelligentes Chargieren zwischen Theatralik und Einfühlung in per se nicht gerade charmante Figuren fügt sich nahtlos in einen Film, der bewusst die Ambivalenz zwischen kühler Reflexion und synästhetischem Rausch sucht.
Wobei aber gerade den oft drastisch bebilderten Gewalthandlungen nichts Glorioses anhaftet. Im Gegenteil: So ungelenk schossen sich Gangster wohl noch nie buchstäblich (und wiederholt) gegenseitig ins Bein, und so langsam wurde im Kino selten gestorben. Die zunehmend kopflosen Kämpfe um Leben und Tod sind allesamt frei von Gangsterromantik und stattdessen grotesk und von bitterböser Komik.
Für balletthafte Action, martialische Allmachtphantasien oder Waffenfetischismus ist hier kein Platz. Dafür überzeugt "Free Fire" umso mehr als subversives und selbstzerstörerisches Stahlgewitter, das am Ende kein Klischee von übermunitionierten Mannsbildern unversehrt zurücklässt.
Im Video: Der Trailer zu "Free Fire"