
Gollum-Darsteller Andy Serkis "Das ist kein Kasperletheater"
SPIEGEL ONLINE: In "Der Hobbit - Eine unerwartete Reise" spielen Sie mit Hilfe des Performance-Capture-Verfahrens erneut die Figur des Gollum. War es leicht, nach langer Pause wieder in seine digitale Haut zu schlüpfen?
Andy Serkis: Anfangs nicht. Mit der Zeit gab es so viele Versionen und Parodien Gollums, dass ich mir am ersten Drehtag auch nur wie ein Imitator vorkam. Ich war so oft gebeten worden, mit seiner Stimme einen Anrufbeantworter zu besprechen - da fühlte es sich seltsam an, ihm nun wieder dramatisches Leben zu geben. Doch Peter Jackson hatte zum Warmwerden für die Crew klugerweise die "Rätsel aus der Finsternis"-Sequenz gewählt. Ich konnte als Gollum für zwei Wochen direkt mit Martin Freeman als Bilbo Baggins agieren und dachte bald gar nicht mehr darüber nach, die Rolle schon mal gespielt zu haben. Gollum ist ja jünger im "Hobbit", also kann auch er nicht wissen, was er in "Herr der Ringe" erlebt hat.
SPIEGEL ONLINE: Was macht Peter Jackson so besonders, dass "Der Hobbit" nach zig Anläufen nur unter seiner Regie entstehen konnte?
Andy Serkis: Ich beobachte seine Arbeit seit Jahren aus der Nähe und kann mich nicht sattsehen, wie er in den großen Geschichten die kleinen, wahrhaftigen Momente findet, die ihn auch persönlich ausmachen. Die Menschlichkeit, der Humor - Peters Filme sind wie eine Verlängerung seines Wesens.
SPIEGEL ONLINE: Muss er nicht auch General sein, um eine Produktion diesen Ausmaßes unter Kontrolle zu halten?
Andy Serkis: Peter führt das Team, übrigens weitgehend identisch mit der "Herr der Ringe"-Crew, mit natürlicher Autorität an. Er ist Experte für all die forensischen Details der Welten, die er mit dir besucht - doch zugleich vertraut er auch dem Können seiner Leute.
SPIEGEL ONLINE: Sie selbst sind bei "Der Hobbit" zusätzlich zu Gollum zum Regisseur der Second Unit aufgestiegen.
Andy Serkis: Eingestellt hatte ich mich auf einen Monat am Set. Bis plötzlich der Anruf mit dem Angebot für das zweite Drehteam kam - und ein Jahr daraus wurde. Eine enorme Aufgabe. Auch die Second Unit beim "Hobbit" ist noch so groß, dass die meisten anderen Filme komplett damit auskämen.
SPIEGEL ONLINE: Dann arbeiteten Sie auch mit der neuen Aufnahmetechnik "48 Frames per Second", in der "Der Hobbit" in ausgewählten Kinos zu sehen sein wird. Warum muss so kurz nach der Gewöhnung an 3D schon wieder ein neuer technischer Standard her?
Andy Serkis: Warum braucht man Imax, warum braucht man Cinemascope? Wir sind seit der Erfindung des Kinos daran gewohnt, dass Bilder in 24 Bildern pro Sekunde gezeigt werden. 48 Bilder aber ermöglichen ungleich mehr Tiefe - und lösen vor allem letzte Grenzen zwischen digitalen und realen Bildern auf. Für mein Gefühl gab es da noch immer einen Bruch. Während in 3D und 48fps das Hirn überlistet wird und nicht mehr wahrnehmen kann, dass Gollum und Bilbo Baggins nicht wirklich im selben Raum stehen.
SPIEGEL ONLINE: Gab es Nachteile bei der praktischen Arbeit?
Andy Serkis: Die neuen Kameras nehmen so detailgenau auf, dass die Stuntleute nichts mehr vortäuschen können. Man sieht nun, wenn eine Faust knapp vor einem Gesicht abstoppt - also gab es bei "Der Hobbit" mehr Körperkontakt und Verletzte als bei "Herr der Ringe".
SPIEGEL ONLINE: Sie gelten als bester Mann für Performance-Capture-Darstellungen, spielten in "King Kong" oder "Planet der Affen: Prevolution". Wünschten Sie als Schauspieler nicht manchmal, die verfluchte Technik wäre nie erfunden worden, damit Sie sich öfter selbst zeigen können?
Andy Serkis: Nun, ich habe mich ja selbst auf diese Reise eingelassen, obwohl ich nach Gollum nie gedacht hätte, noch mal eine digitale Figur zu spielen. Inzwischen haben wir die Technik allseits so verfeinert, dass ich als Schauspieler gar nicht mehr trenne. Die zentrale Arbeit bei Gollum liegt in den stillen Szenen, bei den Nahaufnahmen. Es ist für mich kein Kasperletheater oder Animieren einer Figur, sondern das Spielen einer Rolle, für die man im Wesentlichen mit der Ausdruckskraft der Augen die Grundlage schafft. Nicht anders als zum Beispiel John Hurt, der in "Der Elefantenmensch" auch komplett unkenntlich unter seiner Maske war - und dafür eine Oscar-Nominierung bekam.
Das Interview führte Roland Huschke