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"Grand Budapest Hotel" von Wes Anderson So ein schöner Schwindler

Bill Murray hält "Grand Budapest Hotel" für den bisher besten Film von Wes Anderson. Er hat Recht: Die Historienfarce verbindet charmante Charaktere und bezaubernde Kulissen mit politischem Feingefühl. Und eine Traumwelt, die von einem Alptraum heimgesucht wird.

Es sind die Details, die bei Wes Anderson zählen. Das ist bei seinem neuen Film nicht anders. Diesmal gilt es jedoch, von Anfang an aufzupassen, schon beim Titel. "Grand Budapest Hotel" lautet der, nicht "Grand Hotel Budapest". Eine quatschige Verschiebung, nicht groß genug, um darüber zu stolpern, aber symptomatisch. In diesem Film erscheint alles vertraut, dabei ist nichts auf seinem angestammten Platz. Selbst dass es sich um einen typischen Wes-Anderson-Film handelt, ist eine Täuschung.

"Grand Budapest Hotel" beginnt mit einem "Inception"-gleichen Sturz durch die Erzählebenen: In den achtziger Jahren erinnert sich ein Schriftsteller daran, wie er als junger Mann in den sechziger Jahren im titelgebenden Hotel auf dessen Besitzer Zéro Mustafa traf, der ihm erzählte, wie er einst als junger Mann zu der imposanten Immobilie kam. Rein rechnerisch müssten wir damit kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gelandet sein. Doch bevor man prüfen kann, ob die Zahlen so stimmen, ist man bereits mittendrin in der abenteuerlichen Geschichte um den schillernden Concierge Gustave H. (Ralph Fiennes) und seinen Lehrling Zéro (Tony Revolori).


Stets umhüllt von einer Parfumwolke, weiß Gustave, wie man die Gäste des Grand Budapest Hotel verwöhnt. Am liebsten sind ihm dabei reiche, blonde, ältere Damen, die er gleich reihenweise bezirzt. Madame Desgoffe-und-Taxis (unter zentimeterdicken künstlichen Runzeln kaum zu erkennen: Tilda Swinton) ist ihm sogar so sehr verfallen, dass sie ihm ein wertvolles Renaissance-Gemälde vermacht. Ihre Familienangehörigen, allen voran Sohn Dmitri (Adrien Brody), wollen das jedoch unter keinen Umständen akzeptieren. Sie lasten ihm Madame Ds Tod an und sorgen dafür, dass er im Gefängnis landet. Mit Hilfe von Zéro und seiner Freundin Agatha (Saoirse Ronan) gelingt es Gustave jedoch zu fliehen.

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"Grand Budapest Hotel": Budenzauber mit Nazis

Foto: Fox

Ein Traum von Europa

Was folgt, ist eine atemlose Jagd durch die Republik Zubrowka, ein fiktiver mitteleuropäischer Alpenstaat, der von neuschwansteinhaften Schlössern über pastellfarbene Konditoreien bis hin zu mittelalterlichen Klöstern alles beherbergt, was sich Touristen von Old Europe so wünschen können.

Auf dieser Jagd sind es nicht nur die überaus phantasievolle Ausstattung und das wieder einmal bis in die kleinste Rolle prominent besetzte Ensemble (Bill Murray, Willem Dafoe, Harvey Keitel), die für exquisite Unterhaltung sorgen. Lange bevor Gustave und Zéro auf einen Schlitten springen, um sich mit ihren Verfolgern ein letztes Rennen auf verschneiten Bergspitzen zu liefern, hat "Grand Budapest Hotel" längst einen unwiderstehlichen Schwung erreicht, der bis zum furiosen Ende trägt.

Bislang waren Wes-Anderson-Filme von lauter verschiedenen Alter Egos des Regisseurs und Drehbuchautors bevölkert. In fast jeder Figur steckte etwas von seinem zeitlosen Stilbewusstsein und seiner Sehnsucht nach kindlich-verspielter Unschuld. Das ist in "Grand Budapest Hotel" anders. Hier ist vor allem in Gustave ein intimes Selbstporträt von Anderson zu erkennen - ein mit viel bisexuellem Charme ausgestatteter Verehrer der schönen Dinge, Herrscher über eine prekäre Traumwelt, in die die Realität immer wieder einzubrechen droht.

Im Film ist es schließlich der Faschismus, der Gustaves und Zéros Tollerei durch die bezaubernde Kulisse von Zubrowka ein Ende bereitet. Anderson wechselt von knallbunten zu schwarz-weißen Bildern, so wenig möchte er hier missverstanden werden. In einer anderen Szene lässt Anderson Gustave innehalten und Zéro fragen, warum dieser eigentlich aus dem arabischen Nahen Osten nach Europa gekommen sei. Die Antwort des jungen Kriegswaisen hat eine politische Schwere, wie man sie von Anderson nie erwartet hätte - Terror durch Folter.

Grand Budapest Hotel

UK/D 2014

Regie: Wes Anderson

Buch: Wes Anderson, Hugo Guinness

Darsteller: Ralph Fiennes, Tony Revolori, Saoirse Ronan, Adrien Brody, Willem Defoe, Jude Law, Bill Murray, Tilda Swinton

Produktion: Scott Rudin Productions, Indian Paintbrush, Studio Babelsberg et al.

Verleih: 20th Century Fox

Länge: 99 Minuten

Start: 6. März 2014

Offizielle Website zum Film 

Die Jury der Berlinale hat im Februar diese neuen Qualitäten erkannt und Anderson den Silbernen Bären verliehen - seine erste Auszeichnung bei einem großen Festival und, wie er schriftlich mitteilen ließ, seine erste Trophäe, die nicht aus Schokolade sei. Ein anderes Lob dürfte Anderson genauso gefreut haben. "Vieles von seinen anderen Sachen kann man mögen oder nicht", sagte Bill Murray bei der US-Premiere von "Grand Budapest Hotel" . "Aber diesen hier werden Sie mögen." Und an Anderson gerichtet: "Ich glaube, das ist das Beste, was du jemals gemacht hast." Wie so oft - Bill Murray hat recht.

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